Das Verschwiegene – Linn Ullman

  • Verlag: Luchterhand, 2013
    Gebundene Ausgabe: 352 Seiten


    Originaltitel: Det dyrebare
    Aus dem Norwegischen von Ina Kronenberger


    Kurzbeschreibung:
    Jede Familie hat ihre Geheimnisse …
    … aber manchmal entwickelt das Verschweigen eine zerstörerische Kraft.


    In einer norwegischen Küstenstadt findet in einer nebligen Julinacht eine große Party statt. Jenny Brodal wird 75, und ihre Tochter Siri hat gegen den Willen ihrer Mutter ein Fest organisiert. Die weiße Holzvilla auf einer Anhöhe leuchtet in die Nacht, während die Gäste eintreffen und Jenny in ihrem Zimmer sitzt und nach zwanzigjähriger Abstinenz wieder zu trinken beginnt …


    Über die Autorin:
    Linn Ullmann wurde 1966 in Oslo geboren. Sie studierte Englische Literatur an der New York University und kehrte nach zehn Jahren 1990 nach Oslo zurück, wo sie sich als Literaturkritikerin und Kolumnistin bei den norwegischen Zeitungen „Dagbladet“ und „Aftenposten“ einen Namen machte. Seit 1998 veröffentlichte Linn Ullmann mehrere Romane (darunter „Die Lügnerin“ und „Gnade“), die großen Anklang bei Presse und Lesern fanden und in 30 Sprachen übersetzt wurden. Linn Ullmann lebt mit Mann und Kindern in Oslo.


    Über die Übersetzerin:
    Ina Kronenberger, geboren 1965 in der Pfalz, übersetzt aus dem Norwegischen und Französischen, u.a. Per Petterson, Linn Ullmann, Ketil Björnstad, Anna Gavalda, Amin Maalouf und Thomas Gunzig.


    Mein Eindruck:
    Es handelt sich um einen relativ komplexen Familienroman aus dem heutigen Norwegen, der in den Jahren hin und her springt und der mit vielen Personen besetzt ist, zwischen denen gewechselt wird. Daher ist beim Lesen schon etwas Aufmerksamkeit erforderlich.
    Ich habe mir zum leichteren Lesen sogar selbst ein Personenverzeichnis erstellt, um festzuhalten, wie die Figuren miteinander verwandt sind.
    Erfahrene Leser von Familienromanen werden das aber nicht benötigen.


    Es beginnt 2008 mit der ehemaligen Buchhändlerin Jenny Borsdal, die ihren 75.Geburtstag feiert. Ihre Tochter und ihr Schwiegersohn sowie die Enkel kommen. Mit dabei auch das 19jährige Kindermädchen Mille, dass an diesem Tag verschwindet und erst 2 Jahre später wird ihre Leiche im Wald gefunden. Dieser Vorfall beeinflusst das Leben der Beteiligten. Linn Ullmann zeigt die Auswirkungen geschickt und eindringlich, indem sie die Beziehungen der Figuren zueinander durch wechselnde Perspektiven zeigt.


    Es ist aber kein Kriminalroman, die Aufklärung des Mordes nimmt kaum Raum ein, sehr wohl aber, wie die Leute, die Mille kannten, zu ihr standen.
    Das ist schon sehr gut gemacht, wie die Autorin alle ihre Figuren entwirft und zu Wort kommen lässt. Das beginnt schon mit den Jungen, die die Leiche im Wald finden und setzt sich bei den Familienmitgliedern fort. Der Schriftsteller Jon Drayer zum Beispiel, oder seien Frau Siri und die Tochter Alma. Und auch Mille selbst lernt man schließlich gut kennen. Die Autorin gibt den Figuren immer so viel Spielraum, um den Leser bei Spannung zu halten und wechselt dann rasch die Perspektive. Zusammenhänge ergeben sich allmählich.


    Ich habe den Roman ganz gerne gelesen, man kann ihn als gelungen betrachten und vielleicht lese ich auch weitere Romane der Autorin. Ich gebe dem Roman 8 von 10 Punkten.

  • Es beginnt mit einer Leiche – Kinder finden sie beim Graben nach einem Schatz. Sehr schnell stellt sich heraus, dass es sich bei der Toten um Mille handelt, das lange vermisste Kindermädchen von Alma und ihrer Schwester. Sie verschwand am Abend der Party zu Jenny Brodals 75. Geburtstag, den ihre Tochter Siri gegen ihren Willen für sie ausrichtet.


