Auf der Rückseite dieses schmalen Bändchens im Reclam-Gelb ist zu lesen:
Dieser Heimkehrer aus dem ersten Weltkrieg, ist er Annas geliebter, totgesagter Mann? Wenn er aber ein Betrüger ist, warum geht Anna auf ihn ein?
Zum Autor
Leonhard Frank wäre so viel zu erzählen, dass er 1882 in Würzburg geboren wurde und 1961 in München starb beispielsweise, das klingt nach Kontinuität, aber damit ist es nicht weit her in den Zeiten, in denen er lebte, schon gar nicht, wenn man politisch nicht dort stehen wollte, wo die Machthaber und Krawallmacher das gerne gehabt hätten. Als sozialkritischer und pazifistischer Erzähler gilt er, seine Bücher wurden unter den Nationalsozialisten verbrannt, er selber musste emigrieren, in die Schweiz, nach England, nach Frankreich. Er wurde wie so viele interniert und konnte letztlich nach abenteuerlicher Flucht in die USA entkommen. 1950 kehrte er nach Deutschland zurück; ob er hier wieder heimisch wurde, wenn ein Teil des Lesepublikum ihm nicht mehr zuhören, ihn nicht mehr lesen wollte? Weil er nicht den Mund halten wollte über das, was die Nazi taten, auch nicht darüber, welche Karrieren möglich waren in der Bundesrepublik.
Zahlreich ist er ausgezeichnet worden; dazu und zu einem intensiveren Über- und Einblick in und auf sein Leben verweise ich auf
den Eintrag bei Wikipedia
und
die Homepage der Leonhard-Frank-Gesellschaft.
Meine Meinung:
Band Nr. 8952 der Reclams Universal-Bibliothek.
Insgesamt 76 Seiten, davon 70 Seiten Text der Erzählung, der Rest gehört einem Nachwort von Heinrich Vormweg (lesenswert, aber leider undatiert).
„Charlott gewidmet“ (Charlott ist seine dritte (Ehe-)Frau).
Zum ersten Mal wurde „Karl und Anna“ 1927 veröffentlicht.
Richard und Karl verbindet eine Freundschaft, in der besonders der Eine dem Anderen alles sagt, über seine Frau zum Beispiel, intimste Dinge auch, so viel, dass der Zuhörende ein mehr als genaues Bild bekommt. Er weiß, wie sie sich bewegt, wie sie isst, wie sie schläft, alles weiß er und so scheint es kein Wunder, dass er dieses Bild zu lieben beginnt. Kein Wunder ist es auch, dass er bei einer „günstigen Gelegenheit“ die Flucht wagt aus der Kriegsgefangenschaft und sich auf den langen, beschwerlichen Weg macht in die Stadt, zu der Frau, zu Anna. Und dort sagt Karl, er sei Richard, Annas Mann. So verinnerlicht hat er sein Träumen, sein Sehnen, dass er nicht versteht, dass Anna zögert, dass sie nicht denselben Traum zu träumen beginnt. Später, nach ein paar Tagen, wird Anna sich eingestehen müssen, dass Erinnerung ein Verfallsdatum hat, und die Liebe auch. Und noch später, dann steht wieder ein Heimkehrer vor der Tür, der behauptet, er sei Richard, Annas Mann.
Wie leicht wäre es, die ganze Geschichte zu erzählen, nicht viele Worte würde man dafür brauchen. 1918/1919 spielt die Handlung, in einem Milieu, dass man heute wohl „sozialer Brennpunkt“ betiteln würde. Arm sind die Menschen, bitter- und bettelarm, viele Männer, als Soldaten allzu freudig in den Krieg gezogen, den man später den Ersten Weltkrieg nennen würde, allzu viele sind gefallen oder in Kriegsgefangenschaft. Die Not der Verwitweten und Verwaisten, die Wohnungsnot, mangelnde Arbeitsstellen, Hunger, aber auch die Findigkeit der Menschen, sich den Gegebenheiten anzupassen, das Beste aus dem Wenigen resp. Nichts zu machen, das alles schildert Frank sehr eindrücklich. Viele Worte braucht er nicht, um alles plastisch zu beschreiben, fast sachlich kommt das daher, nicht wertend und doch Mitgefühl weckend.
Was diese Erzählung für mich so überaus besonders macht, ist die Feinfühligkeit, mit der Frank das Innen-, das Gefühlsleben seiner Protagonisten beschreibt. Und das ist beileibe nicht auf die Hauptpersonen beschränkt, Frank ist ganz bei jeder seiner Figuren, mit großem psychologischen Gespür bringt er dem Leser die für die damaligen dramatischen Zeiten im Grunde alltäglichen Geschehensabläufe nahe, lässt sie nachvollziehbar, ja fast logisch erscheinen. Wie das geht mit der Moral, die sich auch anpassen muss, die gedehnt, zurechtgebogen wird, bis sie passt und wie dann doch die traditionellen Wertemuster auf einmal wieder greifen können, erklärt und erzählt Leonhard Frank auf eindrückliche Weise. Leicht lesbar habe ich das Buch empfunden, obwohl schon 1927 veröffentlicht, zwar ist da manches Wort, das man heute kaum noch benutzt, manche Satzstellung, manche Formulierung, die heute wahlweise ein bedauerndes oder ein leise befremdliches Lächeln hervorruft, trotzdem: Diesem Buch haftet – für mich – etwas zeitloses an, etwas, was gilt, ob nun 1919, 1927 oder 2013.
MRR sprach übrigens in Bezug auf „Karl und Anna“ von einer „erotischen Arbeit“. Nun ja, lohnt es der Erwähnung?: Nicht nur muss man lesen von außerehelichem Geschlechtsverkehr, von keiner Kirche und keinem Staat abgesegneten Verhältnissen zwischen Männern und Frauen, nein, man muss sogar erfahren, dass selbst zu damaligen Zeiten die Menschen nackt waren, wenn sie ihre Kleidung ablegten. Aber wenigstens ist der Leser darüber informiert, was die Damenwelt damals unterm Kleid und auf der Haut zu tragen pflege (allerdings, ob nun in den gesellschaftlichen Verhältnissen wie den beschriebenen oder allgemein, habe ich nicht hinterfragt).
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