Nach mehreren Anläufen habe ich jetzt endlich etwas Zeit und Muße gehabt, BLACK MAN von Richard Morgan zu lesen, einen weiteren SciFi-Einzeltitel, der in der US-Ausgabe als THIRTEEN erschienen ist, und in der deutschen Übersetzung als SCORPION.
Dieses Buch ist ein wuchtiger Klopper - ich habe die knapp fünfhundertseitige, sehr klein gedruckte US-Ausgabe gelesen, in der deutschen Übersetzung hat es über 800 Seiten. Von allen Büchern Morgans ist es meiner Meinung nach das am anspruchsvollsten zu lesende - weil der Start langsam, unglaublich komplex und dadurch mitunter verwirrend ist. Zugleich ist es aber auch eines der tiefschürfensten, emotionalsten und aufregendsten Bücher, die ich von ihm (und eigentlich auch überhaupt aus der SciFi) kenne.
Wie gesagt, auf den ersten ca. 150 Seiten ist Durchhaltevermögen angesagt, doch ich kann jeden nur ermuntern, weiterzulesen - man wird für die anfängliche Geduld tausendfach belohnt.
Wer Morgans Takeshi Kovacs Trilogie kennt (Das Unsterblichkeitsprogramm / Altered Carbon und Folgebände), wird die Welt in SCORPION zumindest ansatzweise vertraut finden: Der Roman spielt im späten zwanzigsten Jahrhundert. Seit ein paar Jahrzehnten versucht man unter größten Anstrengungen und unter Führung von Konzernen den Mars zu kolonialisieren, die Reise zwischen den Planeten ist allerdings lang und kompliziert und die Lebensbedingungen schwierig, ein Drei- oder Fünfjahresvertrag wird von den wenigsten verlängert.
Die USA sind entlang religiöser Trennlinien in eine spöttisch als 'Jesusland' bezeichnete 'Republik' (rassistisch, strengchristlich-religiös, fortschrittsfeindlich, tendenziell verarmend) zerbrochen und die fortschrittlichen 'RimStates', die ehemaligen Küstenstaaten.
Der Protagonist, Carl Marsalis, ist nicht nur schwarz, sondern auch ein sog. Variant Thirteen, eine genetisch veränderte Laborzüchtung. In mittlerweile umstrittenen Experimenten wurden vor Jahrzehnten alle möglichen 'Varianten' kreiert, jede auf ihre Weise von Problemen behaftet. Die Thirteens sind Super-Alpha-Männchen, physisch extrem widerstandsfähig, hochintelligent und kaum sozialkompatibel - man versuchte Supersoldaten zu erschaffen, doch scheiterte, weil sich Thirteens nicht unterordnen. Jahre später führten hysterische Reaktionen in der Öffentlichkeit zur Einstellung aller Thirteen-Programme; die Thirteens wurden entweder auf den Mars geschickt, oder in Internierungslager.
Carl kehrte nach Jahrzehnten legal vom Mars zurück und jagt nun als lizensierter Kopfgeldjäger für eine überstaatliche Organisation andere Thirteens. Nach einer schiefgelaufenen Operation, die ihn hinter Gitter bringt, bietet ihm der COLIN-Konzern, zuständig für die Mars-Transfers, einen Deal an: Er soll einen extrem gefährlichen Thirteen aufspüren, der über ein COLIN-Transportschiff illegal auf die Erde zurückgelangte und seither eine Spur Leichen hinterlässt. Dabei arbeitet er mit der Ex-Polistin Sevgi zusammen, die ihre eigenen Geister zu bekämpfen hat. Bald verbindet sie mehr als nur der Job. Und die Jagd auf den Flüchtling entpuppt sich als die Spitze eines gigantischen Eisbergs aus alten Verschwörungen, Lügen, Intrigen und Fehlinformationen, die zuletzt zu einer vollkommen unerwarteten und äußerst fesselnden Auflösung kulminieren.
Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll.
Vielleicht damit, dass dieses Buch sich durch eine außergewöhnliche emotionale Bandbreite auszeichnet. Es verbindet das Mitfiebern bei vertrackter Ermittlungsarbeit mit den Adrenalinstößen phantastisch choreografierter Action und einer so emotionalen Tiefe, dass ich - ich gesteh's - an einer gewissen Szene erst nach einer Pause weiterlesen konnte, weil ich mir die Tränen aus den Augen wischen musste. So was passiert mir extrem selten bei Büchern, und erst recht nicht bei SciFi-Action-Krachern mit einer unterschwelligen politischen Botschaft.
Der Plot selbst ist in mehrerer Hinsicht großartig: wie der Autor es schafft, einen wieder und wieder auf die falsche Spur zu führen, in Verwicklungen, die nicht das sind, was sie scheinen, aber irgendwie doch mit der Lösung zu tun haben - das ist pure Meisterschaft und einfach nur großes Unterhaltungskino. Wie dieser Plot nahtlos-glaubwürdig in Morgans Weltentwurf eingebettet ist, und wie dieser Weltentwurf auf schmerzhafte Weise dem Leser die (hässlichen) Realitäten des Hier und Jetzt vor Augen hält, das ist atemberaubend. Vor allem ist es ein Plädoyer gegen Heuchelei, und in zweiter Instanz gegen Rassismus, gleich welcher Art.
Vor allem aber lebt dieses Buch - wie fast alle Bücher Morgans - durch seine lebendigen und vielschichtigen Charaktere, die nicht die Intelligenz des Lesers beleidigen, sondern die über Ecken und Kanten verfügen, die wandlungsfähig sind und sich dennoch glaubwürdig im Rahmen ihrer charakterlichen Prägung bewegen. Carl Masalis ist mit Sicherheit kein weißer Ritter, er ist oft nicht einmal sympathisch, aber dafür ungeheuer faszinierend - und das gilt auch für die meisten anderen Figuren im Buch.
Jetzt bin ich allerdings doch sehr traurig, nachdem ich das Buch ins Regal zurückgestellt habe, denn damit bin ich (leider) durch alle Bücher des Autors durch. Unfassbar. Was soll ich jetzt lesen, wenn mir wieder mal nach intelligenter SciFi mit handfesten Helden ist?
Aber zurück zum Thema: 10 Eulenpunkte und eine große vergoldete Extra-Eule, wenn wir eine hätten.