Hammerharter, böser Roman: "Jesus von Texas" von dbc pierre

  • dbc pierre "jesus von texas"


    Da Ihr auf amazon eine sehr ausführliche Info bekommt, fasse ich mich einigermaßen kurz.


    Der Autor (dbc = dirty but clean), selbst kein Unschuldslamm, ist für sein Debüt letztes Jahr mit dem booker-Preis ausgezeichnet worden.


    Es geht um ein Schulmassaker ala "Colombine", wobei, meiner Meinung nach, der Vergleich schon aufgrund der Beweggründe hinkt !!!
    Der 15jährige Vernon muß erleben, wie sein bester Freund, Jesus, wahllos (?) seine Mitschüler abknallt. Die Medien finden in Vernon natürlich den Sündenbock schlechthin, er wird als Mittäter angeklagt, gerät in die Mühlen der (amerikanischen !) Medien und landet unschuldig vor Gericht.


    Ich will gar nichts weiter zum Inhalt oder Ausgang der Story sagen. Ich finde dieses Buch ist wahrlich nicht "schön" zu lesen: die Personen machen mich teilweise aggressiv, depressiv und ich könnte diesen Teenager einfach ständig nur schütteln. Aus (meiner Meinung nach) verständlichen Gründen verschweigt er, warum er gar nicht bei der Tat dabei gewesen sein kann (so ein Schaf !).


    Wenn Ihr Euch die Mühe macht, die ziemlich lange Info bei Amazon zu lesen, werdet Ihr dort Hinweise finden, daß man diesen Roman als Satire bezeichnet und ihm einen gewissen Humor bescheinigt.... Nunja, ich habe nicht gelacht !!


    Ich halte diesen Roman für einen echten Hammer, unbequem, unbehaglich und einen bitteren Nachgeschmack hinterlassend (alle "Big Brother"-Fans aufgepaßt : Ist es das, was Ihr wollt ???) !!!

    ...der Sinn des Lebens kann nicht sein, am Ende die Wohnung aufgeräumt zu hinterlassen, oder?


    Elke Heidenreich


    BT

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  • Zitat

    Original von Helga
    Hallo Fritzi,


    ich habs heute im "Büchertalk" gesehen, da wurde das Buch vorgestellt. Ist ja schon ein Wahnsinn, einfach unglaublich was alles so passiert und wie damit umgegangen wird.


    Oh, Sch..... DAS hätte ich zu gerne gesehen!!!!
    Was wurde denn da so erzählt ???
    Interessiert mich brennend !!!
    Auf welchem Sender kommt "Büchertalk" ? Evtl. gibts ja eine WH ??

    ...der Sinn des Lebens kann nicht sein, am Ende die Wohnung aufgeräumt zu hinterlassen, oder?


    Elke Heidenreich


    BT

  • Hallo Fritzi,


    das tut mir sehr Leid, aber nachdem wir ja schon einen Thread darüber hatten und fast alle geschrieben haben, dass sie nur "Lesen" schauen, habe ich mir es erspart, den Termin hereinzustellen.


    Es waren gestern 4 Büchersendungen, eine davon war "Büchertalk". Ist normalerweise am SWR um Mitternacht und wird dann am Sonntag mittags im 3SAT wiederholt, also das war bereits die Wiederholung.


    Ich stelle dir hier den Link herein, wenn du ganz hinunterscrollst und dann auf "Literaturliste zur Sendung" klickst, findest du dann Details zum Buch.


    Werde beim nächsten Mal, wen ich daran denke, den Termin hereinstellen.


    Büchertalk

  • Hallo zusammen,


    Ich hatte von dem Buch eine ziemlich andere Wahrnehmung. Zum einen fand ich es ziemlich flüssig zu lesen, die Sprache war zwar manchmal etwas slanglastig (habs auf Englisch gelesen), aber oft auch einfach mit sehr authentisch wirkenden und witzigen Fehlern durchsetzt.


