Gebundenes Buch mit Schutzumschlag
240 Seiten, ca. 350 Schwarz-Weiß- und Farbfotografien
Knesebeck Verlag
26 cm x 29,2 cm
Erscheinungstermin Februar 2013
Die Dynamik des Augenblicks
Wenn ich mich recht erinnere, bin ich erst vor einigen Jahren auf Clint Eastwood als Regisseur aufmerksam geworden. Das muss im Jahr 2005 gewesen sein, als Eastwood für den Film "Million Dollar Baby" zwei Oscars (Film und Regie) und einen Golden Globe (Regie) verliehen bekam sowie in weiteren Kategorien nominiert war. Zuvor kannte ich ihn nur als guten Schauspieler, der mich wegen seiner Fähigkeit, durch den reduzierten Einsatz von Mimik und Gestik die größtmögliche Wirkung zu erzielen und durch seine gelassene, souveräne und sympathische Ausstrahlung faszinierte. Dass der Mann, der mit Rollen wie dem wortkargen Revolverhelden in "Zwei glorreiche Halunken" oder Polizeiinspektor Harry Callahan in "Dirty Harry" enorme Erfolge feierte, schon seit Anfang der 70er Jahre auch Regie führt, war mir irgendwie nicht tiefer ins Bewusstsein gelangt und machte mich sehr neugierig auf diesen Aspekt von Clint Eastwoods Persönlichkeit.
Wie der Titel schon vermuten lässt, befasst sich das vorliegende Buch ausschließlich mit der Regiearbeit von Clint Eastwood. Seine schauspielerische Karriere und lebensgeschichtliche Daten werden dabei eher vernachlässigt und nur selten zur Verdeutlichung gewisser Zusammenhänge zwischen Eastwoods beruflicher Erfahrung und seinen Entscheidungen beim Drehen eines Films herangezogen. Von der äußeren Form und der Qualität der Fotografien her ist das Buch ein typisches Coffee-Table-Book, bei näherer Betrachtung bietet es aber sehr viel mehr. Bedingt durch eine recht kleine Schrift (die Bildunterschriften sind fast schon etwas für die Lupe) und eine wohlüberlegte Anordnung der Fotografien war es möglich, erstaunlich viel Text auf die knapp 240 Hochglanzseiten zu bekommen.
Dem eigentlichen Textteil vorangestellt ist eine Einleitung von Morgan Freeman, der genau wie der Vorwortschreiber Steven Spielberg ein Freund von Clint Eastwood ist. Die nachfolgenden Kapitel sind in sich nach Themen unterteilt und mit ungefähr 350 Schwarz-Weiß- und Farbfotografien verschiedener Größe versehen. Auf diesen kann man die Filmleute und Clint Eastwood bei der Arbeit beobachten, und es sind auch viele Standfotos aus den insgesamt 32 Filmen (z.B. Flags of Our Fathers, Mystic River, Absolute Power und J. Edgar) mit Eastwood als Regisseur darunter. Die Entstehungsgeschichte der Filme wird ebenso besprochen wie technische Details und kleine Anekdoten vom Set. Zu einigen Punkten gibt es Extra-Seiten, auf denen z.B. auf die Filmautos, die Kostüme oder das Drehen mit einer einzigen Kamera näher eingegangen wird. Ausgewählte Sketch- und Storyboards von mehreren Filmen runden das Ganze ab.
Der Autor hat zahlreiche Gespräche mit Schauspielern (darunter Gene Hackman, Meryl Streep, Forest Whitaker und Leonardo DiCaprio), Clint Eastwood selbst und Crewmitgliedern geführt und deren Aussagen immer wieder als Zitate in seinen Text einfließen lassen. Auch an verschiedenen Drehtagen durfte Goldman dabei sein und konnte sich so ein genaues Bild der Abläufe vor Ort machen. Dabei hat der Autor eine Unmenge an Informationen angesammelt, die nun dem Leser zu Gute kommen. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass ich mal so viel über die Arbeit hinter den Kulissen eines Filmstudios erfahren würde. Da geht es um die Wahl der Drehorte, die Art der Kameraführung, die richtige Besetzung, geeignete Drehbücher, Budgets, Zeitpläne, die ideale Beleuchtung usw. usf. Alles natürlich zugeschnitten auf Clint Eastwood und die Mitarbeiter seiner Produktionsfirma Malpaso. Denn Michael R. Goldman verfolgte mit dem Schreiben des Buchs die Absicht, einem breiten Publikum die ungewöhnliche Methode des Regisseurs Clint Eastwood näherzubringen. Das ist ihm gelungen, denn nach der Lektüre sollte auch dem letzten Zweifler klar sein, dass Eastwood nicht ohne Grund als Elite-Regisseur gilt.
Anders als andere Regisseure sieht sich Clint Eastwood nicht als "Auteur" (frz. für "Autor") seiner Filme. Ganz im Gegenteil. Die Auteur-Theorie besagt, dass der Regisseur einen wesentlichen Anteil am Drehbuch hat und zudem auf alle Produktionsabläufe intensiv einwirkt, um in erster Linie seine eigenen Vorstellungen umsetzen zu können. Clint Eastwood dagegen ist für eine arbeitsteilige Produktionsweise, an der das ganze Filmteam mitwirkt. Weder übt er Druck auf die Schauspieler aus, noch schreibt er seinen Mitarbeitern vor, wie sie ihre Arbeit zu erledigen haben. Die Atmosphäre an Eastwoods Sets zeichnet sich durch ein entspanntes und von gegenseitigem Respekt getragenes Arbeitsklima aus. Das Vertrauen, das Clint Eastwood in andere Menschen und ihr Können setzt, scheint für einen Regisseur einzigartig zu sein. Viele andere Besonderheiten unterscheiden ihn ebenfalls von seinen Kollegen. So nimmt er immer den ersten Entwurf eines Drehbuchs, zieht Probeaufnahmen einem persönlichen Vorsprechen vor und lässt die Schauspieler ihre Rollen stets eigenständig entwickeln. Viele Top-Stars wollen unbedingt mit ihm arbeiten und verzichten dafür sogar auf finanzielle Vorteile.
Die Filmmusik schreibt Eastwood übrigens oft selbst, manchmal komponiert auch sein Sohn Kyle einige Stücke. Der Jazzliebhaber spielt auf seinem Hotelzimmer sogar häufig Klavier. Während die Menschen, die mit Clint Eastwood arbeiten, seine professionelle, freundliche, überraschend intuitive und geradlinige Art schätzen, können sich die Studios bei ihm auf eine schnelle, kostensparende und trotzdem hochwertige und sorgfältige Produktion einstellen, die Geld in die Kassen bringt. Das Publikum wiederum liebt Eastwoods Filme wegen ihrer Tiefgründigkeit, der Authentizität und der unverwechselbaren Geschichten. Für den 1930 geborenen Schauspieler und Regisseur zählt nicht nur die Leistung des Einzelnen, sondern das Gesamtbild muss stimmen. Er ist immer gut vorbereitet, wenn er einen Film dreht und erwartet das Gleiche von allen anderen Beteiligten.
Selten habe ich einen so informativen, interessanten und detailreichen Bildband (den Eastwood selbst autorisiert hat) in den Händen gehalten. Im Anschluss an das Lesen bleibt ein Gefühl großer Bewunderung für Clint Eastwood und sein außergewöhnlich feines Gespür für Zwischenmenschliches, das Wesen eines Films und die einzelnen Produktionsabläufe. Als Filmbegeisterter und Clint Eastwood-Fan kann man mit diesem Buch nichts falsch machen.
Volle Punktzahl!
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