Über das Buch:
Diese Biographie erzählt das Leben der Elisabeth Schmitz, einer überaus mutigen Frau des christlichen Widerstands gegen die Nazibarbarei. Angela Merkel nannte Elisabeth Schmitz eine »Ausnahme von der Regel des Schweigens«. Zu ihrer Beerdigung 1977 kamen sieben Gäste. Elisabeth Schmitz, studierte Historikerin und Theologin, bis 1938 Studienrätin an einem Berliner Mädchengymnasium, war im Krieg in ihre Heimatstadt Hanau zurückgekehrt. Kaum jemand hier wusste, was diese Frau unter der Nazidiktatur in Berlin an Widerstand geleistet hatte. Sie selbst schwieg dazu. Erst als man 2004 in einem Kirchenkeller eine Aktentasche mit persönlichen Dokumenten fand, wurde bekannt, wie mutig sie in Wirklichkeit gewesen war. Die Geschichte ihres Lebens ist eine überfällige Entdeckung.
Über den Autor:
Manfred Gailus, geboren 1949, studierte Geschichte und Politologie in Berlin. Er promovierte mit einer Untersuchung über „soziale Protestbewegungen in Deutschland 1947-49“, habilitierte mit „Studien zur nationalsozialistischen Durchdringung des protestantischen Sozialmilieus in Berlin“. Derzeit Professur für Neuere Geschichte an der Technischen Universität Berlin.
Meine Meinung:
Gebundenes Buch, insgesamt 320 Seiten. Davon 217 Seiten Biographietext, eine Danksagung, Anhang mit Abdruck der Denkschrift „Zur Lage der deutschen Nichtarier“ von 1935/36, eines Briefes von Elisabeth Schmitz an Pfarrer Gollwitzer vom 24.11.1938 und einer Rede der Porträtierten anlässlich des Gedenkens an die Opfer des Faschismus und des Krieges am 07.09.1950. Daran anschließend umfangreiche Anmerkungen, Verzeichnis der Abkürzungen sowie Quellen- und Literaturverzeichnis. 33 im Text verstreut plazierte Abbildungen.
Es gibt sie doch immer wieder, diese Momente im Leben, in denen man ein „ach, warum konnte denn nicht...“ oder ein „ach, wäre doch...“ den Lauf des Alltags für einen Moment anzuhalten vermag und man sinniert über Dinge, die hätten möglich sein können, wenn denn … Wenn denn halt die Geschichte ein klein wenig anders verlaufen wäre, als sie es nun mal tat. Es hätte ja so leicht sein können, sie waren fast zur selben Zeit am selben Ort, in Berlin nämlich, im Jahre 1933 ganz bestimmt, vorher und später auch. Wer? Elisabeth Schmitz, die stille, aber nicht schweigsame Frau mit einem prophetischen Blick – das sage beileibe nicht nur ich – und der der große Theologe Dietrich Bonhoeffer. Aber er hat sie wenigstens gekannt, hat sie weitergegeben nach London, die Denkschrift „Zur Lage der deutschen Nichtarier“, von der viel zu lange Zeit, nämlich bis 1999 (resp. 2004, als man das Originaldokument auffand), nicht bekannt war, dass ihre Verfasserin eben jene Elisabeth Schmitz war, der der Historiker Manfred Gailus mit seinem Buch ein bewegendes, mit großer Empathie gestaltetes Denkmal gesetzt hat.
