"Gammelfleischparty" ist so ein böses Wort, das die jungen Leute manchmal für Events benutzen, wo sich Menschen jenseits der vierzig zusammenfinden, um Spaß zu haben. Ziemlich verständlich, dass die 17jährige Tochter der bekannten eines Bekannten da nicht unbedingt gern hingeht und ihre Mutter im letzten Moment mit der Karte sitzen lässt. So wurde ich von meinem Bekannten gefragt, ob ich die Karte nehmen würde. Ich hatte selbst auch mit dem Gedanken gespielt, zu Mark Knopflers Konzert in der O2-World zu gehen, aber ich habe mir zum Ziel gesetzt, die selbst auferlegte Schmerzgrenze für Ticketpreise höchstens einmal im Jahr zu überschreiten und diesen Platz hat ein anderer Held meiner Jugend, nämlich Neil Young bereits belegt. Aber bedingt durch diese Situation war ich in der Verhandlungsposition, den Preis genau auf die Schmerzgrenze herunterzudrücken.
So komme ich jetzt in den Genuss, gleich zwei meiner Helden der Jugend erstmalig live zu erleben. Die Dire Straits waren mit ihrem Auftauchen ende der Siebzigerjahre so etwas wie eine Offenbarung für jemanden wie mich, der weder viel mit dem Disco-Pop a la Michael Jackson noch mit den aufkommenden Metal- und Punk-Szenen besonders viel anfangen konnte. Die Art wie MK die Gitarre spielte, der typisch lässige Sound der Dire Straits war trotz seiner Orientierung an althergebrachten Mussikrichtungen etwas völlig Neues, Erfrischendes. Leider konnten sie diese Frische und Unverbrauchtheit nicht über die Zeit und über das Erscheinen im Mainstream hinaus retten. Das Kassenschlager-Album "Brothers in Arms" war der Zeitpunkt, wo ich begann, den Dire Straits den Rücken zu kehren, der Hit "So Far Away From Me" war sozusagen in die Tat umgesetzt, das Album "On Every Street" nahm ich gar nicht mehr wahr. Dann waren die Dire Straits Geschichte und ich hörte, dass Mark Knopfler Solo was in Richtung Folk macht. Das hatte mich auch nicht unbedingt gereizt, es weiter zu verfolgen. Im neuen Jahrhundert tauchte im Radio ein neuer Song von MK auf, der mich sehr stark an die alten, unverbrauchten Dire Straits erinnerte: "What It Is". Ich kaufte das Album "Sailing TO Philadelphia", das für mich eines meiner Lieblingsalben überhaupt geworden ist und verfolge seitdem jede Neuerscheinung. Nur in ein Konzert geschafft hatte ich es bisher nicht. Von dem Vorjahreskonzert gemeinsam mit Bob Dylan hörte ich Horror-Storys, was aber nicht an MK lag, aber ich war froh, der Versuchung widerstanden zu haben.
Also war es am Freitag höchste Zeit, mir die Mischung aus Blues, Folk, Rock'n'Roll und alten Dire-Straits-Klängen live zu Gemüte zu führen. Angekündigt war, dass er sein "neues" Album (aus 2012) "Privateering" vorstellen würde. Dieses ist ein Doppelalbum mit sehr vielen Blues-Nummern. Ich kann mit dieser sich immer selbst wiederholenden Formel inzwischen nicht mehr allzu viel anfangen, weiß aber dass es neue MK-Fans gibt, die sich gerade deswegen ihm zugewendet haben. Mir hätte es besser gefallen, wenn er diese Blues-Stücke herausgelöst und als separates Album herausgebracht hätte, mit einem großen Warnschild "Warning! Contains explicitely Blues oriented material". Meine Befürchtung war ein wenig, dass MK an diesem Abend so eine Blues-Nummer nach der andern runterrotzt.
Diese Befürchtung zerschlug sich schon vor dem Konzert bei der Inaugenscheinname des Bühnensets. Denn zu sehen waren diverse Geigen, ein Yamaha-Piano, ein Kontrabass, mehrere Gitarren. Mark Knopfler hatte offenbar vor, das volle Programm seines musikalischen Spektrums zu bieten. Gerade die Folk-orientierten Sachen haben es auf den letzten Alben geschafft, mich zu begeistern.
Wenn man diesen Abend als "Solokonzert" bezeichnet, ist das eine glatte Lüge. Nie stellt sich der Star in den Mittelpunkt, jederzeit merkt man, dass er sich als Teil des achtköpfigen Ensembles versteht. Ein sehr sympatisches Erscheinungsbild, das ich nicht unbedingt so erwartet hätte. Das merkt man auch in der Musik. Nicht nur sein unvergleichlicher Gitarrensound dominiert, gelegentlich sind es diese auch schon aus Dire-Straits-Zeiten stammenden schwebenden Keyboard-Teppiche von seinem Spezi Guy Fletcher, das Boogie-Piano, die furiosen Geigen-Soli oder die herzzerreißenden Querflöten-Soli. Die Lichtshow war sehr zurückgenommen, aber unterstützte effektvoll pointiert die Musik. Die Musik stand im Mittelbunkt, aber das hatte ich auch erwartet.
Eröffnet wurde das Konzert standesgemäß mit meiner persönlichen Wiedergeburt des Mark Knopfler, dem Hit "What it Is". Der Fokus lag in der ersten Hälfte des Konzerts tatsächlich auf dem neuen Album, aber er hat sich da auch meine Lieblingsstücke herausgepickt, wenig Blues und immer gemixt mit alten Dire-Straits- und Solonummern wie "Sultans Of Swing" oder "Postcards From Paraguay". Der unbestrittene Höhepunkt des Abends war eine Numemr aus "Ragpickers Dream" von 2002: "Marble Town". Aus diesem von mir bisher eher als recht langweilig geschmähten Stück entwickelt die Band ein atemberaubendes 15-Minutenstück, bei dem sich Geiger und Kontrabassist ein furioses Zupfsolo liefern, nur spärlich untermalt von Knopflers Gitrarren-Schmelz. In der letzten Phase rückten dann mehr Dire-Straits-Nmmer in den Mittelpunkt, mit einer ausgedehnten "Telegraph-Road" - Version und "Brothers in Arms", worauf wohl so viele auch gewartet haben. Dann aber auch nochmal eine Solo-Nummer aus "Sailing To Philadelphia": "Speedway To Nazareth" und den Titelsong aus "Privateering". Ein rundum gelungener Mix aus Altem, Neuem und von Zwischendurch, quer durch die Genres von Rock'n'Roll über Blues und Boogie, Schmachtschnulze, Direstraits-Riffs und Folk-Rock. Da störte es nicht, dass ausgerechnet dieses unsägliche "So Far Away" die letzte Zugabe bildete.
Ein begeisternder Auftritt, des in die Jahre gekommenen, mitlerweile glatzköpfigen Helden, der kein solcher mehr sein will, mit dem feinen Gespür für gefühlvolle aber auch mitreißende Musik, der das versammelte "Gammelfleisch" in jeder Minute des Abends voll auf seiner Seite hatte.