Der Schrecken verliert sich vor Ort - Monika Held

  • Kurzbeschreibung
    Erscheinungstermin: 14. März 2013
    Als Lena auf den Zeugen aus Wien trifft, weiß sie, dass sie diesen Mann festhalten muss. Auf den ersten Blick haben Lena und Heiner nicht viel gemeinsam. Sie träumt von Ferien in der Südsee. Heiner verbringt die Nächte mit den Schrecken von Auschwitz. Die beiden wagen diese Liebe. Lena fragt sich, ob sie die Welt, in der ihr Mann zuhause ist, je verstehen wird. Heiner fragt sich, wie er sein Trauma aus Bildern und Geräuschen möglichst vollständig in den Kopf seiner Frau übertragen kann und ob es eine Grenze gibt, bis zu der man Erfahrungen weitergeben kann. Sollte er sie finden, wird er sie einreißen. Klug, berührend und mitreißend erzählt die Autorin und Journalistin Monika Held in ihrem großen Roman die Geschichte einer Liebe in den Zeiten nach Auschwitz.



    Über den Autor:
    Monika Held, 1943 geboren, ist Buchautorin und schreibt als freie Journalistin u.a. für "Brigitte".



    Meine Meinung:
    Jaja, kenn ich alles schon, war mein erster Gedanke, als ich den Klappentext las. Bücher über die Zeit, die Deutschland nun wahrlich nicht zu Ruhm gereichte, gibt es wie Sand am Meer. Darunter sind viele gute und bewegende Geschichten, aber auch viele, derer es nicht bedurft hätte.
    Dieses Buch hier gehört allerdings zu den Erstgenannten. Denn, obwohl mein erster Impuls nun mal eben, der oben genannte war, gelingt es der Autorin mich mit ihrem Text auf eine Art und Weise zu berühren, die mir bislang fremd war.


    Ich bin Schnellleser 100 Seiten in einer Stunde sind ein gutes Tempo für mich, bei diesem Buch funktionierte das nicht. Immer wieder glitten die Gedanken davon, die Vorstellung dieser Grausamkeiten, die Phantasie lässt einen das Ungesagte durchleben, die Worte verletzen einen, weil man nicht dabei war, weil man es nicht versteht, weil man es nicht verändern kann, weil einem die Erfahrung fehlt.
    Immer wieder mußte ich das Buch zur Seite legen, mußte tief durchatmen und war überhaupt nicht in der Lage mein übliches Lesetempo bei zu behalten.


    Das Buch ist schwere Kost, es ist keine leichte Erzählung, von einem der Schlimmes erlebt hat und es überlebt hat. Dieses Buch ist der Bericht, der Schrecken, die nach dem Überleben auf den Menschen zu kommen. Es ist auch keine Liebesgeschichte, denn zwischen Heiner und Lena passiert so viel mehr als nur Liebe.


    Das Buch sorgt für einen Kloss im Hals, es schnürt einem den Atem zu und es lässt einen schlecht Träumen. Dennoch möchte ich die Lektüre dieses Buches nicht missen. Sie hat mich weiter gebracht.


    Und nein, der Schrecken verliert sich nie...


    PS: Das Nachwort von Margarete Mitscherlich kurz vor ihrem Tod verfasst hat mir nicht gefallen.

  • Das Konzentrationslager Auschwitz ist heute ein Synonym für die Gräueltaten der Nationalsozialisten im Zweiten Weltkrieg. Über eine Million Gefangene wurden gedemütigt, misshandelt, gequält und getötet. Nur eine geringe Anzahl von ihnen überlebte den Holocaust. Einer von ihnen ist Heiner, der seiner kommunistischen Gesinnung deportiert wurde. Schmerzlich führt er dem Leser vor Augen, welche traumatischen Erlebnisse er als Gefangener im Konzentrationslager erfuhr und welche Auswirkungen diese auf sein weiteres Leben hatten. Selbst als er zwanzig Jahre nach Kriegsende in einem Prozess gegen die seinerzeit Verantwortlichen aussagen darf und dabei die Liebe seines Lebens Lena kennenlernt, mildert das die Verletzungen nicht.


