Yukio Mishima - Geständnis einer Maske

  • Titel: Geständnis einer Maske
    OT: Kamen No Kokuhaku
    Autor: Yukio Mishima
    Verlag: Rowohlt
    Erschienen: August 2007 (9. Auflage)
    Seitenzahl: 160
    ISBN-10: 3499156520
    ISBN-13: 978-3499156526
    Preis: 6.95 EUR


    Ein Mann auf der Suche nach sich selbst. In diesem beeindruckenden autobiographischen Roman begibt sich Yukio Mishima auf Spurensuche. Wo begann alles? Wann hatte er zum ersten Male das Gefühl doch anders zu sein als seine Kameraden?


    Seine erste Ejakulation hatte der Ich-Erzähler beim Anblick des Märtyrerbildes des Heiligen Sebastians. Da wird er sich zum ersten Male – noch etwas schemenhaft – seiner sado-masochistischen Fixierung und seiner Homosexualität bewusst. Doch natürlich konnte er das im Japan der dreißiger und vierziger Jahre des vorigen Jahrhunderts nicht offen ausleben. Und so bemühte er sich um Mädchen, schafft es aber auch in einem Bordell nicht seine Jungfernschaft zu verlieren. Er blieb offensichtlich Zeit seines Lebens ein Getriebener, der anders war, der aber nicht anders sein durfte. Und so wird er zur Maske. Eine Maske, die nur in ganz wenigen Momenten abgenommen wird.


    Es ist diese nichtvoyeuristische Rückschau auf das vermeintliche Anderssein, die dieses Buch zu einem ganz besonderen Buch macht. Was heute als Selbstverständlichkeit gilt, war damals alles andere als selbstverständlich und konnte die totale gesellschaftliche Ächtung nach sich ziehen. Und man merkt diesem Buch an, wie der Ich-Erzähler litt, wie er irritiert versucht das zu verstehen was mit ihm passiert. Und irgendwie muss er dann einsehen, dass er nun einfach einmal so ist und dass er mit seiner Veranlagung leben muss. Aber er muss auch einsehen, dass er allein dasteht, dass er niemand um Hilfe bitten kann – ein Outing hätte mehr als katastrophale Folgen für ihn gehabt.


    Der Autor schildert sehr eingehend und sensibel die Zerrissenheit seines Protagonisten. Man merkt diesem Buch eben auch an, dass dort jemand über etwas schreibt, dass dem eigenen Erfahrungsschatz entsprungen ist. Yukio Mishima hat die besondere Gabe Gefühle so zu beschreiben, dass man als Leser diese Gefühle fast nachempfinden kann. Da wird nicht abstrahiert oder vermutet, nein, da wird das in Worte gekleidet was so tatsächlich ist. Leseeindrücke der nicht unbedingt alltäglichen Art.


    Der Autor erlaubt seinen Lesern aber auch einen kleinen Blick auf das traditionelle Japan kurz, im und nach dem Zweiten Weltkrieg. Über das Mannsein in dieser Zeit, über die Rolle des Mannes und darüber, dass das Anderssein eben nicht einmal auch nur ansatzweise geduldet wurde.


    Ein sehr lesenswertes Buch von einem Autor, der im November 1970 durch einen angekündigten Harakiri freiwillig aus dem Leben schied. Mishima wurde 1925 in Tokio geboren. 8 Eulenpunkte für ein Buch eines großen japanischen Literaten.

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Vor acht oder neun Jahren gelesen und damals wie folgt rezensiert:


    Mit fünfundzwanzig Jahren schrieb der 1924 geborene und 1970 durch öffentlich angekündigtes Harakiri verstorbene japanische Autor diesen autobiographischen Roman. Bereits in diesem frühen Buch nimmt seine Todessehnsucht, die Ziel- und Sinnlosigkeit des Daseins innerhalb einer Sozialstruktur wie derjenigen Japans großen Raum ein.


    Mishima erzählt von der Kindheit und Jugend eines Helden, der schwächlich ist und häufig kränkelt, von der Großmutter aufgezogen wird, und nach und nach das Wesen der menschlichen Interaktion zu durchdringen versucht - auf ganz eigene Art und Weise. Er hat seltsame Träume und Phantasien, in denen viel Blut und nackte Männer eine Rolle spielen. Seine erste Erektion bekommt er, als er ein Gemälde sieht, das den Heiligen St. Sebastian darstellt, gekleidet nur mit einem Tuch um die Hüfte, durchbohrt von Pfeilen. Fortan onaniert er mit solchen und ähnlichen Bildern im Kopf. Unser Protagonist ist homosexuell, aber er begreift es nicht, will es nicht begreifen, weil ihm die nötigen Vergleiche, Informationen, gesellschaftlichen Parameter nicht zugänglich sind. Stattdessen versucht er, die Konventionen und Umgangsformen seiner Umwelt nachzuahmen, sogar zu verinnerlichen: Er kreiert seine Maske, das Außenwesen, während in ihm ein Konflikt schwelt, dem er nicht Herr wird. Das Problem gipfelt in der "Liebe" zur zarten Sokomo, eine Liebe, die er sich nur einredet, während seine Begierden in einer ganz anderen Liga spielen.


