"Selbst" Yann Martel

  • Vor fast zweieinhalb Jahrtausenden erzählte der griechische Philosoph Platon das schöne Märchen, einst seien die Menschen "ganz" gewesen, und das "Sehnen und Trachten", nach dem Ganzen zurückzukehren, sei die Liebe. Die geheimnisvollen Wege dieses Mythos sind neben dem Tod die wesentlichen Kräfte in unserem Selbst, mit jedem von uns wird die Trennung neu geboren.


    Der Kanadier Yann Martell (geboren 1963) greift in diesem Roman dieses uralte Thema auf und gewinnt ihm faszinierende Aspekte ab.
    Sein Ich-Erzähler wächst als Kind von Diplomaten in verschiedenen Ländern auf und durchleidet das männliche Erwachsenwerden mit all der Gewalt, welche die pubertären Rituale begleitet. Doch plötzlich, mit 18 Jahren, vollzieht sich die Metamorphose - er wird zur Frau. Die sexuelle Sehnsucht hat der Erzähler als Mann erlebt, seine Erfahrungen macht er als Frau. Sie lernt die verschiedensten Facetten der Liebe kennen, nutzt aus und wird ausgenutzt, bis die große Liebe kommt. Doch dann der Schock - eine brutale Vergewaltigung, wie ich sie nachdrücklicher im durchlittenen Entsetzen noch nirgendwo gelesen habe und aus der lebenslustigen Frau wird ein demoralisierter Mann...
    Die Lebenswirklichkeit der Geschlechter aus beiden Perspektiven dargestellt, dazu eine Fülle philosophischer Gedanken - Lesegenuss pur!