Vampire Weekend, 16.7.2013, Astra-Kulturhaus Berlin

  • Unter den erfolgreichen neueren Bands gehören die New Yorker Musiker von Vampire Weekend - gegründet 2006 und benannt nach einem Film, den der Sänger Ezra Koenig gedreht hatte - vermutlich zu den merkwürdigsten. Die Songs der vierköpfigen Combo enthalten Ska- und Beat-Elemente, erinnern zuweilen an Afropop, sind manchmal rockig oder auf sehr saubere Weise punkig, und der aktuelle Hit - "Diane Young" - würde in leicht geändertem Arrangement als 60er-Schunkelmucke durchgehen. Das rasante "A punk" (zu dem es ein absolut hinreißendes Video gibt) kennen vermutlich viele, ohne zu wissen, wie der Song heißt und von wem er stammt. Mein Lieblingsstück der Band ist "Horchata", in dem es um ein mexikanisches Erfrischungsgetränk geht - und exakt so klingt der Song auch. Am Karibikstrand liegend, mit einem Cocktail in der Hand, den ein einheimischer Kellner gebracht hat, der mit seinem Job eine zwanzigköpfige Familie ernährt. Und irgendwie markiert das auch das Image der Band - sehr adrett an der Oberfläche, melodiös und dicht an der Perfektion, was die Darbietung anbetrifft. Lässt man sich jedoch auf die Texte und vielen musikalischen Anspielungen ein, verändert sich das Bild.


    Das aktuelle Album "Modern Vampires of the City" hat in Amerika Platz 1 der Billboard-Charts erreicht und wurde dort inzwischen mit einer Platin-Schallplatte ausgezeichnet, aber das Berliner Konzert musste mangels Nachfrage aus dem Betonzelt "Tempodrom" in die flache Friedrichshainer Aula "Astra-Kulturhaus" verlegt werden - hierzulande erreichte man mit der frischen Platte gerade mal Rang 21 der Hitlisten. Das Astra ist die Pisskackscheiße unter den Berliner Veranstaltungsorten - flach, schlecht belüftet, und mitten im Raum stehen acht Pfeiler, so dass bei gefülltem Haus gut ein Fünftel des Publikums keinen Blick zur Bühne hat. Und vom Rest können auch nur diejenigen wirklich etwas sehen, die einsachtzig oder größer sind. Die niedrige, enge Bühne wird überwiegend von hinten beleuchtet, weil vorn schlicht kein Platz für Traversen ist, so dass sogar die Einsneunziger bei massivem Lichteinsatz nur noch Schatten sehen. Dafür ist der Sound oft verblüffend gut, zugegeben.


    Zunächst - um kurz vor neun - aber eröffnet die dänische Band The Asteroids Galaxy Tour den Abend, acht Musiker - einschließlich Bläsersatz - auf der Bühne, dazu Mischpult und einige weitere Technik am Rand, nebst verdecktem Schlagzeug- und Percussionaufbau für den Hauptact. Im Tempodrom wäre das locker gegangen, hier ist es wie nach einem Wohnungsumzug, nach dem man noch wochenlang auf den Kisten hockt. Die Combo um die sehr ansehnliche Mette Lindberg hat bislang zwei Alben vorgelegt, das dritte ist in Arbeit, und tatsächlich kenne ich einige Stücke - zum Beispiel "The Golden Age" vom ersten Album "Fruits", das sehr eingängig ist und sogar auf meinem iPod lagert, wie ich vorhin festgestellt habe. The Asteroids Galaxy Tour erinnern an die frühen B 52's, die Arrangements sind ziemlich ähnlich, allerdings ist Mette Lindberg deutlich hübscher als Kate Pierson je war, und als sich ihre Stimme ab dem zweiten Stück gefangen hat, fühlt sich der Gig richtig klasse an. Leider ist es nach dreißig Minuten schon wieder vorbei. Achtungsapplaus vom gut gemischten Publikum. Die Altersspanne reicht von 16 bis an die 60, aber die meisten sind mitteljunge Mitte-Berliner, darunter aber auch einige Briten und Amerikaner. Es gibt viele kleine Frauen in kurzen Röcken, die ununterbrochen auf den Zehenspitzen stehen, um etwas zu sehen. Der durchschnittliche männliche Konzertgast sieht wie ein BWL-Student im letzten Semester aus und führt in den Songpausen endlose iPhone-SMS-Dialoge.


    Umbaupause. Der Biergarten gleicht ein bisschen die lurchige Halle aus. Meinem Kumpel hat der Support exzellent gefallen, Vampire Weekend kennt er überhaupt nicht. Wir trinken Bier und vergleichen quasi auf der akademischen Ebene die Beine der herumlaufenden Frauen mit denen von Mette Lindberg. Keine Chance.


    Um kurz nach halb zehn, wir haben uns einen Platz in der Hallenmitte erkämpft, erscheinen Ezra Koenig & Co. Der Sänger trägt ein dunkles Polohemd, das von der Brust aufwärts weiß ist, so dass zunächst der irritierende Eindruck entsteht, er würde ein schulterfreies Kleid tragen. Koenig ist so etwas wie ein leicht androgyner Über-Hipster, was durch seine akkurat gescheitelte Frisur unterstrichen wird. Während der kommenden > 75 Minuten wird er, wie alle in der Halle, ziemlich viel Schweiß absondern, sein Aussehen aber dadurch nicht verändern.


