Wenn ich mich an Konzerte in der Wuhlheide erinnere, erinnere ich mich auch immer gleichzeitig an endlos lange Fußmärsche. An unfassbares Gekurke, bis man einen Parkplatz findet und dann mindestens 20- 30 Minuten Gelatsche durch den Wald, bis man die für mich schönste Open- Air Bühne Deutschlands erreicht. So auch an diesem Abend. Wir sind ohnehin schon spät und bereits im Park vor der Bühne hören wir die Vorband. Wir rätseln. Haben keine Ahnung, wer da heute Abend den Support gibt, in Wolfsburg war es irgendein komischer DJ. Müssen wir nicht haben, einen doofen Dj. Nee, das ist kein DJ. Da grooven Gitarren und Bässe. Wer spielt da? Kommt uns so bekannt vor...ist das etwa...? Nee... oder etwa doch..? Kann das sein? Nee... doch! Tatsächlich! Häää?? Ja, doch! Gibts ja nicht!
Es ist Kraftklub.
Die mit K. Kein Zweifel. Als Vorband von Rammstein??? Am Eingang müssen wir tatsächlich zu den personalisierten Karten unseren Ausweis dazu zeigen, was ich aber insgeheim begrüße. Anders lässt sich diesem Drecksschwarzhandel wohl kaum entgegenwirken.
Wir kommen grade rechtzeitig zu "Songs für Liam" und bekommen noch ungefähr eine halbe Stunde zu sehen. Und freuen uns ein Loch in den Bauch. Kraftklub liefern eine coole Show, besonders Sänger Felix Brummer bietet lustige, selbstironische Ansagen ans Publikum. "Sind wir so scheiße? Gleich habt Ihrs ja geschafft!" Usw. Die Zwiegespaltenheit des Publikums ist durchaus zu spüren, besonders bei der vorletzten Nummer "Ich will nicht nach Berlin". Einige Pfiffe sind zu hören, aber auch Jubel. Ich muss sagen, dass ich sicherlich mit allem gerechnet hätte, aber nicht mit KK als positiven Überraschung- Support. Aber genau das ist es, weshalb ich Rammstein so mag. Ihre versteckten Statements, ich brauche nur "Frei.Wild" und "Echo" sagen. Ganz große Klasse. Die Band verabschiedet sich mit dem Song "Ich scheiß in die Disco" ("Die letzte Nummer, versprochen!" :lache) und wird auch nett vom Publikum (und uns) verabschiedet.
Apropos Publikum. Die Umbaupause nutzen wir, um uns umzusehen. Wie immer bei Rammsteinkonzerten ist alles bunt gemischt und fröhlich. Da stehen Männer in Metalkutten neben Frauen, die aussehen, als würden sie gleich auf eine Hochzeit gehen. Und umgekehrt. Junge, Alte und sogar Schnewittchen mit drei Zwergen, kein Witz. Die Frau ist Anfang dreißig und perfekt als Schneewittchen, inklusive Zopfperücke verkleidet! Überhaupt gibt es einige Skurillitäten. Männer in Bergarbeiteranzügen und Lampen am Kopf zum Beispiel. Im Gäste- VIP- Block sitzen der Sänger von den Phudys und Knorkator. Vor uns steht ein schwedisches Metalpärchen, die mich bitten, ein Photo von Ihnen zu machen. Wir unterhalten uns ein bisschen auf englisch, sie sind extra für Rammstein aus Stockholm angereist, sind an beiden Tagen dabei. Hinter uns stehen Engländer. Nach ca 40 Minuten fällt der Vorhang und die Show beginnt.
Das Bühnenbild ist klasse, aber bekannt. Wie auch schon bei der letzten Tour ist es eine Mischung aus Theaterstück, Pyroshow und Rockkonzert. Gleich zu Beginn fliegen etliche Knallkörper in den zwielichtigen Himmel. Sänger Till Lindemann schwebt in einem rosa TüTü- Fatsuit vom Himmel der Bühne herab. Das Publikum tobt. Der Sound ist leider nicht so, wie ich es sonst von der Band gewohnt bin. Ist es sonst wuchtig, satt, fett, komprimiert und glasklar, so ist es heute alles, aber nicht glasklar. Es schrammelt ein bisschen, besonders der Gesang ist unsauber abgemischt. Es folgen 90 heiße, perfekte Showminuten, in denen so ziemlich alles in die Luft fliegt, was der Pyromarkt so hergeben dürfte. Und es grooved. Besonders "Du riechst so gut", "Sonne", "Links234" und "Du hast" sind an Wuchtigkeit kaum noch zu toppen. Wie üblich gibt es viel Düsteres und das Spiel mit menschlichen Abgründen, aber auch die lustigen Elemente kommen wie immer nicht zu kurz. Das "Master And Sevant" Spielchen zwischen Till und Flake ist einfach köstlich. Flake landet im Kochtopf, wird mit Kanonen über die Bühne gejagt und sein Keyboard wird zerhämmert. Sein nacktes Hinterteil zeigt er auch mal bei "Bück Dich". Zwischendurch darf er betont lustlos im Glitzeranzug seine Soli spielen, muss aber dazu auf einem Laufband etliche Kilometer zurücklegen. Im Publikum headbangt Schneewittchen mit ihren drei Zwergen, ebenso wie das Schwedenpärchen und die Engländer. Außerdem singen die komplett alle Texte mit. ("Du rrrriessschst ssoo good", "Ick bin enddäussscht", "Der Sssweibeinär" usw)
Wirklich neu war nichts, auch das Überraschungsmoment mit dem abgefackelten Fan bei "Benzin" nicht. Gut, das ist jetzt nur eine zwischengeschobene Festivaltour und ich habe sie auch schon einige Male gesehen, aber ein bisschen mehr hätte ich erwartet. Mehr Herzblut, vielleicht. Für immerhin die Heimatstadt Berlin. Auch, wenn Till viel mit dem Publikum gesprochen hat und die Engländer restlos begeistert waren- das Konzert endete für mich zu aprupt nach "Pussy". Ohne "Engel", was definitiv immer der Höhepunkt jeder Show war und worauf alle gewartet haben. Es war einfach so vorbei und die Enttäuschung war so manchem Fan deutlich ins Gesicht geschrieben. Es wirkte alles ein bisschen müde und lieblos. Da konnten leider auch der geschlossene Kniefall der Band vor dem Publikum und die Worte: "Berlin, es war wie immer großartig" nicht drüber hinwegtäuschen. Und auch nicht die Ehrenrunde von Leadgitarrist Richard Kruspe, der immer fantastischer aussieht und nicht zu altern scheint.
Fazit:
ich hab sie schonmal besser erlebt, sound- und gefühlstechnisch. Vielleicht lags auch am Freitag und der teilweisen Müdigkeit des Publikums. Und vielleicht setzen sie heute nochmal eins drauf. Die Show ist und bleibt allerdings einzigartig und perfekt und gehört zum besten, was man live so erleben kann. Es war immer noch ein verdammt gutes Konzert. Der Himmel ist vernebelt und meine Klamotten stinken, als wäre ich die halbe Nacht auf Kneipentour gewesen. Alle paar Jahre kann ich mir das durchaus geben.