Es fing an wie ein klassischer Mystery-Thriller, mit deutlichen Anleihen aus dem Bereich der britischen Schauertradition. Bis zu diesem Punkt (etwa zu zwei Dritteln des Buches) hat es mir super gefallen. Es geht um ein mysteriöses Waisenmädchen im viktorianischen England, das von einem noch viel ominöseren Geschwisterpaar auf ihrem Herrensitz angestellt wird. Angeblich soll das Mädchen sich dort als eine Art Kuratorin um eine Puppensammlung kümmern. Doch Florence - und auch dem Leser - wird bald klar, dass mehr dahinter stecken muss...
Danach driftet das Werk ab in den Bereich "reine Fantasy", was mir persönlich weniger liegt. Das konnte ich aber erstens vorher nicht wissen, und möchte es auch zweitens der Autorin nicht anlasten. Immerhin ist das Buch innerhalb seiner eigenen Logik recht gut geschrieben, und darauf kommt es an. Ob man sich nun in einer solchen Fantasiewelt zurecht findet oder nicht, ist ja jedem Leser selber überlassen.
Das Waisenmädchen, Florence, ist die Erzählerin des Buches, in der Ich-Perspektive, mit viel inneren Monologen und direkter Rede. Das hat mich überzeugt! Das Mädchen hat einen recht kritischen Verstand, mit einer Art trockenem Humor, und auch mit einem Sinn für Verantwortung. Für seine 14 Jahre ist es moralisch schon recht weit entwickelt. Von daher hat mir das Buch in seiner Gesamtheit doch wieder gut gefallen, da Florence eine glaubwürdige Entwicklung durchmacht.
Die Fantasy-Thematik war für mich nicht immer leicht nachvollziehbar, was auch daran liegen kann, dass ich sonst in diesem Genre nicht "zu Hause" bin. Ich möchte dies nicht näher beschreiben, da ich sonst den entscheidenden "Clou" der Handlung vorweg nehme. Gefallen hat mir, dass die Problematik mit einer wichtigen Entscheidung für Florence verbunden wurde, die sie ganz allein treffen musste.
Das Ende wurde von manchen Lesern sehr gescholten. Ich kann daran aber weiter nichts Negatives entdecken. Es gibt da eine gewisse Offenheit in manchen Fragen, aber gerade das mochte ich. Die Autorin hat gekonnt gewisse süßliche Klippen umschifft. Das wäre mir, auch und gerade im Bereich Fantasy, auch zuviel des Guten gewesen! Florence ist am Ende auf sich selber gestellt. Man kann daher auf weitere Bände hoffen - das Buch wäre aber auch so in sich geschlossen.
Ich würde das Buch allen Lesern empfehlen, die gerne mit einem Genre-Mix zu tun haben, die sich gerne in jugendliche Lebenwelten versetzen lassen möchten, und die nicht unbedingt auf ein erwartbares Ende pochen. Insgesamt gratuliere ich der Autorin dazu, ein völlig eigenständiges Werk geschaffen zu haben!