    Das Buch ist trotz seiner Kürze etwas zäh und langatmig, aber detailreich und stark auf Reflexion angelegt, was aufgrund der stark bevormundenden Erzählweise zu einer nicht angemessenen Würdigung von Thematik und Geschichte führt. Legt man jedoch Sozial-, Kultur- und Weltgeschichte des Entstehungszeitraums zugrunde, verändert sich der Leseeindruck. Es entsteht ein mutiges, ehrliches und lehrreiches, allerdings nur mäßig gut erzähltes Dokument von großer emotionaler Tiefe, das einen Eindruck davon vermittelt, wie es in einem jungen Menschen aussieht, der seine Andersartigkeit entdeckt, sie aber um jeden Preis verheimlichen muß. Auch vor sich selbst.

  • Nach einer Rezension von Waldfee aus dem Jahr 2004 ist Yukio Mishima nun wiederentdeckt worden. Wunderbar, auch wenn ich mir gewünscht hätte, dass zu seiner Biografie etwas mehr geschrieben worden wäre. Mein Wunsch bezieht sich nicht nur auf den Hinweis, dass Mishima, geboren in einer Samuraifamilie, als Anwärter auf den Nobelpreis für Literatur gehandelt wurde, sondern auch auf seine politischen Aktivitäten, die dem rechten Lager zuzuordnen waren und seinen Selbstmord, den er nach Beendigung des vierten Teils seiner Tetralogie "Das Meer der Fruchtbarkeit" verübte.

  • Danke Voltaire für deine tolle Rezi! Das Buch ist bereits gekauft. Ich habe zwar die Biografie von Yukio Mishima (siehe unten), aber tatsächlich noch nie etwas von dem Autor gelesen.
    Thematisch spricht mich "Geständnis einer Maske" an und ich bin froh, dass du mich mit deiner Rezi darauf aufmerksam gemacht hast. :kiss

  • Der Ich-Erzähler des Romans berichtet rückwirkend über die Zeitspanne seines Lebens von der Kindheit bis ins junge Erwachsenenalter. Das umfasst ungefähr die Zeit von 1925 bis ein paar Jahre nach Ende des zweiten Weltkrieges.


    Homosexualität und ihre gesellschaftliche Unvereinbarkeit in Japan der damaligen Zeit führen zu Reflexion und Analyse eines Seelenlebens und sind das Thema dieses Buches. Die Romanfigur seziert sich selbst, legt Innenansichten frei. Dabei merkt man den Kampf des Protagonisten, etwas in Worte zu fassen, was er selbst nicht richtig be-greifen und er-greifen kann. Der Leser wohnt einer inneren Zersetzung bei, die gleichermaßen quälend und im Kontext heutiger Maßstäbe sinnlos erscheint.


    Bestürzt liest man, dass der Protagonist nach zähem Ringen und kräftezehrendem Versteckspiel schlussendlich zu der Erkenntnis gelangt, dass er nicht mehr Mensch, sondern nur noch Kreatur ist.


    Dabei prangert der Autor nie an, schreit die Ungerechtigkeit, die diesem Leben innewohnt, nicht laut hinaus, sondern richtet den Blick ausschließlich nach innen.


    Die beklemmende Eindringlichkeit des Textes entsteht durch die schonungslose Ehrlichkeit, mit der berichtet wird und durch die autobiografischen Züge die im Roman mitschwingen.


    Trotzdem ist das Buch in Abschnitten etwas zäh und fordert dem Leser Geduld ab. Thematisch ein hochkarätiges Buch, besticht es in der erzählerischen Kraft leider nicht in gleichem Maße. Jedoch blitzen immer wieder Textstellen hervor, die aphoristisch anmuten und den Text glänzen lassen.


    Beispiele:


    S. 115
    Romantikern ist ein leises Mißtrauen dem Intellekt gegenüber eigen, und diese Tatsache führt oft zu jener ans ich unmoralischen Handlung, die man Tagtraum nennt. Im Gegensatz zur allgemeinen Annahme handelt es sich beim Tagtraum nicht um einen intellektuellen Vorgang, sondern eher um einen Fluchtversuch vor dem Intellekt…


    S. 143
    Gefühle entziehen sich einer festen Einordnung. Statt dessen schweben sie wie winzige Partikel in der Atmosphäre frei im Raum umher, und ihr Hauptmerkmal ist die Unbeständigkeit.


    Der Roman ist absolut lesenswert und ein emotionales Schwergewicht.


    Ich gebe 7 von 10 Eulenpunkten.