    Monika Held greift mit ihrem Roman ein Thema auf, das behutsam behandelt werden will. 63 Jahre nach Kriegsende gibt es nur noch wenige Augenzeugen. Darum ist es umso wichtiger, dass dieser dunkle Punkt in der Deutschen Geschichte nicht vergessen wird. Mit ihren beiden Protagonisten wählt die Autorin eine Perspektive, die dem Leser die größtmögliche Einsicht bietet. Heiner, der seine Erinnerungen mitteilt und dadurch zu einem bestimmten Verhalten gezwungen wird und Lena, die diese Erfahrungen nur vom Erzählen kennt. Wer niemals Hunger erleiden musste, kann den Hungernden nicht so gut nachfühlen. Beide Seiten werden berührend und zugleich schonungslos beschrieben. Manchmal scheint nur noch ihre Liebe das Band zu sein, das diese beiden Menschen verbindet. Beiden gibt das auf ihre Art die nötige Kraft zum Weitermachen.


    Der in drei Teile gegliederte Roman erzählt nicht nur von der Vergangenheit, sondern erinnert auch immer wieder an das Kennenlernen der beiden und den Verlauf ihres Lebens. Ihre Sorgen, Bedürfnisse und die notwendige Rücksichtnahme aufeinander vermitteln ein intensives Leseerlebnis. Als Stilmittel verzichtet Held dabei auf die Satzzeichen in der wörtlichen Rede und suggeriert damit erneut die Reduktion auf das Wesentliche. Das Gelesene beschäftigt noch lange nach der letzten Seite. Obwohl Heiners Schicksal fiktiv ist, stellt es doch die Wahrheit für viele andere dar und macht es ein Stückchen greifbarer für die Nachkommen. Durch Heiners Augen betrachtet, verliert sich zwar der Schrecken nicht, vermittelt aber das Verständnis für die Leiden der Menschen. Wer die Zukunft verbessern will, muss die Vergangenheit kennen. Darum ist dieses Buch unbedingt lesenswert.

  • Der Schrecken verliert sich vor Ort – Monika Held


    Mein Eindruck:
    Wenn heute jemand einen Roman über die Vorgänge in Konzentrationslagern während der Zeit des Nationalsozialismus schreibt, stellt er sich einer großen Herausforderung. Von den Zeitzeugen gibt es nicht mehr viele, die schreiben. Die zeitgenössische Generation ist gefordert, gründliche Recherche zu betreiben und bei der Umsetzung des Themas sensibel vorzugehen. Daran sind schon einige Autoren gescheitert. Monika Held jedoch schafft es, vollkommen plausibel und glaubwürdig zu schreiben.


    Der Roman setzt Jahre nach Kriegsende ein. Heiner war ein junger Kommunist, der Auschwitz überlebte. Sein Überlebenswillen nährte sich aus der Absicht, über die schrecklichen Ereignisse Zeugnis abzugeben. Als Zeuge vieler Gräueltaten spricht er mehrfach vor Gericht gegen die Täter.
    Es ist nachvollziehbar, dass ihn die Erinnerungen nie loslassen, selbst nachts träumt er sich in die Zeit zurück. Obwohl er Betroffener war, fühlt er sich schuldig, nur weil er überlebt hat.
    Einiges was Monika Held über Geschehnisse im Lager beschreibt, hatte ich vorher noch nicht gewusst.


    Im Verlaufe des Romans trifft Heiner alte Kameraden aus dem Lager wieder, die wiederum anders mit den Geschehenen umgehen. Einer ist knallharter Kommunist geblieben, ein anderer überspielt alles mit seinem Humor.