Als jüngste von drei Töchtern des Gymnasialprofessors August Schmitz und seiner Frau Clara Marie hatte die 1983 geborene Elisabeth nicht nur die Neigung, sondern auch die Möglichkeit, ein Studium zu absolvieren. Vom beschaulichen Hanau ins pulsierende Berlin – mit kurzem Zwischenstopp in Bonn - zog es die junge Frau 1915, bei Harnack und Meinecke studierte sie nicht nur, beide prägten ihr Denken und auch Handeln maßgeblich, Harnack wurde eine Art Vaterersatz für sie, sie genoss so etwas wie Familienanschluss. Ihr Bildungshunger muss immens gewesen sein, neben den beiden Koryphäen hörte sie auch bei Romano Guardini, Ernst Troltsch, Eduard Meyer, Hans Delbrück und anderen. Elisabeth muss nicht nur eine begabte Studentin gewesen sein, sie schloss Freundschaften, die sie trugen durchs Leben und auch durchs Alleinsein, manches Mal wohl auch durch die Einsamkeit. Sie wird Lehrerin, wehrt sich mit Hilfe ihr Wohlgesonnener erfolgreich gegen Versetzungen in die Provinz, 1938 bittet sie um ihre Frühpensionierung, die ihr gewährt wird. 1943 kehrt sie nach Hanau zurück, arbeitet später wieder als Lehrerin, sie stirbt im September 1977.
Nüchterne Daten eines Lebens, das so still verlief, nach außen hin zumindest, einer Frau, die nie Aufhebens von sich machte, die tief verwurzelt war in ihrem Glauben. Doch was sie mit einem wachen Blick und beinahe fassungslos machende Hellsichtigkeit begabt durchdachte, in Worte fasste, Mitgliedern der – ihrer – Bekennenden Kirche zukommen ließ, nicht müde wurde zu mahnen und zu helfen, mit Worten und Taten, von Anfang an Hitler und den Nationalsozialisten misstrauend und sie durchschauend, macht sie zu einer Frau, der Manfred Gailus zutraut, sie würde in „den protestantischen Heiligenstand“ (Seite 17) erhoben. Eine wortmächtige und mutige Widerstandskämpferin, der zuzuhören sich allzu viele nicht getrauten oder zumuten wollten, war sie allemal.
Manfred Gailus hat ein wunderbares Buch über Elisabeth Schmitz geschrieben. Immer eingebettet in den zeitlichen Kontext erzählt er ihr Leben und ihr Wirken, würdigt (nicht nur, aber ganz besonders) die Einzigartigkeit der drei Texte, die auch im Anhang des Buches abgedruckt sind, nämlich der Denkschrift von 1935, in der sie die von Anfang der nationalsozialistischen Herrschaft an sich herausbildenden Gefahren für die jüdische Bevölkerung nicht nur beschrieb, sondern auch die späteren Verbrechen an ihr voraussah, den Brief an Gollwitzer, den Gailus einen „Jahrhundertbrief“ (u. a. S. 211) nennt, und der vom Einfluss Elisabeth Schmitzs auf den Theologen kündet, ihn vielleicht mit dazu bewegte, seine berühmt gewordene Bußtagspredigt vom 16.11.1938 zu halten, und dem Vortrag von 1950, in dem sie sich klipp und klar gegen das Vergessen ausspricht und mehr als klare Worte zur Schuldfrage findet. Gailus spricht Klartext, mir bitter erscheinende Worte hat er für das Verhalten von weiten Teilen der Bekennenden Kirche und ganz gewiss des Protestantismus bis 1970, „nationalprotestantisch geprägt“ nennt er ihn (Seite 217), der so verhängnisvoll zeitgeschichtlich wirkte, nicht nur 1914 bis 1945; klare und mir auch anklagend erscheinende Worte findet er für die nicht stattfindende Würdigung von Elisabeth Schmitz seitens der Kirche und ihrer Wortmächtigen nach 1945, erst recht den Umgang mit dem Nachlass der Elisabeth Schmitz.
Manfred Gailus hat viel Erhellendes zum Protestantismus, zur Kirche, seien es die Deutschen Christen oder die Bekennende Kirche, während der Zeit des Nationalsozialismus beigetragen. Früchte dieses Forschens und Arbeitens finden sich auch in dieser für mich herausragenden Biographie.
Eine unbedingte Leseempfehlung!
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