Carla Norton: Und nachts die Angst

  • Allgemeines
    Originalausgabe: The Edge of Normal
    Erscheinungstermin der deutschen Ausgabe: 03.06.2013 im Knaur Verlag TB
    400 Seiten, verteilt auf 80 Kapitel
    Erzählung in der dritten Person, größtenteils im Präsens gehalten


    Kurzbeschreibung (Quelle: amazon)
    Die unbeschwerte Kindheit der 12-Jährigen Reeve LeClaire fand ein jähes Ende an dem Tag, an dem sie ein perfider Triebtäter entführte und misshandelte. Erst nach Jahren der Gefangenschaft konnte Reeve fliehen und ihr Peiniger gefasst werden. Doch Jahre nach ihrer Flucht werden in Kalifornien erneut drei Mädchen entführt, von denen schließlich eins entkommen kann: Tilly. Sie ist das jüngste Opfer, schwer traumatisiert und verweigert jegliche Aussage. Schließlich bitten die Eltern des Mädchens Reeve um Hilfe. Immer tiefer gerät Reeve in die aktuellen Ermittlungen und ins Visier des brutalen Killers, der sie keine Sekunde unbeobachtet lässt …


    Autorin (Quelle: Info im Buch)
    Die US-Amerikanerin Carla Norton ist eine erfolgreiche Gerichtsjournalistin und berühmte Bestsellerautorin von True-Crime-Büchern. Mit "Und nachts die Angst" legt sie ihr beeindruckendes Thrillerdebüt vor, das über Nacht in zahlreiche Länder verkauft wurde.


    Zum Inhalt
    Die 22-jährige Reeve LeClaire ist seit sechs Jahren in psychiatrischer Behandlung bei Dr. Lerner in San Francisco. Durch die Therapie will sie ihre schrecklichen Jugenderlebnisse aufarbeiten, denn sie wurde im Alter von 12 Jahren entführt und vier Jahre lang von einem sadistischen Pädophilen gefangen gehalten, bis sie durch einen glücklichen Zufall fliehen konnte. Ihr Entführer/Vergewaltiger ist inhaftiert, dennoch hat Reeve ihre Angst und Menschenscheuheit noch nicht abgelegt.
    Als in Jefferson City die 13-jährige Tilly Cavanaugh, eins von drei entführten und seither spurlos verschwundenen Mädchen, in einem Keller aufgefunden wird, bittet Dr. Lerner Reeve, mit dem völlig traumatisierten Mädchen zu reden, da er hofft, eine (ehemalige) "Leidensgenossin" könne Zugang zu Tilly finden.
    Auch der Entführer von Tilly konnte festgenommen werden, auf dem Weg zur Gerichtsverhandlung wird er jedoch erschossen, bevor er wichtige Aussagen machen kann. Die Polizei geht zunächst von Lynchjustiz an einem Kinderschänder aus, doch bald ergeben sich Hinweise darauf, dass jemand einen Grund gehabt haben könnte, ihn zum Schweigen zu bringen. Nachdem eine weitere Person, die in den Fall verwickelt ist, tödlich "verunglückt", ist Reeve davon überzeugt, dass Tillys Entführer kein Einzeltäter gewesen sein kann. Sie geht außerdem davon aus, dass Hannah und Abby, die beiden anderen vermissten Mädchen, noch leben könnten und beginnt auf eigene Faust zu ermitteln.
    Dabei muss sie sich ihren schlimmsten Ängsten stellen und gerät in Lebensgefahr, denn sie hat es mit einem ebenso teuflischen wie intelligenten Gegenspieler zu tun.