    Die Beziehung zwischen Heiner und seiner Frau Lena, die viel jünger als er ist, wird sehr interessant geschildert. Heiner ist von den Erinnerungen so geprägt, dass er zurückgezogen lebt, während Lena offen und selbstbewusst durchs Leben geht. Nicht alles von Heiner kann sie ganz verstehen, doch sie hilft ihm durch unbedingte Zuverlässigkeit durch den Alltag.
    Auch wie Heiner mit seinen Nachbarn im Dorf umgeht, ist überzeugend geschildert, z.B. seine Diskussionen mit dem Pfarrer oder seine Freundschaft zu einem geistig behinderten Jungen.


    Der Roman funktioniert in seiner Gesamtheit ausgesprochen gut, alles ist stimmig.
    Selten hat mich ein zeitgenössischer Roman über dieses Thema so überzeugt.

  • Mein Eindruck: Nachdem ich „Trümmergöre“ von Monika Held gelesen hatte und so begeistert von dem Buch war, wollte ich unbedingt mehr von ihr lesen und griff zu diesem Buch. Es ist schwer zu beschreiben, was beim Lesen mit einem geschieht und noch schwerer zu begreifen, was in der Hauptfigur Lena vorgeht, die sich in einen Mann verliebt, der Auschwitz zwar überlebt hat, doch der nun mit diesem Trauma lebt.


    Als Lena Heiner zum ersten Mal trifft, ist er Zeuge in einem Gerichts-Prozess gegen einige Täter, die in Auschwitz unsagbare Verbrechen begangen haben. Lena und Heiner verlieben sich und obwohl es die ganze Zeit auch um die Verbrechen im KZ geht, die Heiner mitansehen musste, so dreht sich in diesem Buch doch alles um die Beziehung dieser beiden Menschen.


    Man fragt sich die ganze Zeit, warum diese so lebensbejahende Frau, einen Mann liebt, der so vollständig in seiner traumatischen Vergangenheit aufgeht. Heiner, einer der wenigen Menschen, die diesen Ort des Schreckens lebend verlassen durften, kommt dennoch nicht von ihm los. Jeden Tag, jede Nacht, jeden Moment seines Lebens verbringt er zwar in Freiheit und doch bleibt sein Geist in den Ketten, die ihm an jenem Ort angelegt wurden.


    „Er adoptierte die Vergangenheit, machte sie zu seinem Zwillingsbruder, dem Schatten, der ihm auf der Straße folgte, ihn in den Supermarkt begleitete, neben ihm auf der Terrasse saß, ihm in die Nacht folgte. Treu bis in den Tod. Wer Heiners Freund sein wollte, bekam den Zwilling dazu.“


    Lena muss Heiner so akzeptieren, wie er ist – ihn und seinen Zwillingsbruder, der bei allem, bei jeder Kleinigkeit, die in der Gegenwart geschieht, eine Brücke in die Vergangenheit baut und davon erzählt. Die schlimmen Erinnerungen, von denen er spricht, lassen einen beim Lesen nicht mehr los. Man ist froh, nicht das gesehen zu haben, was Heiner gesehen hat und da Monika Held gut recherchiert hat, wird sie sicherlich viele wahre Begebenheiten in die Erinnerung ihres Protagonisten eingeflochten haben.


    Oft geht, das, was man über diese Zeit im Lager liest, über alles Vorstellbare hinaus und man möchte stellenweise gar nicht weiterlesen, so sehr quält das, was dort geschehen ist. Man versteht Heiner mit jedem Bericht mehr, doch trotzdem bleibt es unverständlich, warum Lena ihn liebt. Was fasziniert sie an einem Mann, der gedanklich nie ganz bei ihr ist, sondern an einem anderen, einem unvorstellbar grausamen Ort lebt? Diese Frage stellt sich beim Lesen immer wieder. Das Ganze ist sehr eindringlich und dicht geschrieben und jedes Mal, wenn ich wieder nach dem Buch griff, um weiter zu lesen, kostete es etwas Überwindung, denn der Kontakt mit Heiner und somit mit seinem schrecklichen „Zwillingsbruder“ war ungeheuer intensiv und beklemmend.


    Mein Fazit: Beklemmend, beeindruckend, absolut lesenswert. 10 Punkte