    Um Siri und ihre Familie geht es allerdings hauptsächlich in diesem Roman, den man trotz der Leiche und des im Raume stehenden Verbrechens nicht als Kriminalroman bezeichnen kann. Neben den Beziehungsgeflechten der Familie untereinander rückt das, was mit dem Kindermädchen geschehen ist, sehr in den Hintergrund. Hauptsächlich dreht und wendet sich alles in dieser Familiengeschichte um das Unausgesprochene – es wird im Laufe der Handlung auf jedes einzelne Familienmitglied eingegangen und immer stellt sich heraus, dass niemand aus dieser Familie wirklich mit dem anderen redet.
    Man lebt sein Leben, man liebt den anderen – irgendwie – aber es scheint, als habe sich niemand wirklich jemals dem anderen geöffnet. So könnte man es auf den Punkt bringen.


    Siri hat in ihrer Kindheit den kleinen Bruder verloren, ihre Mutter Jenny schweigt darüber, Siris Mann arbeitet an dem schon längst überfälligen Roman seines Lebens und lenkt sich von seinem Scheitern durch Seitensprünge ab. Siri ist erfolgreiche Unternehmerin, doch alles was sie macht, scheint seltsam zwanghaft und nie wird über die Vergangenheit gesprochen, auch nicht, als langsam klar wird, dass Mille etwas passiert sein muss.


    Immer tiefer wird man als Leser in diesen bedrückenden Sumpf des Schweigens gezogen und erlebt mit, wie sich das Unausgesprochene zwischen den einzelnen Figuren immer mehr auftürmt. Es kommt keine Erlösung, man erlebt ihre Verzweiflung und erkennt den Grund, den sie alle scheinbar selbst nicht sehen und das führte bei mir dazu, dass ich bedrückt, aber auch verärgert über solch grandioses Scheitern war.


    Linn Ullmann selbst geht in diesem Buch mit ihren Lesern genauso vor, denn auch sie spricht nicht alles aus – sie verschleiert, wirft kurze Szenen in den Raum, die sie nicht weiter ausmalt, obwohl es sich dabei um die Ursachen aller Probleme handelt, baut Cliffhanger ein und springt immer wieder zwischen den einzelnen Personen und Zeiten hin und her. Mal befindet man sich in der Vergangenheit, mal in der Gegenwart, dann wieder in der noch länger zurück liegenden Vergangenheit, oder in der Zukunft.


    Mich hat die Sprachlosigkeit der ganzen Familie irgendwann ziemlich genervt und die verwaschene Schilderung ausgerechnet der Schlüsselszenen fand ich ärgerlich. Der Schreibstil war wie immer bei Linn Ullmann gefällig und gut zu lesen und dass es ihr gelungen ist, mit ihrem Roman überhaupt solche Emotionen bei mir zu wecken, zeigt ja, dass es sich eigentlich um ein sehr gut geschriebenes Buch handelt – man muss es ja trotzdem nicht lieben…
    7 Punkte dafür.

  • Äh, welches waren denn für Dich die Schlüsselszenen? :gruebel
    Ich habe das Buch vor kurzem aus meinem SUB gezogen, weil ich mal wieder Lust auf einen skandinavischen Roman hatte, aber irgendwie lässt mich dieses Buch ratlos zurück. Es macht seinem Namen wirklich alle Ehre, denn in diesem Buch wird so ziemlich alles verschwiegen - weder reden die Personen wirklich miteinander, noch erfährt der Leser, wie Mille denn nun tatsächlich ums Leben gekommen ist. Ich glaube, wenn man mit dem Buch durch ist, weiß man als Leser wesentlich mehr über das Innenleben der einzelnen Familienmitglieder als diese Personen selber!


    Und doch hat mich das Buch nicht losgelassen, es ist gut geschrieben und ich habe es bis zu Ende gelesen, ohne mich dabei zu langweilen. Aber deprimierend ist es irgendwie schon, lauter verpfuschte Leben, auch wenn ich am Schluss den Eindruck hatte, dass zumindest Jon auf einem guten Weg ist, nochmal die Kurve zu kriegen.


    Mit einer Bewertung tue ich mich diesmal wirklich schwer, es hat mir gefallen und auch wieder nicht (ich hätte halt doch gern gewusst, was wirklich mit Mille passiert ist!) und ich weiß auch nicht, wem ich dieses Buch weiterempfehlen könnte. Ich glaube, man muss schon in einer sehr speziellen Stimmung sein, um an diesem Buch seine Freude zu haben, anders kann ich es nicht ausdrücken. Ich gebe mal 7 von 10 Eulenpunkte. :-)


    LG, Bella