    Beurteilung
    Der Beginn des Buchs lässt einen psychologischen Roman erwarten, der das Hauptaugenmerk auf die Psyche einer durch Missbrauch und Misshandlungen traumatisierten jungen Frau richtet, die trotz der Therapie und der intensiven Beschäftigung mit Literatur über Traumaverarbeitung nur langsam ins normale Leben zurückfindet. Als Reeve nach Jefferson City reist und sich einfühlsam um Tilly kümmert, verlagert sich der Schwerpunkt des Romans auf die Ebene eines Thrillers, denn Tilly verrät Reeve Details, die sie der Polizei nicht zur Kenntnis bringt, woraufhin Reeve selbst zu ermitteln beginnt.
    Im Gegensatz zu Reeve und den offiziell ermittelnden Beamten ist dem Leser der wahre Täter (Drahtzieher der Entführungsfälle und mehrfacher Mörder) von Anfang an bekannt. Dieser Umstand nimmt dem Buch nicht die Spannung, da der Leser nun die finsteren Machenschaften dieses intelligenten, manipulativen und völlig skrupellosen Mannes verfolgen kann und um das Wohl der Protagonistin bangt.
    Der inhaltlichen Aufteilung folgend ist der Sprachstil im ersten Teil eher nüchtern analysierend und etwas distanziert, wird im thrillermäßigen Teil jedoch zunehmend fesselnder, sodass man das Buch dann nicht mehr unterbrechen möchte. Für sehr sensible Leser sind die geschilderten Verbrechen schwer zu verkraften, insgesamt wählt die Autorin aber einen relativ sachlichen Stil und der Leser muss nicht zum "Augenzeugen" von Missbrauch und Misshandlung werden.
    Die Charaktere von Reeve und ihrem Gegenspieler sind vielleicht etwas überspitzt dargestellt: Reeve ist für eine Frau mit ihrer Vorgeschichte zu mutig und zu leichtsinnig und der Verbrecher ist etwas zu genial, ein wahres kriminalistisches Multitalent. Gerade diese Kombination sorgt allerdings für große Spannung mit einem atemberaubenden Finale.


    Fazit
    "Und nachts die Angst" ist ein Roman mit zunächst sanft , dann steil ansteigender Spannungskurve, der das sehr bedrückende und leider auch aktuelle Thema von Entführung mit monate-/jahrelangem Missbrauch präsentiert.
    8 Punkte

  • Wie lebt man damit, wenn man als Kind jahrelang gefangen gehalten, misshandelt und vergewaltigt wurde?
    Wir lernen Reeve kennen, der genau das geschah. Inzwischen eine junge Erwachsene, leidet sie immer noch unter den Folgen dieser grauenhaften Erfahrung. Als ihr Psychologe zu einem ähnlichen Fall gerufen wird, bittet er sie als Beraterin dazu. Auch Reeve wurde damals durch jemandem geholfen, der ähnliches durchmachen musste wie sie und sie deswegen besser verstehen konnte als jeder andere. Tilly, das entführte und wiedergefundene Mädchen, erzählt Reeve jedoch ein Detail ihrer Entführung, das sie sonst niemandem erzählt hat. Und da Reeve ihr versprochen hat, nichts zu sagen, beschließt sie, selber ein wenig zu ermitteln.


    Reeve macht im Laufe des Buches eine enorme Entwicklung durch. Durch Tilly, der sie beisteht, ist sie endlich dazu in der Lage, sich nicht mehr dauernd mit sich selber zu beschäftigen und alles, was um sie herum passiert, auf sich zu beziehen. Sie ist fast unvernünftig engagiert in der Sache und begibt sich in Gefahr, wenn sie sich z.B. unbewaffnet allein in die Nähe eines verdächtigen Hauses begibt.


    Der Täter ist dabei von Beginn an dem Leser bekannt. Es geht in diesem Krimi nicht darum, den Täter zu finden, sondern darum, wie er schließlich zur Strecke gebracht wird. Das erweckte bei mir in der Mitte des Buches die Bedenken, das hier jetzt ein bemühtes Katz und Maus-Spiel von der Autorin betrieben wird. Das ist im Grunde auch so, trotzdem bleibt es spannend. Zwar begibt sich Reeve immer wieder haarsträubend gedankenlos in gefährliche Situationen, und ich empfand auch ihr bedingungsloses Festhalten an dem Schweigeversprechen angesichts der Situation sehr bedenklich. Aber andererseits muss man sich auch vor Augen halten, wie prägend und traumatisierend ihre Erfahrungen in ihrer Kindheit waren. Das ist auch die Stärke des Buches. Sehr anschaulich, auch ohne voyeuristische und grausliche Details, kann man spüren, welchen Einfluss auf die grundlegenden sozialen Fähigkeiten eines Menschen solch ein Erlebnis ist.


