Edit lässt mich vorausschicken, dass ich mich mit der Einsortierung etwas schwer getan habe. John Dos Passos darf aber wohl als Klassiker gelten, die Länder, die er bereiste, gibt es und gibt es auch wieder nicht mehr. Deshalb habe ich die Rubrik "Klassiker" gewählt.
Über das Buch verrät der Schutzumschlag:
Es ist eine sensationelle Entdeckung: 1921 reiste der später weltberühmte Schriftsteller John Dos Passos durch die Länder des Nahen Ostens – Türkei, Georgien, Armenien, Iran, Irak, Syrien – und verfasste einen Reisebericht. Per Schiff, mit dem Zug, im Auto und auf dem Kamel durchquerte er ein Gebiet, in dem der Krieg noch überall spürbar war und in dem die Gefahren an jeder Ecke lauerten.
Und über den Autor selbige Quelle:
John Dos Passos, geboren 1896, gehörte, wie unter anderem Hemingway, zur Lost Generation der amerikanischen Literatur. Romane wie Manhattan Transfer oder die der Romantrilogie U.S.A. brachten ihm neben Weltruhm den Ruf ein, ein genauer und demaskierender Beobachter der amerikanischen Gesellschaft zu sein. Dos Passos starb 1970.
Der Übersetzer
Matthias Fienbork, geboren 1947, widmet sich unter anderem Evelyn Waugh, W. Somerset Maugham oder Tony Judt, um ihre Werke ins Deutsche zu übertragen.
Meine Meinung:
Gebundenes Buch mit insgesamt 207 Seiten. Bis Seite 190 die Reiseaufzeichnungen, daran anschließend Anmerkungen und ein sehr informatives und lesenswertes Nachwort von Stefan Weidner. Das Buch beginnt und beschließt jeweils ein Foto, den Autor während seiner Wüstenreise 1921/22 zeigend.
Den Vorsatz ziert eine Landkarte mit den Reisestationen.
Der Schutzumschlag nimmt Motive, auch farbliche, aus dem Reisebericht auf.
Da macht einer eine Reise durch Länder, die heute aus den Schlagzeilen gar nicht mehr wegzudenken sind. Er bereist diese Länder zu einer Zeit, in denen sie extremen Umwälzungen ausgesetzt waren; 1921, so erklärt im Nachwort Stefan Weidner, war in den Ländern des Nahen Ostens der 1. Weltkrieg noch nicht wirklich vorbei. Dessen Folgen, die künstlich geschaffenen Grenzen in den Gebieten, die wir heute „Orient“ nennen, die extreme Nahrungsmittelsituation nicht nur in den Kaukasusregionen, ausgelöst nicht nur, aber verschärft durch die politischen Umwälzungen, werden im Nachwort sehr gut, aber mit der gebotenen Kürze dargestellt.
„Einer“: Das ist John Dos Passos, ein Mann mit einem Blick, um den man ihn beneiden kann, einer, der sich nicht blenden lässt, weder von schönen Gesten noch vom Glamour, noch weniger von schönen und beredten Worten oder Legenden. In Konstantinopel (so hieß das damals noch) besteigt er ein Schiff, das ihn übers Schwarze Meer nach Trapezunt und Batum bringt, von dort geht es unter anderem über Tiflis, Eriwan und Täbris unter anderem nach Teheran, nach Bagdad und durch die Wüste bis nach Damaskus. Er erzählt von den Orten, von den Gerüchen, den Farben und vor allem auch von den Menschen, den Armen und den Reichen, den Europäern und den Einheimischen, den Fortgejagten und den Daheimgebliebenen, den Reisenden und denen, die ankommen wollen. Er erzählt vom Essen und vom Trinken, vom Kif-Rauchen und vom Erzählen, vom Miteinander und von Feindschaft, von der Politik und vom Islam; mit einem Wort: Vom Leben – und auch Sterben - in Regionen, in denen damals immer noch das Abenteuer zu lauern schien, westliches Denken und westlicher Komfort erst allmählich Einzug hielten, aber einhergehend damit gravierendere, ja die traditionellen Lebensverhältnisse und -umstände zerstörende Veränderungen um sich griffen. John Dos Passos sieht diesen westlichen Einfluss nicht unkritisch, nimmt die Veränderungen fast – so kam es mir jedenfalls vor – wie ein fein abgestimmter Seismograf wahr. Ob es auch ein Dagegen-Anschreiben war, vermag ich nicht zu beurteilen; mir schien es (eine Art Flucht, ein Abstandgewinnen vom westlichen Leben) aber ein Grund, vielleicht der Hauptgrund für die Reise gewesen zu sein. Da mag es auch nicht Wunder nehmen, dass er von Momenten des Glücks auf seiner Reise zu berichten weiß.
Was dieses Buch für mich so überaus lesenswert macht, ist das Gespür des Autors für den Moment, sein Blick für das, was einen Menschen, eine Situation, eine Gegebenheit ausmacht. Es ist auch und ganz besonders seine Fähigkeit der Darstellung des Gesehenen; lakonisch, mit großer Prägnanz, aber eben auch einfühlsam kommt das daher. Er beschreibt den Einzelnen, auch Gruppen, Szenen und schafft damit abseits jeglicher romantischer Verbrämung ein Bild von und über die bereisten Länder, das vielleicht, wahrscheinlich authentischer nicht von einem westlichen Reisenden geschaffen werden kann. Er nimmt die Menschen in ihrer Eigenständigkeit, ihrem Willen, ihr Schicksal und das ihres Landes in die eigene Hand zu nehmen, ernst, er hält erkennbar nichts von der Bevormundung durch westliche Länder. Die Menschen treten uns gegenüber so, wie sie auch Dos Passos gegenübergetreten sind, sie werden nicht zur Staffage innerhalb einer für westliche Besucher vielleicht manchmal pittoresk anmutenden Szenerie degradiert. Das ist es wohl, auch das Wissen, das ich als Leser nie ausblenden konnte, dass diese vom Autor beschriebene Welt kaum noch existiert, dass sie sich damals schon in Auflösung befand, die Genauigkeit und Schärfe seines Blicks, die mich dieses Buch unumwunden empfehlen lassen. Für mich steht es in einer Linie mit anderen für mich großen Reiseberichterstattern, wie beispielsweise Mark Twain, Nikolai Karamsin, Patrick Leigh Fermor oder Theodor Fontane.
Edit again: Immer diese fehlenden Buchstaben ...
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