    Zum anderen fand ich es aber nicht nur deshalb sehr humorvoll, sondern auch, weil die ganze Handlung nach und nach immer mehr ins Absurde drehte (und sie ist von Anfang an schon sehr überzeichnet). Dieses sehr langsame Kippen zerstreute dann auch nach und nach meine Wut, die ich auf Seite 200 wie Fritzi noch hatte, denn plötzlich wurde mir klar, dass das Ganze u.a. eine ziemlich makabre Parodie auf die texanische Justiz ist. Satire, ja.


    Insofern hatte bich keine Lust, irgendwen zu schütteln, denn auch die eklatanten Logik- und Gerechtigkeitslücken bei diesem durchgeknallten Prozess schienen mir nach und nach keine einfach Abbildung, sondern einfach nur noch stilisierter Wahnsinn zu sein. Und mittendrin Vernon Little, der sich das alles am Ende doch gut zunutze macht.


    Ich fands toll.


    Ausführliche Rezension

  • Das schrub ich damals zu "Jesus von Texas":


    Im vergangenen Frühjahr (Anm.: 2003) quälte Elke Heidenreich Nick McDonnells "Zwölf" in die Bestsellerlisten; die Literaturgemeinde ihrerseits quälte sich mit diesem oberflächlichen, pubertierenden und belanglosen Roman, versuchte das menschenmögliche, dem mageren Büchlein eines immerhin erst Siebzehnjährigen Authentizität abzugewinnen, zog Schlüsse, mühte sich mit politischen, sozialen, pädagogischen Vergleichen. Aber der Roman blieb, was er ist: Ein müdes, aufgesetztes, gezwungen cooles, nihilistisches Traktat knapp über Schulaufsatzniveau. Doch es ist Land in Sicht, dann das Versprechen, das "Zwölf" zu geben schien, hält "Jesus von Texas" umso mehr ein.


    DBC steht für "dirty, but clean" - der Autor ist kein adeliger Franzose, sondern ein rechtschaffen abgedrehter, zweiundvierzigjähriger Australier, dessen Vita sich wie die einer Figur aus "Reservoir Dogs" liest. Pierre a.k.a. Peter W. Finlay hat einiges auf dem Buckel, zuletzt einen schweren Autounfall, dem eine Gesichtsoperation folgte - also Krönung, sozusagen. Seine Lebensgeschichte läßt nichts aus - Filmproduzent, Schmuggler, Betrüger. Die Einnahmen aus "Jesus von Texas" (OT: "Vernon God Little"), das den britischen Booker-Price 2003 - verdient - gewann, sollen auch dazu dienen, einigen der früheren Opfer Schadenersatz zu zahlen.


    Martirio, Texas, ist das, was man gemeinhin ein "elendes Pißnest" nennen würde. Irgendwo in der Wüste hocken ein paar Leute aufeinander, die mehr oder minder alle miteinander verwandt sind, die sich gegenseitig in die Wohnzimmerfenster starren, großes Vergnügen daran haben, die kleinen Niederlagen der anderen beobachten zu dürfen, über die neuesten Diäten schwatzen, während sie tonnenweise Futter von "Bar-B-Chew Barn" verputzen, auf die "Special Edition" der neuesten Kühl-Gefrier- Kombination warten, rund um die Uhr fernsehen und ansonsten so tun, als wäre alles im Lot. Bis Jesus, der fünfzehnjährige Outsider, seine Knarre nimmt und sechzehn Mitschüler massakriert, schließlich auch sich selbst. Vernon Little, bester Freund des ansonsten wenig geliebten Jesus, überlebt das Unglück, weil ihn seine Inkontinenz dazu zwingt, im Busch ein Häufchen zu machen. Das piefige, uramerikanische Nest wird gehörig durchgewirbelt - und Vernon zur Zielscheibe der Medien, zum Ventil für den aufgestauten Kleinstädterhaß, während die Bewohner ihr bestes geben, um das belanglose, spießige Leben aufrechtzuerhalten.


