Mark Knopfler am 10.05.2013 in der O2 - World Berlin

  • "Gammelfleischparty" ist so ein böses Wort, das die jungen Leute manchmal für Events benutzen, wo sich Menschen jenseits der vierzig zusammenfinden, um Spaß zu haben. Ziemlich verständlich, dass die 17jährige Tochter der bekannten eines Bekannten da nicht unbedingt gern hingeht und ihre Mutter im letzten Moment mit der Karte sitzen lässt. So wurde ich von meinem Bekannten gefragt, ob ich die Karte nehmen würde. Ich hatte selbst auch mit dem Gedanken gespielt, zu Mark Knopflers Konzert in der O2-World zu gehen, aber ich habe mir zum Ziel gesetzt, die selbst auferlegte Schmerzgrenze für Ticketpreise höchstens einmal im Jahr zu überschreiten und diesen Platz hat ein anderer Held meiner Jugend, nämlich Neil Young bereits belegt. Aber bedingt durch diese Situation war ich in der Verhandlungsposition, den Preis genau auf die Schmerzgrenze herunterzudrücken.


    So komme ich jetzt in den Genuss, gleich zwei meiner Helden der Jugend erstmalig live zu erleben. Die Dire Straits waren mit ihrem Auftauchen ende der Siebzigerjahre so etwas wie eine Offenbarung für jemanden wie mich, der weder viel mit dem Disco-Pop a la Michael Jackson noch mit den aufkommenden Metal- und Punk-Szenen besonders viel anfangen konnte. Die Art wie MK die Gitarre spielte, der typisch lässige Sound der Dire Straits war trotz seiner Orientierung an althergebrachten Mussikrichtungen etwas völlig Neues, Erfrischendes. Leider konnten sie diese Frische und Unverbrauchtheit nicht über die Zeit und über das Erscheinen im Mainstream hinaus retten. Das Kassenschlager-Album "Brothers in Arms" war der Zeitpunkt, wo ich begann, den Dire Straits den Rücken zu kehren, der Hit "So Far Away From Me" war sozusagen in die Tat umgesetzt, das Album "On Every Street" nahm ich gar nicht mehr wahr. Dann waren die Dire Straits Geschichte und ich hörte, dass Mark Knopfler Solo was in Richtung Folk macht. Das hatte mich auch nicht unbedingt gereizt, es weiter zu verfolgen. Im neuen Jahrhundert tauchte im Radio ein neuer Song von MK auf, der mich sehr stark an die alten, unverbrauchten Dire Straits erinnerte: "What It Is". Ich kaufte das Album "Sailing TO Philadelphia", das für mich eines meiner Lieblingsalben überhaupt geworden ist und verfolge seitdem jede Neuerscheinung. Nur in ein Konzert geschafft hatte ich es bisher nicht. Von dem Vorjahreskonzert gemeinsam mit Bob Dylan hörte ich Horror-Storys, was aber nicht an MK lag, aber ich war froh, der Versuchung widerstanden zu haben.


    Also war es am Freitag höchste Zeit, mir die Mischung aus Blues, Folk, Rock'n'Roll und alten Dire-Straits-Klängen live zu Gemüte zu führen. Angekündigt war, dass er sein "neues" Album (aus 2012) "Privateering" vorstellen würde. Dieses ist ein Doppelalbum mit sehr vielen Blues-Nummern. Ich kann mit dieser sich immer selbst wiederholenden Formel inzwischen nicht mehr allzu viel anfangen, weiß aber dass es neue MK-Fans gibt, die sich gerade deswegen ihm zugewendet haben. Mir hätte es besser gefallen, wenn er diese Blues-Stücke herausgelöst und als separates Album herausgebracht hätte, mit einem großen Warnschild "Warning! Contains explicitely Blues oriented material". Meine Befürchtung war ein wenig, dass MK an diesem Abend so eine Blues-Nummer nach der andern runterrotzt.


    Diese Befürchtung zerschlug sich schon vor dem Konzert bei der Inaugenscheinname des Bühnensets. Denn zu sehen waren diverse Geigen, ein Yamaha-Piano, ein Kontrabass, mehrere Gitarren. Mark Knopfler hatte offenbar vor, das volle Programm seines musikalischen Spektrums zu bieten. Gerade die Folk-orientierten Sachen haben es auf den letzten Alben geschafft, mich zu begeistern.


