'Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins' - Teil 1 - 2

  • So, ein neuer Versuch:


    Auch ich sehe, dass das Hauptthema des ersten Teils die Gegenüberstellung des Schweren und des Leichten ist.
    Im Leben steht der Mensch vor zwei Möglichkeiten: Entweder so zu handeln, als ob sich alles ewig wiederholt (Schwere) oder aber so, als ob jede Handlung einzigartig wäre, und somit alllerdings auch vergänglich (das Leichte).
    Der Erzähler ordnet der Schwere die Liebe zu, denn

    Zitat

    Das schwerste Gewicht ist also gleichzeitig ein Bild intensivster Liebeserfüllung.

    S.12

    Zitat

    Je schwerer das Gewicht, desto näher ist unser Leben der Erde, desto wirklicher und wahrer ist es.

    (S.12)
    Mit der Leichte assoziiert er Freiheit, das Emporschweben aus allem irdischen Sein, seine Handlungen jedoch sind ebenso frei wie bedeutungslos.
    Die Frage ist nun, welches Leben erstrebenswert ist. Dazu erzählt er und die Geschichte von Tomas und Teresa.


    Zitat

    Original von Macska
    ...
    Mit Tomas und Teresa werde ich auch nicht warm bzw. empfinde keine Sympathie für sie, weil mir deren Denk- und Handlungsweise so überhaupt gar nicht nachvollziehbar sind.


    Da ist z.B. Tomas, einen Arzt der sich selbst für bindungsunfähig erklärt, die Frauen wechselt wie die Unterwäsche und trotzdem Teresa heiratet und ihr folgt wie ein Schoßhündchen. Die einzige Konstante in seinem Leben scheint die erotische Geliebte Sabina zu sein.


    Tomas versteht selbst nicht, warum er diese "unerklärliche Liebe" für Teresa empfindet. Kann man das überhaupt, Liebe verstehen?
    Ich denke nicht, Liebe ist einfach da und muss gelebt werden.


    Wunderbar beschreibt Kundera, welcher Art diese Liebe ist, die er für Teresa empfindet:

    Zitat

    Nach einer Weile fühlte er, wie sein Atem sich beruhigte und sich ihr Gesicht unwillkürlich dem seinen entgegenhob. Er spürte an ihren Lippen den herben Geruch des Fiebers und atmete ihn ein, als wolle er die Intimität ihres Körpers ganz in sich aufnehmen.

    (Seite 15)
    Diese Szene hat etwas Göttliches, sie erinnert mich sehr an den Schöpfungsbericht. Auch das Mosethema, das Teresa eine Unschuld und der Begegnung etwas Schicksalhaftes und zugleich Verantwortung aufdrückt, ist eindrucksvoll.


    Tomas' innere Zerissenheit, den Schmerz, den er angesichts Teresas Alpträumen und schmerzender Eifersucht empfindet, und der ausgelebten Lust, ist spürbar. Er ist wie ein gefangener Vogel, sitzt in der Falle. Eine Ahnung der Freiheit erlebt er erst wieder als Teresa aus Zürich abhaut, die hält aber nicht lange an.


    Das Beethoven-Motiv bringt ihn zurück zu Teresa, er beugt sich der Vorhersehung.


    Eine sehr spannende Figur.

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin

  • Teresas Leben ist von Anfang an verpfuscht, ein ungewolltes Kind. Auch hier eine Parallele zu Mose, den seine Mutter im Weidenkörbchen ausgesetzt hat, in der Hoffnung, so sein Leben zu retten.
    Die Mutter-Kind-Beziehung kann nicht gelingen. Teresa sehnt sich ihr Leben lang nach der Liebe der Mutter. Ein unerreichbares Ziel, das aus eigener Kraft nicht zu schaffen ist.
    Aschenputtelhaft buhlt sie um die Mutter, indem sie putzt und den Haushalt versorgt, versucht, ihr alles Recht zu machen.
    Die Mutter wiederum erniedrigt Teresa, indem sie kein Schamgefühl duldet. Was für eine kranke Mutter! Mir hat das beim Lesen richtig weh getan.

    Zitat

    Nun können wir den Sinn von Teresas heimlichem Laster besser verstehen: ihr häufigen, langen Blicke in den Spiegel. Es war ihr Kampf mit der Mutter. Es war der Wunsch, nicht ein Körper wie die anderen zu sein, sondern auf der Oberfläche des eigenen Gesichts zu sehen, wie die Mannschaft der Seele aus dem Schiffsbauch stürmt.

