Die Frauen des Hauses Wu - Pearl S. Buck
ISBN: 359690398X
Verlag: S. Fischer Verlag
Erscheinungsjahr: 2012 (Neuauflage); Erstauflage in englischer Sprache: 1946
Seitenzahl: 336
Übersetzer: Justinian Frisch
Über die Schriftstellerin:
Pearl S. Buck wurde 1892 als Missionarstochter in West-Virginia geboren. Kurz nach ihrer Geburt übersiedelten die Eltern erneut nach China. Bis zu ihrem Studium in Virginia im Jahr 1910 lebte sie in China und kehrte dorthin
später zurück, um in Nanjing als Dozentin für Literatur zu arbeiten. Im Jahr 1918 heiratete die Schriftstellerin den Missionar John Loss Buck, mit dem sie eine gemeinsame Tochter hatte. Nach ihrer Scheidung folgt eine zweite
Heirat mit ihrem Verleger Richard J. Walsh, mit dem sie gemeinsam sechs Kinder adoptierte.
Pearl S. Buck veröffentlichte zahlreiche Romane, u.a. "Die gute Erde" für den sie den Pulitzer Preis erhielt; im Jahr 1938 folgte mit dem Nobelpreis für Literatur die höchste Anerkennung für ihre literarischen Arbeiten, deren
Gegenstand immer wieder die Gegenüberstellung von Ost und West war.
1973 verstirbt Pearl S. Buck an einer Lungenentzündung in Darby (USA).
Über den Inhalt:
An ihrem 40.Geburtstag beschließt die wohlhabende Madame Wu, die die weitverzweigten Geschicke ihrer Familie leitet, etwas Außergewöhnliches zu tun: Sie möchte ihre Pflichten abgeben und ihrem Ehemann eine Nebenfrau
zuführen. Was im Familienkreis zu Verwirrung und Unverständnis führt, wird für Madame Wu erst erklärlich als sie den italienischen Pater Andre kennenlernt.
Meine Meinung:
Ein Klassiker zwischen Trivialliteratur und Weltklasse
In den Mittelpunkt ihres im Jahr 1946 erschienenen Romans stellt Pearl S. Buck die Geschichte der wohlsituierten Familie Wu. Die Geschicke des Hauses werden von Madame Wu geleitet, die anlässlich ihres 40.Geburtstages eine
schwerwiegende Entscheidung trifft: Sie möchte sich von ihren ehelichen Pflichten zurückziehen und ihrem Ehemann eine Zweitfrau an die Seite stellen. Bevor sie jedoch ihren Ehemann von ihrer Entscheidung informiert, teilt sie
ihren Entschluss ihrem ältesten Sohn und ihrer Freundin Madame Kang mit.
Anhand dieses Ausgangsszenarios entwirft Pearl S. Buck ein sorgfältig geschildertes Bild über die reiche Kaufmannsfamilie Wu. Auf einem unvorstellbar großen Anwesen lebend, das aus mehreren Höfen besteht, wohnen die vier Söhne - zwei davon verheiratet - Herr und Madame Wu sowie die alte Madame Wu jeder in seinem eigenen Haus.
Madame Wu, die als gütig und mit ihren vierzig Jahren immer noch als schön beschrieben wird und den Mittelpunkt der Familie darstellt,leitet mit sanfter Gewalt die Geschicke der Familie bis in die Ehe ihrer Söhne hinein.
Doch bereits zwischen Zeilen erfährt man, dass die Protagonistin nicht so perfekt ist, wie sie es gern sein möchte.
Ihre innere Haltung gegenüber ihrer Freundin Madame Kang ist herablassend, da diese inzwischen mehr als zehn Kindern das Leben geschenkt hat und ihr Haushalt längst nicht so wie der von Madame Wu geführt wird.
Auch eine gewisse Abneigung zwischen der Hausherrin und ihrer Schwiegertochter Rulan ist mehr als deutlich spürbar, hatte doch der Sohn sich seine Frau selbst gewählt.
Merklich drastisch wird Pearl S. Buck jedoch bereits zum Anfang der Geschichte, als sie ihre Protagonistin sich an ihre Hochzeitsnacht erinnern lässt. Ohne den Bräutigam zuvor gesehen zu haben, wird sie verheiratet und der Ehemann macht bereits bei dieser ersten Begegnung deutlich, dass er eine hässliche Braut auf der Stelle getötet hätte. In außergewöhnlicher Weise und im Rückblick auf fast fünfundzwanzig Jahre Ehe lässt die Schriftstellerin
Madame Wu, die ganz offensichtlich ihren Ehemann nicht liebt und nie geliebt hat, mit ihm und sich selbst einen bewunderswerten Frieden schließen.
Als nun Madame Wu ihren Entschluss mitteilt, brechen die bereits lange schwelenden Konflikte zwischen den Beteiligten auf. Vorwürfe ereilen die Hausherrin nicht nur von ihren Kindern, ihrer Freundin und ihrem Ehemann.
Besonders ihre Schwiegertochter Rulan konfrontiert sie mit moralischen und gesetzlichen Bedenken, hat jedoch keine Kraft sich durchzusetzen, auch wenn Pearl S. Buck ihrer Figur so manche Zweifel an ihrem Plan zuschreibt.
Erst mit Einführung der Figur des Paters Andre gewinnt die vierzig Jahre alte Frau neue Einsichten. Pater Andre, ursprünglich eingestellt um einem ihrer Söhne Englischunterricht zu erteilen, wird bald zu einem geistigen
Verbündeten für die reiche Kaufmannsfrau. Anhand der neu eingeführten Figur des Paters Andre, dessen große und behaarte Erscheinung von den Familienmitgliedern argwöhnisch beäugt wird, zeigt Pearl S. Buck meisterlich nicht nur die äußeren Unterschiede zwischen einem Europäer und einer chinesischen Familie auf,sondern geht auch auf die Ängste in der Andersartigkeit und der Religion zwischen Ost und West ein.
Dabei erweist sich die amerikanische Schriftstellerin als detailgenaue Beobachterin der chinesischen Verhältnisse, schreibt jedoch aus ihrer westlichen Sicht der Dinge, die durch ihr Leben in China fernöstlich beeinflusst sind.
Überhaupt ist der Stil dieses Romans von ruhigen und bestimmten Schilderungen und wenigen Beschreibungen über die Gemütszustände seiner Figuren geprägt, eher nimmt man die Gefühle der Protagonisten zwischen den Zeilen wahr, die die Vorgänge im Hause nicht kalt lassen.
Dass die Geschichte auf ein unerwartetes Ende zuläuft, erweist sich einerseits als Ausnahmefall, macht allerdings aufgrund seiner spirituellen Wendung nicht unbedingt versöhnlich mit dem Ausgang der Geschichte.
Mit "Die Frauen des Hauses Wu" hat Pearl S. Buck eine außergewöhnliche Familiengeschichte vorgelegt, die durch detaillierte Beschreibungen das Leben in Südchina vor Ausbruch des Zweiten Chinesisch-Japanischen Krieges beschreibt, westliche und fernöstliche Lebensweisen gegenüberstellt und die großen Fragen nach Liebe und Familie stellt und diesen zeitlosen und vorurteilsfreien Roman auch heute zu einem Lesegenuss werden lässt.
Anmerkung:
Die Übersetzung von Justinian Frisch stammt bereits aus den 40-er Jahren des letzten Jahrhunderts. Es wäre wünschenwert gewesen, wenn der Verlag die Chance genutzt hätte, in seiner Neuauflage aus dem Jahr 2012 die unzähligen Flüchtigkeitsfehler zu entfernen.
Edit: Rechtschreibung.