OT: Monsieur Ladmiral va bientôt mourir 1945
Pierre Bost (1901 - 1975) ist als Autor nahezu vergessen, auch in Frankreich. Bekannt ist er eher als Drehbuchautor und Journalist, also seinen Arbeiten nach 1945. Ab den späten 1920er Jahren veröffentlichte er Romane und Erzählungen, beendete diese Karriere aber in einem bewußten Schritt 1945 eben mit der kleinen Geschichte von Monsieur Ladmiral.
Monsieur Ladmiral ist Ende siebzig, was er sich nur ungern eingesteht. Er war Kunstmaler, nicht unbekannt, aber immer im sicheren Schoß der konventionellen Schule, das brachte ihm ein finanziell abgesichertes Leben. Von den Aufbrüchen seiner damaligen Kollegen, van Gogh oder Monet etwa, kann er nur träumen. Tatsächlich mißbilligt er solche Ausbrüche und beneidet die anderen gleichzeitig darum. Zum eigenen Ausbruch fehlt ihm weniger Talent als vor allem Mut.
Inzwischen hat Monsieur Ladmiral sich in ein Landhaus zurückgezogen. Er ist verwitwet, seine Kinder, ein Sohn, eine Tochter, leben in Paris. Der Sohn, auf Wunsch seines Vaters Gonzague getauft, von seiner Mutter vorsichtshalber noch mit dem zweiten, von Monsieur Ladmiral verabscheuten Namen Édouard ausgestattet, besucht ihn mit Ehefrau und den drei Enkelkindern jeden Sonntag.
Bost beschreibt einen solchen Sonntagsbesuch und damit zugleich ein schmerzliches Familiendrama. Gonzague vergöttert seinem Vater, dieser hält wenig von seinem Sohn, weil er in einem Büro arbeitet. Seine Schwiegertochter hält er für langweilig, weil sie nichts von Kunst versteht, die beiden Jungen mag er nicht recht, weil sie bürgerliche Vornamen tragen. Am ehesten hängt er an der Jüngsten. Monsieur Ladmiral ist ein Despot, borniert und ängstlich, kleinlich und scheu, entscheidungsschwach und selbstherrlich. Jedes Mitglied der Familie hat ebendiese Eigenschaften, auch Monsieur Ladmirals Tochter Irène, an der er wiederum abgöttisch hängt, die diese Liebe aber nur begrenzt erwidert. Überhaupt ist innerfamiliäre Liebe für alle eine Art Pflichtübung. Am besten denkt man nicht darüber nach, sondern liebt sich, weil es die Konvention erfordert.
Einen ganzen langen Sonntag quälen sie sich gegenseitig, mit falschen Ansprüchen und Mißverständnissen, Annäherungsversuchen, die nur in weitere Mißverständnisse münden, kleinen Gemeinheiten, die wiederum of falsch verstanden oder gar als Zeichen der Zuneigung mißdeutet werden, worauf sich neue Spannungen ergeben. Es ist ein entsetzliches Netz innerfamiliärer emotionaler Abhängigkeiten und Konventionen, in dessen Fäden alle Familienmitglieder gefangen sind, leiden und unentwegt weiterstricken. Die kleinen Kinder sind bereits dabei, dies zu lernen.
Erzählt ist das Ganze eher zart, was einen deutlichen Kontrast bildet zu den eigentlich starken Gefühlen. Es mildert sie zugleich ab, man sieht das Ganze distanziert. Dazu trägt der Erzählduktus bei, präsentiert wird die Geschichte weniger von einem allwissenden als von einem unablässig erklärenden Sprecher. Das, was geschieht, wird zugleich gedeutet. Hin und wieder finden sich ein Tropfen Humor und etwas Ironie. Sie trägt dazu bei, daß man auf den Schrecken fast liebevoll blickt.
Bost versucht, soviele Facetten der komplizierten Beziehungen wie möglich einzufangen, das unablässige Hin - und Herschwanken der Stimmung und Überzeugungen von kleinbürgerlichen Menschen, für die es das Schlimmste wäre, einen klaren Standpunkt einzunehmen und darüber zu sprechen. Man wünscht sich etwas, aber wenn es eintritt, lehnt man es bereits ab, fühlt sich gestört, will etwas anderes. Monsieur Ladmiral hätte Gonzague gern aufmüpfig und stolz, aber kaum wagt sein Sohn einen Widerspruch, fährt er ihm schon über den Mund oder macht ihn lächerlich. Muckt er nicht auf, ist er in den Augen seines Vaters feige.
Ein kurze Zeit bringt die plötzlich auftauchenden Tochter Irène Leben in den Sonntagnachmittag. Aber auch das erweist sich als Illusion. Irène ist zwar von zuhause geflüchtet, Teile des klebrigen Beziehungsnetzes hängen aber auch an ihr, zugleich befindet sie sich bereits in einer eigenen Abhängigkeit anderswo. Ein Entkommen gibt es nicht in diesen Kreisen.
Das einzige, was das Ende des sich unablässig abspielenden Dramas bringen wird, ist der Tod, er wirft einen ersten Schatten auf den Familientag. Monsieur Ladmiral spürt nicht nur sein Alter, sondern ahnt sein Ende, Gonzague graut vor dem Tod des Vaters, weil er seinen Gott verlieren wird, Irène fährt davon, ehe die unklare Ahnung Gewißheit wird. Untergründig werden Altwerden und Sterben diskutiert. Diesem Unvermeidlichem im Menschenleben ist die Frage von Kunst und Künstlertum, Konvention versus Genie gegenübergestellt. Unvermeidlich oder persönliche Entscheidung? Bost, anders als seine Figuren, äußert dazu eine klare Meinung.
Trotz der starken Dramatik und des sanften Tons liest sich der Text behäbig. Das liegt an dem ihm eigenen Stil, aber auch an der Übersetzung, der ein ein wenig flotteres Deutsch nicht geschadet hätte. Die Biederkeit dieses Sonntags ist spürbar, auch ohne, daß sie aus den Zeilen tropft.
Ausgestattet ist das Buch auf das Feinste. Es ist richtig schön, vom grünen Leineneinband mit dem kleinen Titelbild, Liebermanns Vordergraten nach Osten, über den grüngeblümten Vorsatz bis zum Lesebändchen. Es gibt ein Foto von Bost und ein Nachwort des Übersetzers.
Auch wenn sich die Geschichte etwas sperrig liest, lohnt es sich, sie zu entdecken.