    Wenn man diesen Abend als "Solokonzert" bezeichnet, ist das eine glatte Lüge. Nie stellt sich der Star in den Mittelpunkt, jederzeit merkt man, dass er sich als Teil des achtköpfigen Ensembles versteht. Ein sehr sympatisches Erscheinungsbild, das ich nicht unbedingt so erwartet hätte. Das merkt man auch in der Musik. Nicht nur sein unvergleichlicher Gitarrensound dominiert, gelegentlich sind es diese auch schon aus Dire-Straits-Zeiten stammenden schwebenden Keyboard-Teppiche von seinem Spezi Guy Fletcher, das Boogie-Piano, die furiosen Geigen-Soli oder die herzzerreißenden Querflöten-Soli. Die Lichtshow war sehr zurückgenommen, aber unterstützte effektvoll pointiert die Musik. Die Musik stand im Mittelbunkt, aber das hatte ich auch erwartet.


    Eröffnet wurde das Konzert standesgemäß mit meiner persönlichen Wiedergeburt des Mark Knopfler, dem Hit "What it Is". Der Fokus lag in der ersten Hälfte des Konzerts tatsächlich auf dem neuen Album, aber er hat sich da auch meine Lieblingsstücke herausgepickt, wenig Blues und immer gemixt mit alten Dire-Straits- und Solonummern wie "Sultans Of Swing" oder "Postcards From Paraguay". Der unbestrittene Höhepunkt des Abends war eine Numemr aus "Ragpickers Dream" von 2002: "Marble Town". Aus diesem von mir bisher eher als recht langweilig geschmähten Stück entwickelt die Band ein atemberaubendes 15-Minutenstück, bei dem sich Geiger und Kontrabassist ein furioses Zupfsolo liefern, nur spärlich untermalt von Knopflers Gitrarren-Schmelz. In der letzten Phase rückten dann mehr Dire-Straits-Nmmer in den Mittelpunkt, mit einer ausgedehnten "Telegraph-Road" - Version und "Brothers in Arms", worauf wohl so viele auch gewartet haben. Dann aber auch nochmal eine Solo-Nummer aus "Sailing To Philadelphia": "Speedway To Nazareth" und den Titelsong aus "Privateering". Ein rundum gelungener Mix aus Altem, Neuem und von Zwischendurch, quer durch die Genres von Rock'n'Roll über Blues und Boogie, Schmachtschnulze, Direstraits-Riffs und Folk-Rock. Da störte es nicht, dass ausgerechnet dieses unsägliche "So Far Away" die letzte Zugabe bildete.


    Ein begeisternder Auftritt, des in die Jahre gekommenen, mitlerweile glatzköpfigen Helden, der kein solcher mehr sein will, mit dem feinen Gespür für gefühlvolle aber auch mitreißende Musik, der das versammelte "Gammelfleisch" in jeder Minute des Abends voll auf seiner Seite hatte.

  • Neil Young live ist einfach nur der Hammer :anbet :anbet......sagt einer der als "Gammelfleisch doppelt" durchs Leben schreitet.

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Gammelfleischparty? Naja... manchmal stimmt das schon, zumindest hab ich mich damals (bald 10 Jahre her) auf meinem ersten Knopfler-Konzert so gefühlt. Mit 14, 15 ist man halt doch nicht so ganz die Zielgruppe bzw. hab ich den Altersdurchschnitt doch gesenkt.


    Derzeit fehlt mir leider das Geld für soetwas, die Karte damals hab ich mir zum Geburtstag gewünscht und auch bekommen.


    Danke für deinen Bericht, der macht mir klar, dass ich da definitiv noch einmal hinsollte. Gerade dieser Mix aus alt und neu, solo und Dire Straits hat mir damals schon sehr gut gefallen.

  • So ist das halt, wenn man musikalisch gut erzogen wird. ;-) Bin jetzt mit meinem Freund zusammen gezogen (auch noch nicht sooooo alt) und der hat auch eine Solo-CD von ihm im Regal, Dire Straits sowieso.


    Dafür gibt es auch einige ältere (also älter als ich, das ist nicht schwer) Leute, die sich da total stur stellen/davon noch "nie etwas gehört haben". Wir sollten mal in der 8. Klasse einen Text über unseren Lieblingsmusiker schreiben, ich hab über Knopfler geschrieben und mein Englischlehrer wollte noch nie etwas von den Dire Straits gehört haben, obwohl das "seine Zeit" war.

