Im Abseits des Lebens - Nico Schulte

  • Homosexualität, ein Teenagerpaar und Fußball in Konfrontation, die Kombination klang reizvoll, Stoff für eine richtige Geschichte. Geschrieben hat sie ein sehr junger Autor (Jg. 1995), nach eigenem Bekunden aus Sachkenntnis in puncto Fußball und persönlicher Betroffenheit.


    Adrian und Fynn haben sich schon als Kinder kennengelernt, Zunächst mochten sie sich nicht, dann entdeckten sie Gemeinsamkeiten und wurden Freunde. In der Teenagerzeit wurde aus dem Freundespaar ein Liebespaar. Außer Adrian hat Fynn aber noch eine große Liebe, Fußball. Er ist ein begabter Spieler und wird als Nachwuchstalent mit großer Zukunft gehandelt. Dann wird bekannt, daß er schwul ist. Fans, Mitspieler, Trainer sind entsetzt, es gibt einen öffentlichen Skandal, Fynn löst auf Druck des Vereins hin seinen Vertrag. Fynn ist Halbwaise, sein Vater lebt inzwischen auf Mallorca mit einer jüngeren Frau. Nach dem Skandal löst Fynn seine Beziehung zu Adrian und flüchtet aus Berlin nach Bonn, wo er eine Ausbildung zum Sportfachmann anfängt. Aber er kann weder Adrian noch das Fußballspielen vergessen. Adrian bemüht sich derweil, Fynn zurückzugewinnen. Aber Fynn hat das Vertrauen in die Liebe und ins Leben verloren.


    Erzählt wird abwechselnd von Adrian und Fynn, das ist ganz reizvoll und gar nicht mal so schlecht gelungen. Gelungen ist auch im ersten Drittel des Buchs echte Emotionalität zu vermitteln. Das ist aber leider alles, was sich an Positivem sagen läßt. Insgesamt ist das Buch lieb gemeint, aber das reicht nicht, um eine Geschichte aufzubauen und zu präsentieren.
    Trotz des vorhandenen Konfliktpotentials wird bald gedankenlos heruntererzählt. Es gibt keinen Spannungsaufbau, es wird nur behauptet, daß die Gefühle hochkochen, tatsächlich sind sie unter handelsüblichen Versatzstücken verschüttet. Fußball kommt nahezu nicht vor. Es gibt keinen Einblick in die Gefühle von Spielern, etwa. Genausogut könnte Fynn Skispringer sein oder Dressurreiter.
    Unwichtiges wird dagegen detailliert referiert, seitenlang und das Buch hat nicht viele davon. Ich suchte mein Handy. Nach kurzer Suche fand ich es. Es lag ganz unschuldig zwischen meinen Socken. Wie es dort hingekommen war, konnte ich mir zwar nicht erklären, aber das war mir auch ziemlich egal.
    Und mir erst.


    Es gibt recht kindliche Einschätzungen von Menschen, Lehrerinnen und Lehrer z.B., die einfach nur die Wiedergabe langweiligster SchülerInnengespräche sind. Andere Leute haben dann wieder eine Aura, die der jeweilige Erzähler, Adrian oder Fynn nicht erklären kann, die aber ungemein auf ihn wirken. Irgendwie so. Ganze Abschnitte lang versinkt die Geschichte in der Aufzählung von Äußerlichkeiten, die nichts mit der Handlung zu tun haben. Adrian schwärmt von Berlin, einer seiner liebsten Orte ist der Alexanderplatz. Was genau das Flair dieses Platzes für ihn ausmacht, kann er nicht vermitteln, am ehesten scheint es die Möglichkeit zu sein, dort stundenlang auf dem Boden zu sitzen.


    Es gibt eine Menge unfreiwillig komischer Stellen, etwa, wenn es um die Dauer-Bauerei in Berlin geht und Adrian aus vollem Herzen erklärt: Der Berliner an sich hat, wie ich glaube, nicht so viel mit Bauprojekten am Hut. Überhaupt ist der Text ein ideales Biotop für Platitüden jeder Größenordnung, sie wuchern einer geradezu lustvoll aus den Seiten entgegen. Wahrnehmung und Geschmäcker sind ja bekanntlich sehr verschieden.
    Die Stunden zogen sich hin.
    Aber die Hoffnung ist das Letzte, was stirbt.
    Schreibfehler, ja. Auch sie gibt es. Immerhin sind sie so konsequent, daß sie ab der dritten Seite den Lesefluß kaum mehr stören.


    Fynn leidet inzwischen in Bonn, er vermißt Berlin und findet sich nicht zurecht in seiner neuen Heimat. Einmal braucht er zwei Stunden, um von einem kleinen Café auf einem großen Platz (die Formulierung hat was) zu seiner Wohnung zurückzufinden. Vielleicht ist er auf den Händen gegangen.
    Von Leid wird sehr viel gesprochen im Text, bei Adrian wie bei Fynn, spürbar wird es nicht. Hier fehlt Talent zur Gestaltung. Was beim Autor ehrlich gefühlt worden sein mag, klingt niedergeschrieben nur hölzern und papiern, süßlich-romantisch oder sprachlich unbefriedigend. Mit diesem Thema hat sich der Autor deutlich übernommen. Aus einem Gefühlsüberschwang heraus sollte man keine Bücher veröffentlichen.
    Das Ganze soll dann noch tragisch enden und hier bekommt eine einzige Szene bedingt durch knappe Sätze eine gewisse Dramatik. Unerfahrene Teenager mögen hier sogar zu schluchzen anfangen, aber nur solche. Der Rest der Handlung ist Fernsehen.


    Nähme man das Buch richtig ernst, müßte man, ungeachtet der Jugend des Autors böse werden, weil ein so wichtiges Thema unter einer solchen Menge von Belanglosigkeiten begraben wurde. Meine Gefühle beim Lesen entsprachen über weite Strecken der Beschreibung Miriams, einer Freundin Adrians, vom Wetter: Es gewittert gleich bestimmt.


    Damit das nicht doch noch geschieht, schließe ich jetzt, ganz dem Stil des Autors folgend, diese Rezension mit einem Punkt.

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Offensichtlich ein typisches BoD-Produkt. :gruebel


    Erlaubt sei aber dann noch die Frage, wer dieses Buch denn mit 9 Punkte bewertet hat. :gruebel :gruebel

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Ach, du Schreck!
    Das habe ich gar nicht gesehen!


    Na, wer wird das wohl bewertet haben? Ein enthusisatischer Fan.
    :grin


    Im Grund ja, ein typisches Produkt der Vanity-Industrie.
    :help





    :wave


    magali

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Magali, ich danke dir für deine Opferbereitschaft und dein herrliches Talent dein Leiden so humorvoll zu verpacken. :anbet Ich kichere immer noch, auch wenn ich es schade finde, dass hier so ein tolles Thema verdummbeutelt wurde.


    Naja, machste nix... :alleskaese