    Der Klang ist vom ersten Stück an fantastisch, und obwohl Koenigs Gesang und Gitarrenspiel - präzise Sechzehntel im Stakkato - melodietragend ist, spielen Bass, Schlagzeug und Keyboards oder Rhythmusgitarre ihre wesentlichen Rollen - die Arrangements von Vampire Weekend sind komplex, der druckvolle Bass greift in die Dramaturgie ein, und das volltönende Schlagzeug durchwandert akustisch die Halle. Ich fühle mich an Death Cab for Cutie erinnert, die auch hier gespielt haben. Schade, dass die Halle nicht höher ist, dass es Pfeiler gibt, aber keine funktionierende Klimaanlage. Trotzdem machen mir die folgenden knapp 80 Minuten großen Spaß, aber man muss diese Mucke und den Auftritt, der etwas von einem Abschlussball hat, auch mögen. Mein Kumpel, der selbst Musiker ist, bewundert die Fähigkeiten der Menschen auf der Bühne, kann aber selbst Songs wie "A punk" nicht viel abgewinnen. Ihm ist das zu strukturiert, zu geplant, er empfindet es als zu gewollt originell, mir gefällt genau das. Diese oft wilde Mischung, die vorgetragen wird, als würde man Top-40-Songs covern.


    Und irgendwie mag ich schließlich auch, dass der Gig verlegt wurde. Vampire Weekend sind zwar kein Geheimtipp mehr, aber wenigstens hierzulande auch noch nicht im Mainstream angekommen. Dieses Gefühl hätte sich im Tempodrom vielleicht eingestellt. So wurde es ein intimer Abend mit einer Band, die ihr Handwerk exzellent beherrscht und unkonventionelle, schwer vorhersehbare Musik macht, die man mögen kann, aber nicht muss.

  • Ein interessanter Bericht. Danke dafür.
    Ich kenne die Gruppe nicht, aber dein Bericht macht Lust darauf, bei denen mal reinzuhören.

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Zitat

    Original von Tom
    Wir trinken Bier und vergleichen quasi auf der akademischen Ebene die Beine der herumlaufenden Frauen mit denen von Mette Lindberg. Keine Chance.


    :rofl Wie hört sich das denn an? Etwas Sorgen macht mir ja der Ausdruck "quasi"... :grin


    Nein, ganz im ernst, herzlichen Dank für den Bericht. Sehr informativ, interessant und gut zu lesen. Außerdem bringst du mir stubenhockendem Landei damit die weite Welt in die Hütte. ;-)

  • Schöner Bericht Tom, :anbet


    Ich hab zu den Vampires auch ein gespaltenes Verhältnis. Im Debütalbum "Vampire Weekend", gab es ein paar Überraschungen, mit verrückten Ohrwürmern wie "A-Punk", "Cape Cod Kwassa Kwassa" und vor allem dem fluffigen Oxford Comma


    Die Scheibe "Contra" fand ich alles in allem enttäuschend langweilig, außer vielleicht das angesprochenen "Horchata". Dieses Pseudo-Ethno-Pop geht einem nach einer Weile ein wenig auf die Nerven. In die aktuelle CD habe ich noch nicht reingehört. Die Rezis, die ich dazu gelesen habe, waren auch nicht unbedingt dazu angetan, dass ich eine Steigerung erwarte. Und das Konzert scheint ja der Beschreibung nach wohl auch in der so la la-Gegend angesiedelt gewesen zu sein...

  • Hallo, arter.


    Der Auftritt war exakt so, wie ich ihn erwartet hatte - handwerklich perfekt, und dargeboten in dieser leicht exaltierten, ironischen Distanziertheit, die ich mit der Band verbinde. Vampire Weekend stehen für mich in erster Linie für einen bestimmten Klang, weniger für einen greifbaren, einheitlichen Stil (obwohl es etwas wie eine Handschrift gibt) oder gar eine definierte Musikrichtung. Der Bogen von "A punk" über das tatsächlich kongeniale "Oxford Comma" und einige weitere bis zum aktuellen "Diane Young" (das neue Album gefällt mir außerordentlich gut) ist ein großer, obwohl man die Band dahinter immer sofort erkennt. Die Texte sind clever, die Arrangements pfiffig, die Videos äußerst originell. Der Auftritt löst diese Versprechen ein. Vielleicht für einige zu sehr, weil es tatsächlich keinen Schritt beiseite gibt, keine launigen Ansagen, keine Spielfehler, kaum rockmäßige Interaktion auf der Bühne. Es ist eine Show - die Show von Vampire Weekend. Mir hat das sehr gut gefallen. Ich wünschte mir ähnliches bei anderen Bands, die ich sehr mag, die aber, wenn sie live zugange sind, an ihrem eigenen Image vorbeispielen. Namen, die mir dabei einfallen, sind Interpol und The Kooks. Das sind auf der Bühne echte Runterrotzer.