  • Er hat Sailing to Philadelphia, die haben wir jetzt doppelt. ;-) Macht aber nix, so haben wir beide gute Musik, sollten wir uns mal trennen.


    Vielleicht sollten wir das Gespräch in eine PN verlagern, mit dem Ausgangsthema haben wir ja grad nicht mehr so viel zu tun.

  • Huhu, arter.


    Zitat

    Ich meinte übrigens auch Herrn Liehr, unter der Gammelmasse gesichtet zu haben, ein paar Reihen vor mir im Parkett


    Nee, ditt war ich nich.


    Ich habe Knopfler - auch mit den Dire Straits - einige Male live gesehen, darunter beim grandiosen Sintflut-Konzert in der Waldbühne, aber auch noch ein-, zweimal solo nach Auflösung der Band. Das waren immer interessante und überwiegend schöne Abende, aber irgendwann löste sich die Bindung. Ich verfolge die Karriere nur noch mit geringem Interesse, finde die Mucke aber eigentlich schrecklich langweilig. Da gehe ich lieber zu Phoenix, Vampire Weekend, The National und ähnlichen. Man muss mit den Achtzigern auch mal abschließen. ;-)


    Was sich so leicht sagt. Zu Depeche Mode gehe ich natürlich wieder, und im vergangenen Jahr habe ich aus nostalgischen Gründen John Mellencamp angeschaut. Ausrutscher sind erlaubt.

  • Hallo, arter.


    Das schließt sich auch für mich nicht aus. Gute Musik bleibt gute Musik. Aber es gibt nicht so gute Musik, die man als sehr gute Musik wahrgenommen hat, weil die Umstände so waren, wie sie eben waren. Womit ich nicht sagen will, dass ausgerechnet Mark Knopfler nicht so gute Musik gemacht hat - ich finde einige Alben der Dire Straits und ein, zwei Soloplatten von ihm immer noch ziemlich gut. Aber derzeit gefallen mir andere Mucken einfach besser. Müsste ich mich also entscheiden, ob ich ein The National-Album oder eines der Dire Straits anhören will, wäre die Frage ziemlich rasch beantwortet.


    So eine Gammelfleischparty - aber eine recht lustige - habe ich vor fünf Jahren sehr genossen, als Orchestral Manoeuvres in the Dark in der Zitadelle gespielt haben. Mucke, die ich jahrzehntelang aufgelegt habe, natürlich immer nur zwei oder drei Songs von denen. Um mich herum Gartenlaubenbesitzer in Leggins und Trainingsanzügen, Prosecco und Pils schlürfend, sich eher zaghaft bewegend, und auf der Bühne ein ausgelassener Andy McCluskey, dem seine 51 Jahre nicht anzumerken waren. Das war eine leicht melancholische, sehr nostalgische Reise in die Achtziger, die Spaß gemacht hat, die ich aber keineswegs wiederholen wollen würde. Das Gegenbeispiel war die "Penthouse and Pavement"-Tour von Heaven 17 mit einem ganz ähnlichen Publikum, die zum Heulen langweilig war, und sich eher eignete, die zaghafte Zuneigung, die es mal gegeben hatte, in blanken Hass zu verwandeln. ;-)

  • Tom , natürlich höre ich mir aktuell auch nicht nur irgendein sondern das "The National"-Album an. Aber der Stick mit dem Konzertmitschnitt ist auch eingetroffen und wird sicher demnächst auch gehört werden. Prinzipiell aber beschäftige ich mich auch mehr mit neuer Musik, bin dann manchmal aber auch in Retro-Stimmung. Konzertmäßig lass ich die Altstars in der Regel auch weg. Na gut, am Samstag in einer Woche noch eine Ausnahme der Regel, wenn der alte hässliche Mann mit der komischen Stimme kommt :anbet ...

  • Zitat

    Na gut, am Samstag in einer Woche noch eine Ausnahme der Regel, wenn der alte hässliche Mann mit der komischen Stimme kommt : anbeten ...


    Iggy Pop kommt auch bald auf die Zitadelle...


    ich überlege. Einmal "The Passenger" live erleben? :-]

    Ailton nicht dick, Ailton schießt Tor. Wenn Ailton Tor, dann dick egal.



    Grüße, Das Rienchen ;-)