Clemens J. Setz - Indigo

  • Titel: Indigo
    Autor: Clemens J. Setz
    Verlag: Suhrkamp
    Erschienen: September 2012
    Seitenzahl: 475
    ISBN-10: 351842324X
    ISBN-13: 978-3518423240
    Preis: 22.95 EUR


    Zum ersten Mal wurde der Begriff „Indigo-Kinder“ von Nancy Ann Tappe im Jahre 1982 erwähnt. Die Autorin ist überzeugt, dass sie in der Lage sei, die menschliche Aura wahrzunehmen. Darüber hinaus habe sie festgestellt, dass die Zunahme von mit „indigofarbener Aura“ geborener Kinder zugenommen habe.


    Aahh ja – möchte man da nur sagen und macht zu diesem Unsinn auch noch ein interessiert-höfliches Gesicht.


    Es gibt Anhänger esoterischer Ideen, die diesen Kindern ganz besondere psychische und spirituelle Eigenschaften zu schreiben. Diese Erkenntnisse werden allerdings von der Psychologie, der Kinder- und Jugendpsychiatrie und auch der Pädagogik nicht gestützt.


    Um diese Kinder geht es in diesem in meinen Augen genialen Roman von Clemens J. Setz. Ein Roman der Extraklasse – ein Roman den man nur sehr schwer und sicher auch nur sehr unvollkommen beschreiben kann. Ein Roman aber auch, der sehr unterschiedlich aufgenommen und beurteilt wurde.
    Es ist eine Mischung aus einer großartigen Grundidee, angereichert mit einigen Thrillerelementen, gepaart mit einer Prise Science-Fiction, dazu gibt es einen Schuss Gesellschaftskritik und natürlich wird auch das schriftstellerische Können des Autors diesem Cocktail beigemischt. Dann ab in den Shaker – und nach erfolgter Schüttelkur tropft ein phantastischer Lesegenuss in das Glas der potentiellen Lesegemeinde.


    Aber dieser Roman provoziert auch, will wohl auch provozieren. Setz ist ein Meister auf der Tastatur der intelligenten Provokation, seine Einfälle sind zum Teil genial und er schafft es mühelos den Esoterik-Jüngern den Spiegel vorzuhalten, ihnen ihre teilweise schon grenzenlose Dümmlichkeit sichtbar zu machen.


    Es geht in diesem Roman um eine Gruppe von Kindern die in einem besonderen Internat untergebracht sind. Diese Kinder verursachen bei ihrer Umwelt Übelkeit, Erbrechen und Migräne. Und dann ist da eben auch noch der Mathematiklehrer des Internats namens Clemens Setz, der langsam aber sicher verrückt zu werden scheint, der an diesen rätselhaften Kindern zugrunde zu gehen scheint. Setz versucht zu verstehen, scheitert aber – wird eines Kapitalverbrechens beschuldigt, aber nicht verurteilt – trifft dann nach Jahren auf Robert, eines dieser Kinder, und versteht eigentlich immer weniger.


    Interessant auch was der Mathematiklehrer Setz zu Robert über die Liebe sagt:


    „Liebe ist nichts als ein Virus, in die Welt gesetzt von jungen Frauen, die Macht besitzen wollen. Lassen Sie am besten für immer die Finger davon!“


    Setz lebt in seiner ganz eigenen, für andere verwirrende, Welt. Er lebt in einer Welt in der das „Andersein“ noch erlaubt ist – auch wenn es beunruhigt.


    Clemens J. Setz versteht es immer wieder seine Leser zu verblüffen. Er führt sie in die Irre, zeigt ihnen den Eingang zu seinem Labyrinth aus Verstandestäuschung, Beklemmungen und ironischen Einschüben und verwischt geschickt die Spuren zwischen Fiktion und Wirklichkeit. Nur den Ausgang aus diesem Labyrinth zeigt Setz nicht – den muss jede Leserin/jeder Leser halt selbst suchen und hoffentlich dann auch finden. Wenn nicht? Manchmal hat man halt Pech.


    Für mich ist dieses Buch ein Glücksfall der deutschsprachigen Literatur der letzten Jahre. Es ist aberwitzig, es ist spannend, die Geschichte wird brillant erzählt, die verschiedenen Zeitebenen werden jeweils geschickt ins Spiel gebracht und man staunt als Leser immer wieder neu, was Phantasie so alles „anrichten und auslösen“ kann.


    Die FAZ hat dieses Buch als einen „…irrwitzigen metafiktionellen Montageroman….“ bezeichnet, der „….Fakten und Fiktion systematisch und aufwendig durcheinander wirft….“ und trifft es damit wirklich gut.


    Man sollte aber nun Setz nicht mit Kafka, Pynchon oder was weiß ich vergleichen; denn Setz ist Setz und steht für sich selbst am besten. Er kann es – wird es aber wohl schwer haben, dass Niveau von „Indigo“ zu halten. Eines aber steht fest: Setz muss sich niemand und nichts mehr beweisen – denn diesen Beweis hat er spätestens mit diesem Buch eindrucksvoll angetreten.


    Clemens J. Setz wurde 1982 in Graz geboren. Seit 2001 studiert er an der dortigen Universität Mathematik und Germanistik. Er ist Obertonsänger, Übersetzer und Gründungsmitglied der Literaturgruppe Plattform. Zahlreiche seiner Gedichte und Erzählungen wurden in Zeitschriften und Anthologien veröffentlicht. 2008 wurde er beim Bachmann-Wettbewerb mit dem Ernst-Willner-Preis ausgezeichnet.