    Seite 69


    Was für ein starkes Bild! :anbet Das Buch fasziniert mich unheimlich, es ist kraftvoll, voller Schmerz, berührt und bleibt doch in einer Meta-Ebene. :anbet


    Die Begegnung mit Tomas, das Zusammenspiel der von ihr interpretierten Zufälle, stärkt sie, dass sie die Mutter verlassen kann.
    Die Beziehung zu Tomas' ist ein Schrei.

    Zitat

    Sie versank in einen Nebel, in dem nichts zu sehen und zu hören war, nur ihr Schrei.

    Seite 79

    Zitat

    Was aus ihr schrie, war der naive Idealismus ihrer Liebe, die die Aufhebung aller Gegensätze sein wollte: die Aufhebung der Dualität von Körper und Seele, vielleicht sogar die Aufhebung der Zeit.

    S. 80
    Wonach sich Teresa sehnt, in der Liebe zu Tomas aufzugehen, zu einer Person zu verschmelzen, kann nicht gelingen. Es würde bedeuten, das eigene Ich aufzugeben und das gleiche Opfer vom Partner zu verlangen. Ich glaube aber, dass diese Vorstellung von einem Liebes-Ideal sehr verbreitet ist, die Erwartungen an eine Partnerschaft mit diesem Ideal gemessen wird und somit ein Scheitern schon vorprogrammiert ist.

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin

  • Ein tolles Buch. Mir hat es vor ca. 20 Jahren beim ersten Lesen schon gefallen und heute wieder. Aufzeichnungen habe ich mir nicht gemacht, sondern einfach das Lesen genossen.


    Für mich stehen bei der Liebesgeschichte die Themen Obsession und auch Hörigkeit im Vordergrund. Sowohl Tomas als auch Teresa können nicht voneinander lassen und richten sich irgendwie aneinander zugrunde. Die Darstellung aus den unterschiedlichen Perspektiven hat mir sehr gut gefallen und ich empfand es keineswegs als langweilig.

  • Zitat

    Original von Regenfisch
    Übrigens gab es 2004 schon eine LR zu dem Buch. Klick :wave


    :yikes
    Und ich habe doch danach gesucht, weil ich mir fast nicht vorstellen konnte, dass es noch keine gegeben haben sollte. Dann hätten wir halt als Wiederaufnahme gelesen. Nun ja, sei's drum. Wir verraten es keinem, okay?

  • Zitat

    Original von Regenfisch
    Tomas versteht selbst nicht, warum er diese "unerklärliche Liebe" für Teresa empfindet. Kann man das überhaupt, Liebe verstehen?
    Ich denke nicht, Liebe ist einfach da und muss gelebt werden.


    Das Buch ist ein Katalysator und bringt hervor, was in uns steckt. In dir, liebe Regenfisch, stecken wirklich tolle Gedanken! :anbet

  • Zitat

    Original von Regenfisch
    Das Buch fasziniert mich unheimlich, es ist kraftvoll, voller Schmerz, berührt und bleibt doch in einer Meta-Ebene. :anbet


    Eine kongeniale Zusammenfassung. Ich finde auch, dass man es weniger mit einem Roman, denn mit einem philosophischen Werk zu tun hat. :wave

  • Also ich finde an dem Buch leider gar nichts faszinierendes. :-(


    Die philosophische Sprache nervt mich total. Muß mich regelrecht zum Lesen zwingen, was ich eigentlich nicht von mir kenne...


    Daher hab ich das Buch nun definitv abgebrochen! Vielleicht probiere ich es zu einem späteren Zeitpunkt nochmal...


    Tut mir leid wegen der Leserunde, hätte wirklich gerne mit Euch gelesen, aber durch das Buch quälen mag ich mich nicht!
    Wünsche Euch aber noch viel Sapß bei der Runde! :wave

  • Zitat

    Original von Rosha


    Das Buch ist ein Katalysator und bringt hervor, was in uns steckt. In dir, liebe Regenfisch, stecken wirklich tolle Gedanken! :anbet


    Danke schön, du machst mich ja ganz verlegen. :knuddel1

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin

  • Zitat

    Original von Rosha


    Eine kongeniale Zusammenfassung. Ich finde auch, dass man es weniger mit einem Roman, denn mit einem philosophischen Werk zu tun hat. :wave


    :write


    Ich mochte das Buch gleich, schon als junge Schülerin. Für mich hat es auch heute nichts von dieser Faszination verloren. Verzweiflung und Schmerz sind wohl zeitlos, das imponiert mir an Kunderas Werk. :wave

    Ailton nicht dick, Ailton schießt Tor. Wenn Ailton Tor, dann dick egal.