    Der Autorin ist ein guter und spannender Krimi gelungen, dessen Ausgangspunkt ein sehr aktuelles und beklemmendes Thema ist. Die Krimihandlung an sich ist auch spannend, wenn auch relativ konventionell.

    “Wer kleine Kinder und Hunde nicht mag, kann kein schlechter Mensch sein



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  • Reeve war vier Jahre lang von einem sadistischen Pädophilen gefangen gehalten worden, als sie mit 16 zufällig befreit wird. Jetzt, sechs Jahre später benötigt sie immer noch psychiatrische Hilfe. Da wird die zwölfjährige Tilly aus einer ganz ähnlichen Situation befreit und wünscht sich, mit Reeve sprechen zu können. Reeve sagt zu. Doch als Tilly ihr ein bisher geheimgehaltenes Detail erzählt und sie gleichzeitig beschwört, dies nicht weiterzuerzählen, weiß Reeve, dass es noch nicht vorbei ist und ermittelt auf eigene Faust, dadurch bringt sie nicht nur sich in große Gefahr.


    Carla Nortons Thrillerdebüt ist für mich ein absolutes Lesehighlight, spannend bis zur letzten Seite, psychologisch fein gestrickt, mit sehr gut ausgearbeiten Charakteren und einer interessanten Story.


    Schon Cover und Titel sagen einiges aus über den Roman. Die kaputte Glühbirne, der Zigarettenrauch, beides vor dunklem Hintergrund, die Worte „nachts“ und „Angst“, all dies erzeugt schon eine gewisse Stimmung; und das Versprechen, das hier gegeben wird, kann die Geschichte halten, man kann die Ängste der Mädchen sehr gut nachfühlen. Außerdem nimmt auch die Perspektive des Täters großen Raum ein, dadurch wird das, was den Mädchen passiert ist, noch wesentlich greifbarer. Man merkt auch, dass Carla Norton weiß, wovon sie da erzählt. Als Gerichtsjournalistin hat sie sicher einiges erfahren (müssen).


    Das Geschehen ist psychologisch gut ausgearbeitet und größtenteils mit einer gewissen Distanz geschrieben, so hat die Autorin durchgehend auf die Ich-Perspektive verzichtet. Diese Distanz tut nicht nur dem Leser gut, sie drückt auch z. B. die emotionale Distanz des Täters aus und auch die Distanz, die Reeve herstellen musste, wollte sie nicht am Geschehen zerbrechen. Trotzdem ist der Leser mitten in der Geschichte, denn sie berührt Ängste, die wohl jeder hat, die Angst, gefangen zu sein, misshandelt und gefoltert zu werden, einsam und verlassen zu sein und vor allem die Angst, vollkommen ausgeliefert zu sein. Besonders gut hat mir gefallen, dass auch der Gesundungsprozess dargestellt wird und es somit auch eine greifbare Hoffnung gibt.


    Carla Norton hat auch ihre Charaktere sehr gut ausgearbeitet. Vor allem Reeve finde ich sehr gut gelungen, man fühlt mit ihr, man hofft mit ihr und man kann sehr gut ihre Entwicklung erkennen. Ebenso der Gegenspieler, kalt, emotionslos und sehr clever, seine Gedanken und Handlungen können Angst machen. Etwas überzeichnet kommt einem nur die Staatsanwältin vor, was aber wahrscheinlich daran liegt, dass uns Deutschen das amerikanische Justizwesen oftmals sehr fremd ist.


    Kurze Kapitel und wechselnde Perspektiven tragen dazu bei, dass man das Buch vor Spannung kaum aus der Hand legen mag. Am Ende ist man zufrieden, ich finde alles ist durchaus logisch durchdacht.


