Der Vater eines Mörders - Alfred Andersch

  • Kurzbeschreibung:
    Der vierzehnjährige Franz Kien beschreibt eine Griechischstunde im Mai 1928. Schuldirektor Himmler kommt, um die Klasse zu inspizieren. Bald wird jedoch klar, daß er vorhat, ganz bestimmte Schüler zu examinieren. Nach dem Adligen Konrad von Greiff ist Franz Kien selbst an der Reihe. Der Schuldirektor unternimmt alles, um ihn zu blamieren.


    Über den Autor:
    Alfred Andersch, geboren 1914 in München, wurde 1933 wegen seiner politischen Aktivität im Kommunistischen Jugendverband im KZ Dachau interniert. Nach seiner Desertion aus der Wehrmacht 1944 verbrachte er über ein Jahr in amerikanischer Kriegsgefangenschaft. Zurück in Deutschland, arbeitete er als Journalist und Publizist, namentlich beim Radio. Andersch zählt zu den bedeutendsten Autoren der deutschen Nachkriegsliteratur, seine Bücher sind längst Schullektüre. Er starb 1980 in Berzona/Tessin.


    Mein Eindruck:
    Diese Novelle erschien 1980, dem Jahr als Alfred Andersch starb und es ist eine Schulgeschichte. Das zeigt mir deutlich, dass die Schulzeit so prägend ist, dass sie einen Menschen bis zu seinem Lebensende belasten kann.


    Der Protagonist dieser Geschichte Franz Kien ist ein Schüler im Jahr 1928 und wie der Autor im Nachwort schreibt, ist es eine sehr autobiographische Geschichte, die mich vom Ton und teilweise Form an die Hanno-Kapitel der Buddenbrooks von Thomas Mann erinnern. Auch an Der Abituriententag von Franz Werfel musste ich denken.
    Hier ist nicht besonders lustig wie man denken könnte, wenn man die Heinz Rühmann-Verfilmung Die Feuerzangenbowle als stellvertretend für Schülergeschichten sähe.


    Franz Kien wird vom Schuldirektor in Griechisch befragt und vor der ganzen Klasse gedemütigt. Eine Entfernung aus der Schule wegen schlechter Leistungen wird ebenfalls angekündigt.


    Mich konnte die Novelle wirklich fesselnd, aber es ist ein wenig so, als säße man in der Klasse und würde alles mit ansehen. Das macht Franz zunächst auch, den zuerst wird der adlige Schüler Konrad von Greif vom Rektor fertig gemacht. Dann entsteht die Angst, als nächster an die Reihe zu kommen und so kommt es dann tatsächlich.


    Der Text ist sprachlich altmodisch gehalten. Wie Andersch im Nachwort geschrieben hat, wollte er vermeiden Wörter zu verwenden, die 1928 noch nicht zu seinem Wortschatz gehörten. Eine richtige Entscheidung, wie ich finde.


    Die Novelle ist lesenswert, vielleicht lese ich demnächst noch etwas von Alfred Andersch.

  • Danke für die Erinnerung an Andersch, ich habe zu Schulzeiten "Sansibar oder der letzte Grund" gelesen und fand das sehr gut! Ich glaube, ich muss mal kramen, wo das Buch ist, das hab ich noch!


    Tante Edith mäkelt an der Rechtschreibung und fragt sich, ob wohl der Himmler mit dem Vater eines Mörders gemeint ist?

    :lesend Anthony Ryan - Das Heer des weißen Drachen; Navid Kermani - Ungläubiges Staunen
    :zuhoer Tad Williams - Der Abschiedsstein

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  • Zitat

    Original von Caia
    Tante Edith mäkelt an der Rechtschreibung und fragt sich, ob wohl der Himmler mit dem Vater eines Mörders gemeint ist?


    Ja, bei dem Direktor handelt es sich um den Vater von Heinrich Himmler. Soviel ich weiß, ist diese Erzählung autobiographisch: Alfred Andersch hat in seiner Schulzeit diese Begegnung mit Himmlers Vater, der ihn in griechisch prüfte, tatsächlich gehabt.


    Es ist auf jeden Fall ein sehr lesenswertes Buch. Mir persönlich gefällt Sansibar oder Der letzte Grund aber besser. Es ist eins meiner Lieblingsbücher, das ich mittlerweile schon 3 oder 4mal gelesen habe.

  • Zu Herrn Palomars Kommentar:


    Ihr Kommentar ist klar und erfaßt sicher eine Ebene, die Erzählebene. Dennoch halte ich diese Interpretation nicht für ausreichend: A.A. ist gezeichnet vom Nationalsozialismus, vom Erleben des Nationalsozialismus. Er gehörte einmal einer KPD-nahen Organisation an ... Das darf nicht ausgeklammert werden. Es ist nicht eine "Altherren-geschichte".
    Meiner Meinung nach handelt es sich bei dieser Darstellung um die Transposition von NS-verhörmethoden auf eine Schulebene in Gestalt des Rex. Er schreibt selbst, dass die Geschichte nur interessant ist für ihn als eine Geschichte von Himmlers Vater.
    Ich bin nun kein Fachmann, aber mir scheint die Kurzgeschichte stark konstruiert zu sein, auch insofern einige Mängel zu haben: Doch diese Idee, aus einem Vater eines Verbrechers einen potentiellen, durch die Lebensumstände aber daran gehinderten zweiten Himmler zu machen, fasziniert mich. Die Verhörmethoden im III. Reich bedienten sich all der Techniken, die auch unser Rex hier gegenüber einer Klasse bediente, mutatis mutandis!
    Es wäre interessant, was Sie dazu denken.

  • Ich gebe Ihnen Recht, dass man den Einfluß des Nationalsozialismus bei dieser Novelle nicht außer Acht lassen darf. Das war offensichtlich Motivation des Autors, ich glaube aber dennoch ebenfalls an einen autobiographischen Bezug.
    Für mich als Leser war darüberhinaus am Entscheidensten, dass man wie ein tatenloser Zuschauer in die Geschichte hineingezogen wurde. Das war wenig angenehm, aber erhöhte die Wirkung.