    Grüße, Das Rienchen ;-)

  • Danke für die "Text-Einordnungs-Kriterien". Ich bin ein technisch nicht versiertes, aber am gemeinsamen Lesen interessiertes Püppchen. Und ich hoffe, ich liege, schreibe, zitiere jetzt auf passender Schiene"!

    Zu Teil 3:Unverstandene Wörter
    Franz, der Leben mit der Wahrheit als Erleichterung empfindet, findet es unerträglich nicht Nägel mit Köpfen zu machen, er gesteht seiner Ehefrau die Liebesbeziehung zu Sabrina. Sabrina, die unabhängige la boheme der Kunst lebt lieber im elektrisierenden Spannungsbogen, in ungebundener Sexualität als kreativen Spaßfaktor. Nur nicht spießig sein! Und doch wird ihr die Leichtigkeit des Seins ohne Franz unerträglich. Und Franz träumt das Besondere von Sabrina. Der Autor charakterisiert psychologische und menschliche Differenzen der beiden und kommentiert sehr philosophisch den Verlauf der Begegnungen: Die Melone als Metapher der inneren Veränderungen und gleichzeitig als Registrierung der äußerlichen politschen und gesellschaftlichen: "Die Melone war ein Motiv in der Partitur ihres Lebens geworden." meint Püppchen und wünscht sich Diskussionen darüber.

  • Zitat

    Original von Püppchen
    Danke für die "Text-Einordnungs-Kriterien". Ich bin ein technisch nicht versiertes, aber am gemeinsamen Lesen interessiertes Püppchen. Und ich hoffe, ich liege, schreibe, zitiere jetzt auf passender Schiene"!

    Zu Teil 3:Unverstandene Wörter
    Franz, der Leben mit der Wahrheit als Erleichterung empfindet, findet es unerträglich nicht Nägel mit Köpfen zu machen, er gesteht seiner Ehefrau die Liebesbeziehung zu Sabrina. Sabrina, die unabhängige la boheme der Kunst lebt lieber im elektrisierenden Spannungsbogen, in ungebundener Sexualität als kreativen Spaßfaktor. Nur nicht spießig sein! Und doch wird ihr die Leichtigkeit des Seins ohne Franz unerträglich. Und Franz träumt das Besondere von Sabrina. Der Autor charakterisiert psychologische und menschliche Differenzen der beiden und kommentiert sehr philosophisch den Verlauf der Begegnungen: Die Melone als Metapher der inneren Veränderungen und gleichzeitig als Registrierung der äußerlichen politschen und gesellschaftlichen: "Die Melone war ein Motiv in der Partitur ihres Lebens geworden." meint Püppchen und wünscht sich Diskussionen darüber.


    Ich würde gerne mit dir darüber diskutieren. Bitte kopiere doch deinen Beitrag in den von xexos schon gezeigten Thread. :wave

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin

  • Püppchen hat zwar schon zu Teil 1 geschrieben, aber in der falschen "Schiene". Wenn die Technik nicht wär, wär es halb so schwer...für mich!
    Das Schwere Überwinden um zur Leichtigkeit zu kommen? Zu einer leichtigkeit, die unerträglichist und somit wieder schwer zu ertragen? Teresa und Tomas finden rein zufällig zueinander und sie lieben sich. Sie lieben sich, aber ihre Ansprüche an Liebe sind völlig unterschiedlich gepolt: Hat Liebe mit der Verpflichtung zu vorbehaltloser Treue zu tun, ist Eifersucht erlaubt, ist sexuelle Zügellosigkeit mit Liebe vereinbar? Will man es sich und dem Partner leicht und schwer machen? Wosind Grenzen? All diese philosophischen Fragen, die wie ein Ping-Pong Spiel zwischen den beiden hin und her klicken sind vom Autor in die politische Situation des Prager Frühlings und den Folgejahren eingebettet. Eine Lebenssituation, die für die Protagonisten unterschiedliche Erkenntnisse, Reaktionen und gesellschaftliche Folgewirkungen beinhaltet. Von der Außensicht des Autors werden die Protagonisten sehr sensibilisiert dargestellt und wie in Form eines Seelenröntgens charakterisiert. Ich fühle und lebe beim Lesen mit. Ich bin immer wieder gefordert über Aktionen und Reaktionen nachzudenken. Bis jetzt eine sehr spannende Lektüre.