    Absolut empfehlenswert für alle Thriller-Fans, für mich eines meiner Lesehighlights in diesem Jahr. Carla Norton werde ich im Auge behalten.

  • Bewertung: 8 von 10 Büchereulen


    Kritik: Zuerst musste ich mich mal wieder an ein Buch gewöhnen, aus dem nicht aus der Ich-Perspektive geschrieben ist. Das war anfangs eine ganz schöne Umstellung. Dennoch kam ich sehr schnell in die Geschichte hinein und fand es gut, dass man von Anfang an schon wusste, wer der Täter war. Interessanter war es zu beobachten, wie er der Polizei jedes Mal wieder entwischt. Die kurzen Kapitel waren am Anfang auch etwas gewohnt, da immer wieder von Ort zu Ort gewechselt ist, aber auch daran konnte man sich schnell gewöhnen. Einziger Punkt, den es zu bemängeln gilt, ist die Tatsache, dass man als Leser nicht wirklich viel Bezug zu den eingesperrten Mädchen aufbauen konnte. Denn so grausam sich der Klappentext auch liest, umso weniger Details wurden beschrieben - es lief alles auf einer sehr sachlichen Ebene ab, wie ich finde.
    Dennoch bin ich sehr begeistert gewesen von dem Schreibstil der Autorin, sowie der Story. Wer tiefgründige Thriller mag, der wird hier voll und ganz auf seine Kosten kommen.

    "Katzen achten nicht drauf, welche Namen wir ihnen geben. Sie haben ihre eigenen Namen und brauchen unsre nicht. Darum schaut einen eine Katze auch immer so mitleidig an, wenn man sie beim Namen ruft, den man ihr gegeben hat, als ob man es nie lernt.

  • Dieses Buch habe ich begonnen zu lesen, weil…


    …ich mal wieder einen richtigen spannenden Thriller lesen wollte und mich der Klappentext schon in seinen Bann gerissen hat.


    Eigener Leseeindruck:


    Reeve ist mittlerweile eine junge Frau, doch sie hat in ihrer Kindheit schon einiges erlebt. Sie wurde mit 12 Jahren entführt und jahrelang in einem Keller festgehalten, gefolter und vergewaltigt. Sie schaffte es irgendwie zu entkommen, doch das Geschehen verfolgt sie auch heute noch und sie nimmt immer noch therapeutische Hilfe in Anspruch, um mit dem Geschehenen umgehen zu können.


    Eines Tages wird sie von ihrem Therapeuten überrumpelt, der sie darum bittet sich um ein kleines traumatisiertes Mädchen zu kümmern, welches ebenfalls aus der Hand eines Psychopathen gerettet werden konnte. Ihr Name ist Tilly und der Fall weist einige Parallelen zu Reeves Entführung auf – und zudem besteht der dringende Verdacht, dass es noch mehr Mädchen getroffen haben könnte. Da der damalige Täter in Reeves Fall jedoch nachweislich im Gefängnis einsitzt, ist der Druck auf die ermittelnden Beamten enorm. Sie haben keine Anhaltspunkte und die Familien drängen auf Aufklärung.


    Reeve erklärt sich dazu bereit, mit Tilly zu sprechen. Schnell baut Tilly Vertrauen auf, wie es nur zwischen Gleichgesinnten entstehen kann, die ähnliche Gräueltaten durchleben mussten. Tilly beginnt sich zu öffnen…


    Dieser Thriller hat mir unglaublich gut gefallen. Er ist wahnsinnig spannend, beklemmend, soghaft. Die Taten der Psychopathen werden nicht näher beschrieben, das Grauen spielt sich daher eher im Kopf des Lesers ab. Besonders beeindruckt war ich in diesem Buch davon, wie die Traumata der Mädchen abgebildet wurden. Ein wirklich toller Thriller. Ich konne ihn nicht aus der Hand legen und bin gespannt auf weitere, hoffentlich noch folgende Bücher der Autorin.