    Dieser Roman von Clemens J. Setz bekommt von mir 10 Eulenpunkte – auch wenn er ganz sicher ein paar Punkte mehr verdient hätte.

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Ich war von Indigo schwerst enttäuscht.


    Die ersten 100 Seiten gefielen mir eigentlich, bis ich bemerkte, dass Clemens J. Setz 1000 Türen öffnet, ohne durch eine einzige zu gehen, fühlte ich mich schlichtweg betrogen.


    Obwohl ich mit postmoderner Literatur kaum Probleme habe, kam es hier wie eine lose Anneinanderreihung von Ideen vor. Davon fand ich einige sogar sehr gut (Indigo-Syndrom, Die Männer, die Zigaretten holen gehen und verschwinden). Nervig fand ich seine Dialogszenen mit popkulturellen Verweisen. Wenig aussagereich, selten witzig.


    Was mich ganz besonders störte, war sein Hang zu offenen Enden.


    Beispiel:


    Somit beschlich mich das Gefühl, dass das ganze nicht zu Ende gedacht wurde. Gerade die vielen Auszüge, Papierschnipsel, Fotografien wirken deplatziert. Und was sollten die grüne und rote Mappe, die für "Go" und "No-Go" stehen? Vielleicht hätte Setz in weitere 400 Seiten investieren sollen, um ein rundes Bild zu formen. Denn ich glaube, dass er Potential dazu hat.


    Oder dann doch lieber Pynchon?

  • Danke Voltaire für die berechtigte Laudatio auf meinen Landsmann Setz. Dem ist nichts mehr hinzuzufügen. Meiner Meinung nach ein Virtuose.


    Ich finde folgendes Motiv im Roman "Indigo" grenzgenial gesellschaftskritisch: Robert, ein erwachsenes Indigo-Kind aus der Helianau, hat eine Partnerin, Cornelia, mit der er zusammenwohnen kann. Anfangs habe ich vermutet, dass Cornelia an Epilepsie erkrankt ist. Nach und nach wurde mir klar, dass sie sich ständig zudröhnen muss, obwohl manchmal heroisch niedrigerdosierend - (z.B. schwere Medikamente gegen Panikattacken etc.), um von Robert nicht verlassen zu werden. Dabei meine ich, dass ihre Angst - Fazit: durch Robert ist sie leider chronische Angstpatientin geworden !!! - völlig unbegründet ist: Robert muss doch heilfroh sein, wenn er eine Masochistin findet, die bereit ist, die grauenvollen Nebenwirkungen eines Zusammenlebens mit ihm auf sich zu nehmen. Sie schaut sich auch tapfer Horrorfilme mit ihm an.
    Cornelia ist ja auch eine sehr erfinderische Therapeutin: Sie bastelt für ihn kleine Häuschen aus Zündhölzern, die sie ihm als Anti-Wut-Kaugummi verabreicht. Und ihr "Heilmittel" hilft Robert.


    Meine bescheidene Meinung: Setz nimmt auch KRANKE Partnerschaften auf die Schaufel. Manche Menschen durch ihren Partner krank werden, sie jedoch für nichts auf der Welt das (heilbringende) Weite suchen wollen. Co-Abhängigkeit nennt man das wohl.


    Ich kann leider über den Roman nichts sagen, weil ich die Kapitel, wo Cornelia vorkommt, nicht ertragen kann. Da wird MIR speiübel. Und irgendwann habe ich die Robert & Cornelia-Kapitel überblättert ... ich bin also - als symptomgeplagte Leserin - auch kurz mal Zigaretten holen gegangen und habe das Weite gesucht.


    Das Motiv der Indigo-Kinder erinnert mich an Stephen King, obwohl ich keines seiner Bücher oder seiner Filme kenne. Vom Teufel besessene Kinder. Irgendetwas in dieser Richtung.


    Die Figur des Lehrers Setz hat auch eine ironische Facette: Setz schreibt ja seine Diplomarbeit in Mathematik über das Thema "Ein Vater hatte zwei Söhne..." So beginnen bei JESUS viele Gleichnisse !
    Ebenso wie Jesus setzt sich auch der Lehrer Setz den Aussätzigen seiner Gesellschaft aus, bzw. wird von seinem Diplomarbeitsbetreuer an diese Aufgabe herangeführt.
    Ebenso wie Jesus wird auch der Lehrer Setz eines schweren Verbrechens (grausamer Mord) verdächtigt. Dafür gibt es im 21. Jahrhundert in Österreich zwar nicht mehr die Todesstrafe, aber ...

  • Clemens Setz hat bereits 2008 einen Roman (ca 450 Seiten stark) über den österreichischen Serienmörder (immer Prostituierte) aus dem Englischen übersetzt. Das ist für mich die Erklärung, warum diese morbide Grundstimmung in "Indigo" so richtig ausgereift ist wie ein alter Wein, der lange im Keller herangereift ist.


    2007: Debütroman "Söhne und Planeten"
    2009: "Die Frequenzen"
    2011: "Die Liebe zur Zeit des Mahlstädter Kindes" (Erzählband)
    2012: "Indigo"