Nick Dybek: Der Himmel über Greene Harbor
Mareverlag 2013. 320 Seiten
ISBN-13: 978-3866481602. 19,90€
Originaltitel: When Captain Flint Was Still a Good Man
Übersetzer: Frank Fingerhuth
Verlagstext
Jeden Herbst lassen die Männer von Loyalty Island den grünen Nebel der Olympic-Halbinsel hinter sich und fahren auf die Beringsee hinaus. Der vierzehnjährige Cal ist zu jung, um seinen Vater zu begleiten, aber alt genug, um zu wissen, dass sein Leben wie das aller Familien im Ort vom Schicksal der Krabbenfischer abhängt. Er ist ebenfalls alt genug, um die Spannungen zwischen seinen Eltern zu spüren ob er, Cal, in die Fußstapfen seines Vaters treten soll, ist ein wiederkehrender Streitpunkt, und auch das Verhältnis seiner Mutter zu John Gaunt, dem Besitzer der Flotte, wirft Fragen auf. Dann stirbt John Gaunt: ein Schock für Cals Mutter, aber auch eine handfeste Bedrohung für die gesamte eingeschworene Gemeinschaft von Fischerfamilien. Denn nun soll Johns Sohn Richard die Geschäfte übernehmen, der als zynischer Außenseiter gilt und obendrein noch nie einen Fuß auf einen Kutter gesetzt hat. Als Cal zufällig ein Gespräch zwischen seinem Vater und zwei weiteren Fischern belauscht, beschleicht ihn ein Verdacht - aber kann es wirklich sein, dass sie Richard aus dem Weg räumen wollen? Der Winter naht, Cals Verdacht erhärtet sich, und bald gerät sein moralischer Kompass massiv aus dem Takt.
Ein mitreißender und von der amerikanischen Presse gefeierter Roman über Väter und Söhne, das Ende einer Kindheit, über Verantwortung, Loyalität und über die Frage, was Menschen zu unmoralischem Handeln treibt.
Der Autor
Nick Dybek, geboren 1980 und aufgewachsen in Kalamazoo, Michigan, studierte in Ann Arbor an der University of Michigan. Für seine Kurzprosa wurde er bereits mit verschiedenen Preisen ausgezeichnet. Er lebt in New York City. Der Himmel über Greene Harbor ist sein erster Roman, dessen Übersetzungsrechte in mehrere Länder verkauft wurden.
Inhalt
Der alte John Gaunt war zu früh gestorben, hieß es unter den Fischern auf Loyalty Island, einer fiktiven Landzunge der Olympic-Halbinsel. John gehörte alles im Ort, die Fischkutter, die Ausrüstung, das Kühlhaus und die Fanglizenzen für Riesenkrabben, die die Männer in den Wintermonaten vor Alaska fingen. Mit einem guten Fang an Riesenkrabben konnte ein Mann sehr viel Geld verdienen - und setzte dafür sein Leben ein. Der Winter stand vor der Tür und John hatte keinen Nachfolger. Sein Sohn Richard war zwar schon fast dreißig Jahre alt, hatte aber noch nie einen Fuß auf das Deck eines Kutters gesetzt. Falls John, selbst Sohn eines Selfmade-Mans, einen Plan für seine Nachfolge gehabt haben sollte, hat er mit seinen Männern jedenfalls nicht rechtzeitig darüber gesprochen. Wie viele erfolgreiche Unternehmer kann er sich vermutlich schwer vorstellen, dass ein erfahrener Mitarbeiter die Geschäfte erfolgreicher weiterführen wird als sein leiblicher Sohn. Cal, der Erzähler der Ereignisse, war im Winter von John Gaunts Tod 14 Jahre alt. Seit früher Kindheit erlebt er den Zyklus vom Auslaufens der Boote zu Winteranfang in die Beringsee, die Angst der Angehörigen um Leben und Gesundheit der Fischer und das wiederkehrende Fremdeln in den Familien, wenn die Männer nach ihrer Rückkehr an Land erst wieder Fuß fassen müssen. Die Krise der Ehe seiner Eltern spürt Cal deutlich. Cals Mutter will auf keinen Fall, dass ihr Sohn Fischer wird wie sein Vater - und der sieht sich, verständlich, davon abgewertet. In diesem Jahr beginnt die Fangsaison mit der ungelösten Frage, ob Richard womöglich alles an die Japaner verkaufen und der gesamte Ort ohne Einkommen bleiben wird. Cals Mutter verschwindet in ihre alte Heimat Florida; Cal soll nicht allein im Haus bleiben und wird den Winter in der Familie seines Freundes Jamie verbringen. Die Väter der Jungen hatten Erwachsensein in ihren Anekdoten stets mit harter körperlicher Arbeit verbunden. Wer kräftig genug war, mit dem Vater nach Alaska zu fahren, war ihrer Ansicht nach für das Leben gerüstet. Doch die Existenz bedrohende Nachfolgefrage um Richard Gaunt zeigt den Jungen, dass zum Erwachsenenleben offenbar mehr gehört als Erfahrung auf See. Mit dem Originaltitel "When Captain Flint Was Still a Good Man" begannen stets die Geschichten, die sich Cals Vater zusätzlich für die Helden der Schatzinsel ausdachte. Die Zeit, in der Vater und Sohn miteinander reden konnten, scheint vorbei zu sein. Dabei wäre es wichtig, dass Cal herausfindet, was er mit seinem Leben anfangen möchte. Cal und Jamie haben in diesem Winter ohne ihre abwesenden Väter kräftig zu kämpfen mit der Lösung bedeutender moralischer Fragen, während sie rauchend auf dem Dach vor Jamies Zimmerfenster hocken.
Fazit
Nick Dybek legt einen beeindruckend erzählten Roman über Väter, Söhne, ihre Helden und das Geschichtenerzählen vor. Wer in der recht kurzen Geschichte vom Thema Fischerei und der idyllischen Lage des Ortes nicht zuviel erwartet, wird mit einer großartigen Coming-of-Age-Geschichte belohnt, die das Interesse an weiteren Büchern des Autors weckt.
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"Seine [Richards] Geschichten waren Berichte aus einem Leben, dem wir nie begegnet waren. Das lag nicht etwa daran, dass sie aufregender oder dramatischer waren als die Geschichten unserer Väter über Alaska, aber die Alaska-Geschichten waren grau und durchnässt von eisigem Schleim. Sie ließen uns keuchen, aber nicht lächeln, und die Männer, die sie erzählten, lächelten - wenn überhaupt - nur, wenn sie uns keuchen hörten.
Richards Geschichten sagten uns etwas anderes: Es gibt viele Arten, sein Leben zu führen. Ich weiß das jetzt, aber wusste ich es damals? Offensichtlich war mir klar, dass es für mich ein Leben jenseits von Loyalty Island geben könnte. Ich hatte nur keine Ahnung, wie anders die Welt auf der anderen Seite des Puget Sound und des Kaskadengebirges aussah. Mir war nicht klar, was es bedeutete, in Loyalty Island zu bleiben und mir einen Platz auf den Schiffen bei meinem Vater zu erarbeiten. Es hieß nicht etwa, alles erreicht zu haben - es bedeutete vielmehr, unermesslich viel zu verpassen." (S. 216)
10 von 10 Punkten