  • Zitat

    Original von Püppchen
    Das Schwere Überwinden um zur Leichtigkeit zu kommen? Zu einer leichtigkeit, die unerträglichist und somit wieder schwer zu ertragen?


    Darüber denke ich auch immer noch nach: über diese Unerträglichkeit der Leichtigkeit. Ich habe mir immer vorgestellt, dass es auch um die scheinbare Leichtigkeit in Tomas' Leben geht, der ja alles, besonders die Liebe, so leicht zu nehmen scheint. Vielleicht ist das wirklich irgendwann unerträglich.


    Zitat

    ... All diese philosophischen Fragen, die wie ein Ping-Pong Spiel zwischen den beiden hin und her klicken sind vom Autor in die politische Situation des Prager Frühlings und den Folgejahren eingebettet. Eine Lebenssituation, die für die Protagonisten unterschiedliche Erkenntnisse, Reaktionen und gesellschaftliche Folgewirkungen beinhaltet. Von der Außensicht des Autors werden die Protagonisten sehr sensibilisiert dargestellt und wie in Form eines Seelenröntgens charakterisiert. ...


    Die politische Situation und die Umstände schaffen den Rahmen für diese Geschichte, für die Umzüge in die Schweiz und wieder zurück, aber sie steht nicht im Mittelpunkt. Genau so wie die Liebe irgendwie auch nicht so wirklich im Mittelpunkt steht. Es ist ein ineinander verwoben sein und hin und her, wie du es schon gesagt hast.

  • Zitat

    Original von Clare


    Darüber denke ich auch immer noch nach: über diese Unerträglichkeit der Leichtigkeit. Ich habe mir immer vorgestellt, dass es auch um die scheinbare Leichtigkeit in Tomas' Leben geht, der ja alles, besonders die Liebe, so leicht zu nehmen scheint. Vielleicht ist das wirklich irgendwann unerträglich.


    Vielleicht wird das Leichte irgendwann unerträglich und schwer, weil es unverbindlicher, einfacher ist. Gerade in Beziehungen ist es doch oft so, dass gemeinsam durchgestandene Schwierigkeiten enger aneinander binden können. Die Beziehung gewinnt an Schwere und wird damit auch wertvoller. Das Leichte lässt sich oft auch leichter abstreifen.

  • Kundera verwendet seine Figuren wie jemand, der mit bunten Murmeln spielt und lässt sie aneinander schlagen und wieder allein auseinander rollen. Die unbeabsichtigten Begegnungen werden vom Autor mit philosophisch-kritischen Auseinandersetzungen kommentiert. Jeder fühlt nur sich, das macht ein Dasein unerträglich einsam, so empfinde ich mittlerweile die Figuren als Suchende nach einem unbekannten Ziel. Jeder schießt sich auf eine andere, seine eigene Zielgerade ein, wer auch immer zum Ziel kommen wird ist fraglich und ob überhaupt bleibt offen. Wäre derText nicht so kurzweilig formuliert, könnte ich beim Lesen traurig werden, denn von Liebe find ich nur vereinzelte Spuren im Text, meint Püppchen.
    Ich danke euch für eure Rückmeldungen und bin froh, endlich den richtigen Wegweiser gefunden zu haben.

  • Zitat

    Original von Liesbett


    Vielleicht wird das Leichte irgendwann unerträglich und schwer, weil es unverbindlicher, einfacher ist. Gerade in Beziehungen ist es doch oft so, dass gemeinsam durchgestandene Schwierigkeiten enger aneinander binden können. Die Beziehung gewinnt an Schwere und wird damit auch wertvoller. Das Leichte lässt sich oft auch leichter abstreifen.


    Sehe ich auch so. Es sind die Schwierigkeiten, die Unwägbarkeiten, Wege unsicheren Ausgangs, die das Leben interessant machen. Wenn alles leicht ist, dann kann das erdrückend sein oder einfach nur langweilig.

  • Von Erich Loest gibt es ein Buch, der den gleichen Sachverhalt etwas anders als Untertitel gewählt hat: "Mühen in unserer Ebene" beim Buch "Es geht seinen Gang".



    Zumindest in der Ausgabe, die ich damals las, war es ein Untertitel. Hier ist es ja jetzt Teil des Titels. :wow