Wie schade, dass im schönsten Open-Air-Veranstaltungsort Berlins, vielleicht Deutschlands, möglicherweise sogar Europas normalerweise nur Künstler auftreten, die ich nicht oder nicht mehr mag - früher war ich da sehr oft, aber als ich mich am Sonntagnachmittag auf den Weg machte, musste ich lange darüber nachdenken, wann ich zuletzt dort war. Depeche Mode, 2006. Goldfrapp spielten den Support. Als wir damals ankamen, war der Innenraum schon dicht, aber wir hockwendeten einfach über eine Absperrung. DM spielen nur noch in Stadien und großen Arenen. Die diesjährige Tour werde ich komplett auslassen, obwohl es vielleicht die letzte ist.
Umso mehr freute ich mich, als vor einem halben Jahr angekündigt wurde, dass MUSE im Sommer einmal auf der Loreley und einmal in der Waldbühne spielen würden. Ich habe mich blödgeklickt, um Karten zu organisieren, weil ich davon ausging, dass die Nachfrage sehr groß sein würde - die Briten gelten als einer der besten Live-Gigs, die es derzeit gibt. Verblüffenderweise hätte man aber sogar an der Abendkasse noch Karten bekommen. Es waren vielleicht achtzehn-, neunzehntausend Leute, dreitausend weniger, als reingepasst hätten. Trotzdem war der Innenraum leider bereits voll und abgesperrt, als wir ins Rund blickten.
Wir reihten uns vor einem Bratwurststand ein, hinter dessen Tresen eine junge, überschminkte Frau unaufhörlich "Pommes erst wieder in 10 Minuten!" brüllte. Meine Frau fragte, ob ich meinte, dass irgendwelche Bekannte hier wären. Ich grübelte kurz, zuckte die Schultern und sagte: "Ich denke, Andreas B. wird hier sein." Andreas B. ist ein befreundeter Journalist. Als ich das gesagt hatte, drehte sich in der Schlange vor uns jemand um - Andreas. Er trug ein grünes Bändchen am Unterarm. "Um 18.40 habe ich einen Interviewtermin mit Bellamy & Co.", erklärte er nach der Begrüßung. Ich war ein bisschen neidisch. Wir quatschten bis zur Pommeslieferung, dann verabschiedete er sich, um hinter die Bühne zu gehen.
Sitzplätze also. Vorläufig, dachten wir, aber eigentlich waren es gute Plätze, Mittelring, etwas rechts, guter Blick. Die Wolken hingen tief, bei vielleicht 20 Grad. Okayes Wetter für Open Air. Später am Abend verzogen sich die Wolken, geregnet hat es auch nicht.
Um acht kamen Biffy Clyro auf die Bühne, eine schottische Indierock-Band, die seit 1995 zugange und inzwischen kaum noch ein Geheimtipp ist. Kürzlich erklärte der Sänger in einem Interview, Anfragen von Robbie Williams und Rhianna abgelehnt zu haben, die Songs von ihm wollten ("Nichts gegen die Musik dieser Leute, aber ich will nicht irgendwann meinen Kindern erklären müssen, warum ich Songs für sie geschrieben habe."). Eine sympathische Combo, lässige, abwechslungsreiche, solide gemachte Mucke mit viel Kraft, die mit großem Körpereinsatz vorgetragen wurde. Das machte Spaß, nicht nur mir - für einen Support war schon jetzt die Stimmung ziemlich ausgelassen. Sie spielen eine Stunde, dann gab es eine halbstündige Umbaupause. Viel Raum auf der Bühne, ein verchromter Flügel, dahinter ein Halbrund aus Videomonitoren, vor der Bühne ein Steg ins Publikum, der in einem großen Quadrat endete.
Und dann, um halb neun - MUSE. Ergänzt um einen Keyboarder eröffneten die drei Briten mit "Supremacy", einer Multitempo-Rockarie vom aktuellen Album "The 2nd Law", die an Queen, Yes, vielleicht sogar Genesis erinnert, aber so viel frischer und direkter, zugleich schmutziger und sauberer klingt - Bellamys Stimme, die zu diesem Zeitpunkt noch nicht ganz perfekt abgemischt war, kann man mit denen von Mercury oder Gabriel nicht vergleichen - seine ist besser. "Das ist unmöglich live", brüllte jemand links von mir. Wer die Videos von MUSE-Auftritten gesehen hat, weiß, wie perfekt der Sound ist, wie verblüffend der Eindruck, wie sehr man glaubt, das ginge so nicht, während der Sänger auch noch die Gitarre malträtiert und ihr Klänge entlockt, für die andere Bands zehn Musiker brauchen. Großartig.
Ganze zwei Stunden dauerte der Gig, für den man immerhin über 70 Euro bezahlt hatte, und es war jeden Groschen wert. Eine manchmal etwas dick aufgetragene, aber eigentlich nie überzogene Lichtshow, klangliche Perfektion in solider Lautstärke, dazu enorme Spielfreude und ein Publikum, das man so vielleicht nur von Depeche Mode-Konzerten kennt. Okay, Bellamy ist kein begnadeter Tänzer, dafür beherrscht er Gesang und Gitarre umso besser. Der Abend endete mit "Starlight" und dem Gefühl, etwas Besonderes miterlebt zu haben. Zumal sich das Drumherum auch ziemlich entspannt gab - Einlass ohne Taschenkontrollen, Abgang ohne Gedränge, nur auf die Pommes musste man 10 Minuten warten.
Eine große Band, die den Spagat zwischen Intimität und Stadienkompatiblität perfekt beherrscht. Und tatsächlich einer der besten Live-Gigs, die man derzeit erleben kann.