Paul de Mans Krieg
Memories II
Passagen-Verlag
131 Seiten
Titre original: Comme le bruit de la mer au fond d'un coquillage.
Übersetzt von Elisabeth Weber
Kurzbeschreibung:
Als Jacques Derrida 1984 drei Vorlesungen für seinen gerade verstorbenen Freund hielt (Mémoires, EP 18), wusste er noch nichts von den Artikeln, die der junge Paul de Man zwischen 1940 und 1942 in belgischen Zeitungen geschrieben hatte und die auf den ersten Blick auf Antisemitismus und Nähe zum Faschismus schließen lassen.Paul de Mans Krieg zeichnet die Geschichte der Entdeckung und Veröffentlichung dieser Artikel nach, die von Derrida sofort auf einer eilig in Amerika einberufenen Konferenz gefordert wurde. Persönlich und direkt wie in kaum einem anderen seiner Texte erleben wir Derridas Konfrontation mit der furchtbaren Entdeckung, den Schock und die erste Analyse mit. Derrida analysiert in diesem Buch einige der ihm zugänglichen Artikel Paul de Mans, aber auch die Reaktionen auf ihre Entdeckung, seine eigene, die der Freunde Paul de Mans und die seiner Feinde. Der Text ist aber auch ein über den Anlass hinausweisender Essay über persönliche Verantwortung, über den Umgang mit Vergangenheit und über die neue Ethik der Forschung, die der Dekonstruktivismus fordert und entwickelt.
Über den Autor:
Jacques Derrida (1930-2004) lehrte Philosophie in Paris und den USA.
Mein Eindruck:
Jacques Derrida schrieb dieses Buch 1987 aus Anlass eines Ereignisses über Paul de Man, mit dem er befreundet war und dessen denken und literarisches Schaffen er bewunderte.
Damals waren 4 Jahre nach Paul de Mans Tod 1983 Artikel bekannt geworden, die jener als junger Mann Anfang 20 in der Zeit der deutschen Besetzung in Belgien für kollaborierende Zeitungen schrieb. Darin befanden sich auch pronationalistische Tendenzen, sogar antisemitische Äußerungen.
Gerade weil das nicht in das Bild des bedeutenden Philosophen passt, der Paul de Man nach dem Krieg in den USA wurde, wurde die Entdeckung dieser Artikel zum Skandal. Es gab viel Polemik. Das schädigte Paul de Mans Werk nachhaltig.
Der Skandal war unschön, auch weil Paul de Man tot war und sich nicht mehr äußern konnte. Außerdem wurde der Vorfall genutzt gegen eine Form der Philosophie zu hetzen, die auch Derrida betraf, die Dekonstruktion.
Jacques Derrida war zwar auch sehr von diesem Umstand überrascht, doch er ging die Sache analytisch an und betrachtete die Artikel genau. Er begann sogar mit einem Artikel vor der Besetzung, indem sich Paul de Man noch eindeutig gegen die Barbarei aussprach. Doch schon hier findet Derrida ein indifferenziertes Denken.
Derridas Analysen sind auch emotionell, man merkt, wie ihm, der algerisch-jüdischer Herkunft ist, der Atem stockt bei de Mans Artikel „Der Jude in der zeitgenössischen Literatur“. Derrida berücksichtigt aber nicht ausschließlich die Texte sondern bezieht auch die Umstände mit ein, was und von wem Paul de Man beeinflusst wurde.
Das macht er natürlich ohne den Autor zu entschuldigen. Die Verantwortung bleibt bei dem, der die Artikel geschrieben hat,doch Derrida schafft es, das in das Gesamte einzuordnen und entsprechend zu werten.
Entscheidend an diesem Text ist auch, dass Derrida sich unmittelbar zu dem Vorfall äußerte und damit einen Gegenpol zur Polemik lieferte. Viele versuchten, den Vorfall zu nutzen, um eine unbequeme philosophische Bewegung zu bekämpfen.
Derridas Gedanken sind für mich ausschlaggebend. Derridas Text hat sicher entscheidend dazu beigetragen, dass jetzt mit Abstand den Vorfall richtig zu beurteilen und dass die Denunziationen ihrer Wirkung beraubt wurden.
ASIN/ISBN: 3900767106 |