Liz Jensen: Die da kommen
Deutscher Taschenbuch Verlag 2013. 320 Seiten
ISBN-13: 978-3423249607. 14,90€
Originaltitel: The Uninvited
Übersetzerin: Susanne Goga-Klinkenberg
Verlagstext
Ein siebenjähriges Mädchen tötet seine Großmutter auf brutale Weise. Ein tragischer Einzelfall, sagen die Experten. Doch sie täuschen sich. Überall auf der Welt kommt es zu grausamen Gewalttaten, die Kinder gegen ihre Familien verüben. Der Anthropologe Hesketh Lock hat zunächst ein ganz anderes Rätsel aufzuklären. Hesketh ist ein »Troubleshooter«: weltweit wird er zur Aufklärung interner Skandale in globalen Unternehmen eingesetzt. Sein aktueller Fall führt ihn nach Taiwan. Hesketh entdeckt als Erster ein Muster in den sich häufenden Fällen von schwerer Industriesabotage und den Attacken von Kindern gegen Erwachsene, die wie zwei Epidemien den ganzen Erdball erfassen. Wer sind die geheimnisvollen »sie«, von denen immer wieder die Rede ist? Sind »sie« die treibende Kraft hinter den dramatischen Ereignissen?
Die Autorin
Liz Jensen studierte Englisch am Somerville College in Oxford, arbeitete als Journalistin in Hongkong und Taiwan, danach als Produzentin für die BBC sowie als Journalistin und Bildhauerin in Frankreich. Heute lebt sie in London und Kopenhagen. Sie war mehrmals für den Orange Prize und den Guardian First Book Award nominiert.
Inhalt
Hesketh Lock, der Icherzähler, hat sich als Anthropologe auf menschliche Verhaltensmuster spezialisiert und arbeitet weltweit als Unternehmensberater. Promoviert hat er bei einem Experten für Massenhysterie. Der Mann leidet an einer dezenten Ausprägung des Asperger-Syndroms. Beruflich ist seine soziale Behinderung für Hesketh ein großer Vorteil; denn er profitiert von seinem extrem guten Gedächtnis und seiner Konzentration auf das Wesentliche. Privat behindert sein Autismus Hesketh weitaus dramatischer. Welche Frau wird sich in einen Mann verlieben, der die Verknüpfung zwischen menschlicher Mimik und Gefühlen ebenso auswendig lernen muss wie chinesische oder arabische Schriftzeichen!? In mentalen Notfällen faltet Hesketh in seiner Vorstellung oder auch konkret komplizierteste Origami-Figuren. Zahl und Komplexizität der gefalteten Figuren lassen ahnen, wie stark Hesketh das Verschwinden der ihm vertrauten Welt belastet. Wie lebt jemand, der sich ohne feste Strukturen schwer zurechtfinden kann, mit häufigen Auslandsreisen? Wie kommt Hesketh in Asien zurecht? Sind Gesichter, die sich aus der Sicht von Ausländern ähneln wie ein Ei dem anderen, für einen Autisten eine Last oder eher eine Erleichterung, weil sie ihn nicht vom Wesentlichen ablenken?
Als es weltweit zu einer beunruhigenden Mordserie mit Kindern als Tätern kommt, vermutet Hesketh einen Zusammenhang zu seinen vergangenen beruflichen Einsätzen. Er hatte es zunehmend mit Fällen von Sabotage in Unternehmen zu tun, bei denen die Täter offenbar von einem Troll oder Djinn besessen sind und sich im Anschluss an die Tat das Leben nehmen. Das pandemieartige Auftreten dieser Fälle führt ihn zu der Frage, was die Täter miteinander verbindet oder wie sie kommunizieren könnten. Auf der Suche nach einem verbindenden Element zwischen Kindern in Dubai und in Taiwan fallen phantasievollen Lesern so einige Möglichkeiten ein. Doch die Pandemie ist längst nicht mehr allein Forschungsgegenstand, sie ist in Hesketh' unmittelbare Umgebung vorgedrungen.
Fazit
Liz Jensen regt mit ihrem Szenario kurz vor dem Kippen unserer Welt in ein dystopisches Chaos ein lebhaftes Kopfkino an. Die Bezeichnung Thriller und das Titelbild treffen meiner Ansicht nach kaum die Faszination durch diesen verstörenden Roman. Faszinierender als mordende Kinder und der drohende Untergang traditionsreicher Kulturen wirkte auf mich die Figur des Sonderlings Hesketh. Knapp an der Grenze der Glaubwürdigkeit ist der Mann gerade so stark sozial behindert, dass er die Vorteile seiner Inselbegabung beruflich nutzen kann, ohne dass ihn die Nachteile zu sehr einschränken. Das Schicksal des sonderbaren Typs, der eine Farbe mit dem wunderbaren Wort "korallendämmerungsfarbig" wahrnehmen und beschreiben kann, hat mich so gefesselt, dass meinetwegen in der Zwischenzeit gern die Welt im Chaos versinken durfte.
------------------------
Zitat
"Ich stelle mir Ashok vor, wie ich ihn so oft auf dem Bildschirm sehe, die Hemdärmel aufgerollt, die Füße auf dem Schreibtisch, leicht gepixelt und zeitverschoben. Er hat seine Hautfarbe einmal als Starbucks Latte beschrieben, doch als ich eine Farbkarte an sein Handgelenk hielt, musste er mir zustimmen, dass Gebrannte Umbra der Firma Sanderson der Wahrheit näher kommt. Die Familie seiner Mutter stammt aus Mumbai und sein Vater aus Kaschmir, aber Ashok, dessen Name "ohne Traurigkeit " bedeutet, wurde in Florida geboren und bezeichnet sich als "waschechten Yankee". Das ist natürlich ein Witz." (S. 53)
9 von 10 Punkten