Pramoedya Ananta Toer: Garten der Menschheit - "Bumi Manusia". Ein Roman aus Indonesien

  • Pramoedya Ananta Toer: Garten der Menschheit - "Bumi Manusia". Ein Roman aus Indonesien
    Neu bearb. u. leicht gekürzte Ausg.
    Nachwort von Rüdiger Siebert
    Rowohlt 1997. 379 Seiten
    ISBN-13: 978-3499121623
    Originaltitel: Bumi manusia
    Übersetzerin: Brigitte Schneebeli


    Die deutsche Ausgabe von "Bumi Manusia" liegt - antiquarisch - in vier Bänden aus mehreren Verlagen vor.
    1. Garten der Menschheit - Rowohlt, Express Edition
    2. Kind aller Völker - im Unionsverlag vergriffen, Neuauflage ist nicht geplant, Strom Verlag
    3. Spur der Schritte - im Unionsverlag vergriffen, Neuauflage ist nicht geplant, Horlemann
    4. Haus aus Glas - Horlemann


    Verlagstext
    Minke, ein adeliger Javaner, beginnt um die Jahrhundertwende unter dem Einfluss europäischen Geistes das Wertesystem seines Volkes und seinen Lebensweg zu hinterfragen. Er begegnet Nyai Ontosoroh, einer javanischen Frau, die als Konkubine an den holländischen Herman Mellema verkauft und gesellschaftlich verachtet, wegen ihrer ungewöhnlichen Bildung und ihres erfolgreichen Geschäftssinns aber gleichermaßen bewundert wird. Minke verliebt sich in ihre Tochter Annelies und wird nun in seinen eigenen Reihen wegen seines "unmoralischen Umgangs" verachtet und verfolgt. Ohnmächtig erlebt er die Wirkungen des "weißen Gesetzes".


    Der Autor
    Pramoedya Ananta Toer, 1925 in Blora auf Java geboren, ist der bedeutendste indonesische Schriftsteller. Er wuchs unter holländischer Kolonialherrschaft auf. Während der Befreiungsbewegung in Indonesien wurde er von den Holländern verhaftet. Er begann im Gefängnis zu schreiben. Freigelassen unter Sukarno, aber wegen Unterstützung der chinesischen Minderheit wieder verhaftet, verbrachte Pram, wie er von seinen Landsleuten genannt wird, viele Jahre in den Gefängnissen der Regimes. Ein Prozess wurde ihm nie gemacht. Zeitweilig durfte er in der Gefangenschaft seine schriftstellerische Tätigkeit ausüben. Nach seiner Freilassung - die zum Teil auf internationalen Druck erfolgte - begann er mit der Veröffentlichung der auf vier Teile angelegten Romanreihe über die Anfänge des indonesischen Nationalismus und Freiheitskampfes. Obwohl in mehreren Auflagen erschienen, wurden die Romane 1981 verboten. Toer stand viele Jahre unter Hausarrest in Jakarta. Er starb am 30.4.2006. (Quelle: Unionsverlag)


    Inhalt
    Im Mittelpunkt des ersten Bandes der 1975 verfassten Trilogie steht "Minke" in junger Indonesier, der 1880 geboren ist und kurz vor Ende des Jahrhunderts auf Java die Oberstufe der niederländischen Oberrealschule besucht. Zu seinen Eltern hat der junge Mann ein merkwürdig distanziertes Verhältnis, obwohl sie stolz auf seine Leistung und seine Aufstiegschancen sind. Indonesien unter der Kolonialherrschaft der Niederländer ist eine unter Rassengesichtspunkten streng hierarchisch geordnete Gesellschaft, in der das niederländische Recht dem lokalen islamischen Recht übergeordnet wird. Die strenge Ordnung der indonesischen Gesellschaft vor der Ankunft der Niederländer beruhte bereits auf einem System aus Sultanen und Fürsten, sowie dem Respekt und Unterordnung gegenüber Höhergestellten, die sich durch rituelle Kniefälle und Demutsgesten ausdrückte. Durch die Herrschaft der Kolonialmacht bekommt diese Gesellschaft eine zusätzliche Hierarchiestufe; denn einheimische Frauen und die Kinder, die Weiße außerehelich mit ihnen zeugen, bilden zwei eigene, verachtete Kasten. Die Konkubine eines Niederländers kann aufrgrund ihres Standes z. B. nicht mit Mevrouw angesprochen werden, selbst wenn sie die Rolle der Hausfrau und Managerin des Familienunternehmens ausfüllt. Eine Indonesierin, die mit einem Weißen zusammenlebt, kann sogar offiziell einer anderen Rasse angehören als ihre Kinder.


    Minke ist ein Spitzname, den der junge Mann von einem niederländischen Lehrer erhielt, die Ähnlichkeit zu monkey lässt erkennen, dass die Bezeichnung abfällig gemeint war. Minke hat - wie alle Einheimischen - keinen Familiennamen. Der junge Mann geht neben der Schule einer Arbeit als Möbelhändler nach (er aquiriert Aufträge für einheimische Handwerker) und arbeitet schon als Schüler für Zeitungen. Minke lernt die Familie Mellema kennen, die die Doppelmoral der Kolonialherren beispielhaft verkörpert. Vater Mellema ist in den Niederlanden noch verheiratet und hat aus dieser Ehe einen Sohn. Seine Konkubine, die "Nyai" hat er bereits als Kind von deren Eltern gekauft, sie zu Hause unterrichtet und in die Leitung seines ausgedehnten Landwirtschaftsbetriebs eingearbeitet. Mit seiner indonesischen Zweitfrau hat Mellema eine Tochter und einen Sohn. Mit unserem heutigen Wissen ahnt man schon bald, dass Mellemas Betrieb, der der Bevölkerung ganzer Dörfer Arbeit gibt, aufgrund des rechtlosen Status seiner Konkubine und der gemeinsamen Kinder in erhebliche Schwierigkeiten geraten wird, sollte dem alten Mellema etwas zustoßen.


    Minke und Mellemas Tochter Annelies verlieben sich ineinader. Obwohl Annelies noch nicht volljährig ist, wird die Beziehung von der Mutter geduldet, der Vater lebt bereits in seiner eigenen Welt und hat in seinem Haushalt keinen Einfluss mehr. Überaus interessant fand ich, wie beredt über die Liebesbeziehung des junge Paares geschwiegen wurde. 1899 schließt Minke die Schule ab und hätte aufgrund eigener Leistung und der Beziehung zu Mutter und Tochter Mellema beste Zukunftsaussichten - wenn ihm nicht die rassistisch begründete rechtliche Diskriminierung von Mellemas indonesischer Zweitfamilie Anlass geben würde, gegen dieses System zu opponieren.


    Fazit
    Toers Klassiker liest sich streckenweise langatmig und anklagend. Der schriftstellerische Kniff, Minke zum Perspektivwechsel Erzählungen Dritter aufzeichen zu lassen, wirkt etwas zu offensichtlich. Trotz einiger Längen dokumentiert der Roman jedoch den historisch ungeheuer interessanten Moment, in dem zumindest einige Bürger Indonesiens gebildet genug waren, um das Kolonialsystem nicht mehr klaglos hinzunehmen und für Grundwerte und ihre Grundrechte einzutreten. Beeindruckend fand ich auch die Handlungsstränge, in denen es um weibliche Lebenswelten, um Prostitution und Frauenhandel geht.


    7 von 10 Punkten