    Der Junge mit dem "Problem", auf das seine alleinerziehende, prollige Mutter im rechten Moment hinzuweisen weiß, eine der "offenen Wunden im Rücken, die wir alle mit uns herumtragen", muß als Sündenbock ("Sündenlok", wie er es nennt) herhalten, weil sich der eigentliche Täter selbst gerichtet hat, der Mob aber trotzdem Vergeltung fordert. Eine Odyssee durch Kleinstadtknäste, stinkende Überlandbusse, die mexikanische Grenze und reichlich skurille Nebenschauplätze beginnt, die schließlich in der Todeszelle zu enden scheint. Vernon weiß kaum, wie ihm geschieht, bis fast zuletzt glaubt er daran, daß die Wahrheit ans Licht kommen wird, weil das in den Filmen, der primären Sozialisationsmaßnahme *aller* Amerikaner, auch immer passiert. Aber er hat die Rechnung ohne die Apathie seiner Mitbürger gemacht, die Teilnahmslosigkeit selbst seiner eigenen Mutter, der die Worte des abgehalfterten Reporters, der sich bei ihr eingenistet hat (Eulalito Lesdema - eine fantastische Nebenfigur), weit mehr bedeuten, als die Unschuldsbeteuerungen des eigenen Sohnes. Vernons Spießrutenlauf gerät zum Medienereignis, als Sahnetüpfelchen werden die Mitbürger per TED darüber abstimmen dürfen, welcher Insasse des Todestraktes zuerst auf die Bahre geschnallt wird.


    DBC Pierre bohrt intensiv in der Rückenwunde aller Amerikaner, ihrer Selbstzufriedenheit, Arroganz, Weltfremdheit, Intoleranz, ihrer aufgesetzten Gottesfürchtigkeit und medialen Zentrierung - und er leistet das weitaus besser, als etwa Michael Moore mit seinen flachen, halbsatirischen Sachbüchern, die keine sind - oder McDonnell in seinem fadenscheinigen New Yorker Jugendidyll, dessen Figuren so glaubhaft wirken wie die Besetzung von "Beverly Hills, 90210".
    Weil Pierre ein unschuldiges Kind mitten in die gefräßige Maschinerie des Post-Prä-Bush-American Way of Life stößt und einen Fünfzehnjährigen staunend, manchmal larmoyant, hautpsächlich aber uramerikanischen - längst vergessenen - Idealen folgend durch eine Szenerie stolpern läßt, aus der man ihn als Leser um jeden Preis herausholen möchte, weil die schreiende Ungerechtigkeit, die gnadenlose Tumbheit und die abgebrühte, hochdumme Ignoranz einfach nicht obsiegen dürfen. Hätte man eine Knarre, würde man es Jesus gleichtun - und das ist kein zweifelhafter Schluß, sondern eine zwingende Konsequenz.


    Ein mordsböses, bravouröses, atemloses, rasantes, toll geschriebenes und brüllend komisches Buch, das an keiner Stelle das eigene "Para-Dickma" aufgibt und ein Amerika zeichnet, das grausiger nicht sein könnte: Das wahre Amerika eben. Ein Hammer. Kaufen, kaufen, kaufen!

  • Ich habe es nun auch gelesen und war begeistert. Meine Gefühle beim Lesen kann ich nicht so genau einordnen. Mal mußte ich lächeln, mal war ich schockiert.
    Die flappsige erzählweise des Ich-Erzählers (Vernon) erinnerte mich irgendwie an "Fänger im Roggen".


    Das Ende fand ich etwas eigenartig, aber ein besseres würde mir jetzt auf Anhieb auch nicht einfallen ;-)


    @ Melkat: Diese Geschichte ist frei erfunden und basiert nicht auf einem realen Fall. Im Vordergrund der Geschichte steht auch nicht das Schulmassaker, sondern die Hetzjagd auf den angeblichen Mittäter Vernon.


  • Ich habe gestern ungefähr eine Stunde dieses
    Romans als Hörspiel gehört.
    Ich fand es etwas seltsam....
    Es fesselte mich, weil ich nicht wusste, um was es sich handelte
    (ich hörte nur mal so in einen Kopfhörer im Ruheraum der Sauna).
    Aber die Handlung fand ich irgendwie total überzogen.
    So handelt/reagiert doch kein Mensch. Sämtliche Charaktere
    erschienen mir unglaubwürdig und total überzeichnet.
    Das Buch hätte ich, glaube ich, aus der Hand gelegt.

  • Ich habe es letzte Woche gelesen und fand es klasse. Genau die schräge Art von Humor, die ich mag :-]