Anne Kristine - Lalli Knutsen

  • OT: Fru Ann-Kristine Til Maere, 1953deutsche Ausgabe 1955 übers. von Hilda von Born-Pilsach.



    Lalli (Alfhild Hermana) Knutsen (1906 - 1980) war eine norwegische Autorin von Unterhaltungsromanen, die ab Ende der 1930er erschienen. Ihr Schwerpunkt ab den 1950er Jahren waren Kolportageromane, Liebesgeschichten und vor allem Krimis, die sie in großer Zahl unter einem guten Dutzend Pseudonyme publizierte.
    Anne Kristine ist ein historischer Unterhaltungsroman, der zu ihren etwas ambitionierteren Projekten gezählt werden kann. Diese Geschichte von großer Liebe und viel ebenso großem Leid spielt im Norwegen der späten 1680er bis Mitte der 1690er Jahre. Sie ist äußerst gefühlvoll, höchst spannend und temporeich. Erzählt wird aus einer für das Genre eher ungewöhnlichen Perspektive. Die Erzählerin ist Anne Kristines jüngere Schwester, die, wie die Erzählein von du Mauriers Rebecca namenlos bleibt.


    Anne Kristine und ihre Schwester sind Töchter des vornehmen Gutsbesitzers von Maere in Norwegen, zu Beginn der Handlung ist Anne Kristine sechzehn, ihre Schwester drei Jahre jünger. Erzählt wird aus der Rückschau. Anne Kristine liebt den Sohn des Reitvogts des Guts, eine unstandesgemäße Verbindung. Gegen ihren Willen wird sie mit einem anderen verlobt. Ihre Flucht mißlingt, kurz darauf ist sie tatsächlich die Ehefrau des Mannes, den ihre Eltern gewählt haben. Diese Zwangsehe, deren Zustandekommen schon rasant geschildert wird, wird der Ausgangspunkt einer sich immer schneller drehenden Spirale von Ereignissen, an deren Ende für fast alle Beteiligten der Tod steht. Anne Kristine rächt sich für das, was sie für ihr zerstörtes Leben hält, mit schnell wechselnden Liebhabern, von denen sie im Grund vor ihrem Eheleben gerettet werden will. Zum tragischen Element wird, daß ausgerechnet der unsympathisch gezeichnete Ehemann der einzige ist, der sie liebt, was Anne Kristine aber nicht erkennt. Im Gegenteil treibt sie mehr und mehr darauf zu, ihre Ehe gewaltsam zu beenden.


    Ihre jüngere Schwester hängt mit rührender Liebe an ihr, unterstützt sie und hält auch bei den größten Verfehlungen zu ihr. Ihr Bericht ist oft naiv, weil sie das, was die ältere Schwester tut, zu spät oder gar nicht versteht, sie handelt immer wieder falsch und bringt nicht nur Anne Kristine in Schwierigkeiten. Ihr Leben verläuft ebenfalls nicht sehr glücklich, ihr erster Mann stirbt, ein Vormund stiehlt ihr Vermögen. Annes Kristines schlußendliche Tat veranlaßt sie zu einer Verzweiflungstat, die sie zu Folter und langjährigem Gefängnis verurteilen. Knutsen schont ihre Heldinnen nicht. Das Ganze ist ein seltenes Hohelied bedingungsloser Schwesternliebe.


    Es gibt wenig Ruhepunkte in der Geschichte, keinen Liebestrost, der lange andauert. Anne Kristine ist die Geschichte des Untergangs der beiden Fräulein von Maere. Das späte siebzehnte Jahrhundert ist eine schöne Kulisse, der Alltag, die Kleidung, die Gepflogenheiten werden ganz selbstverständlich genannt, es ist kein animiertes Schul-Geschichtsbuch. Wichtig ist die Seelenlage der Figuren und ihr Handeln in dem engen Rahmen, den ihre Epoche ihnen vorgibt. Knutsen beherrscht die Klaviatur des gefühligen Schreibens wie des Spannungsromans, ist um keinen Einfall verlegen und herrscht überhaupt mit einem Selbstbewußtsein, daß man den selbst schlimmsten Kitsch anstandslos hinnimmt. Das ist klassisches großes Theater.


    Ein richtig schöner Schmöker um Liebe und Leid. Wer ihn zufällig noch in einer Mottenkiste findet, kann sich durchaus auf unterhaltsame Stunden freuen.

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus