Fragen an Tom Liehr

  • Ich weiß ja, dass du einem zeitaufwendigen Brotberuf nachgehst und auch dass so ein Scheissbär Zeit frisst, trotzdem die obligatorische Frage, wie lange werden wir auf das nächste Buch warten müssen?

  • Hallo, Beo.


    Ich schreibe derzeit am nächsten Roman, und er sollte, wenn alles gut geht, im kommenden Frühjahr/Sommer erscheinen. Das wird allerdings ein völlig anderer Text - tatsächlich eine Liebesgeschichte.

  • Hallo Tom,


    wenn ich den letztes Buch "Sommerhit" mit dem aktuellen "Leichtmatrosen" vergleiche, lassen sich ja schon einige Unterschiede feststellen. Meine indiskrete Frage an dich wäre, ob sich die Arbeit an Leichtmatrosen anders "angefühlt" hat, als das Schreiben von Sommerhit. Wenn du diese beiden Bücher vergleichen müsstest, bei welchem der beiden fiel dir das Schreiben leichter, mit welchem Buch bist du zufriedener?


    Edit hat noch eine Frage hinterher: "Wolltest du über eine Sexorgie schreiben oder haben sich deine Figuren verselbstständigt und es kam einfach so?"

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    "Es hat alles seine Stunde und ein jedes seine Zeit, denn wir gehören dem Jetzt und nicht der Ewigkeit."

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  • Hallo, Suzann.


    "Zufrieden(er)" ist nicht das Wort, das ich verwenden würde. Ich finde, dass "Leichtmatrosen" sehr stimmig ist, dass der Plot nachvollziehbar ist, die Figuren sehr gut aufgestellt sind, es die richtige Gewichtung zwischen Ernsthaftigkeit und Komik gibt. Anders gesagt: Ich halte "Leichtmatrosen" für ein sehr rundes Buch, was Dramaturgie, Personal, Stimmen und Stimmung anbetrifft. Es war sehr schön und befriedigend, daran zu arbeiten, weil das Setting so überschaubar und begrenzt war. Ich hatte viel Spaß beim Schreiben. Und Ihr hoffentlich auch beim Lesen.


    "Sommerhit" ist ernsthafter, obwohl auch "Leichtmatrosen" viele ernste Momente hat, schließlich geht es um essentielle Lebensfragen und Schicksale. Aber "Sommerhit" kommt fast ohne Siutationskomik aus, ich habe mich auch als Autor zurückgehalten, und es war schwerer für mich, Falk Lutter zu sein, als Patrick Finke (der ja nur eine von vier Hauptfiguren ist) eine Stimme zu geben. "Sommerhit" thematisiert Macht und die Folgen von Gruppendynamik, es geht in dem Buch um elementare Fragen der Selbstbestimmung und der Freiheit, außerdem hat es politische Aspekte. Ich finde, dass das sehr gelungen ist; ich bin mehr als stolz auf diesen Roman. Aber die Arbeit daran war tatsächlich anders als die an "Leichtmatrosen". Ich musste viel mehr recherchieren, einige Interviews führen, immerzu die gefühlte Erinnerung gegen Fakten überprüfen. Beim Schreiben hatte ich oft Angst, dass die Geschichte in die falsche Richtung laufen würde, und musste viel häufiger als sonst ganze Kapitel verwerfen und neu schreiben. Mit dem Ergebnis bin ich aber, wie erwähnt, mehr als zufrieden - und freue mich auch nach wie vor darüber, dass dieser doch recht ruhige Liehr-Roman keine Irritationen bei der "Fangemeinde" ausgelöst hat, ganz im Gegenteil.


    "Zufriedener" bin ich also mit keinem von beiden - "Leichtmatrosen" ist vielleicht etwas allgemeintauglicher, und es gibt in "Sommerhit" fraglos einige Aspekte, die nicht ganz die Rolle spielen, die sie spielen sollten (Falks Geruchssinn beispielsweise). Beide Bücher sind Elemente einer Entwicklung, deren vorläufiges Ende ich aber derzeit nicht antizipieren kann. Und ich würde sie selbst eigentlich nicht vergleichen wollen.


    Nein, die Figuren haben sich in der Sexszene nicht verselbständigt, aber ich bin auf einige Ideen - etwa das Viagra - erst im Moment des Schreibens gekommen. Dass es eine solche Wende in Form einer Party geben würde, war jedoch von Anfang an geplant.

  • Tom, wie zufrieden bist du mit dem Cover deines Buches? Ich muss ganz ehrlich gestehen, dass mich die Aufmachung nicht gerade vom Hocker reißt. Es hätte mich in einer Buchhandlung nicht unbedingt gereizt, einen Blick hineinzuwerfen. Das wirkt da eher wie ein heiteres Buch über ein Segeltörn und produziert für meinen Geschmack nicht die passenden Assoziationen.


    Alternativ, wenn ich mal Wünsch-Dir-Was spielen darf, stelle ich mir gerade das Bild eines ankernden, ziemlich ramponierten Hausbootes mit der deutlich lesbaren Aufschrift "Tusse" vor, auf dem Deck erkennt man die chaotischen Überreste einer hemmungslosen Party... :-]

  • Hallo, arter.


    Besser geht immer, und man hätte natürlich auch ein abgewracktes Boot verwenden können, auf dessen Deck BHs und Kondome herumliegen, während im Seewasser drumherum Ouzoflaschen schwimmen. Das würde die Geschichte aber ungut reduzieren, was, zugegeben, auch das aktuelle Cover tut, aber in sanfterer Form. Ich finde es sehr gut, weil es einen Aspekt (Allohol :grin) andeutet, wenigstens auf mich wie ein Eyecatcher wirkt - und sich zugleich zurückhält. Mein voriger Agent hätte angemerkt: "Kein gutes Cover, ist ja keine Frau drauf." ;-) Alternativen gibt es, wie gesagt, immer, aber ich find's, ebenfalls bereits gesagt, sehr gelungen. Was für die gesamte Ausstattung des Titels gilt, also etwa die Ausklappkarte und die Grafiken bei den Kapitelanfängen.

  • Die Landschaftsbeschreibungen machen doch einen wichtigen Teil dieses Buches aus. Und sind sicherlich nicht so romantisch geworden, wie man es bei anderen Titeln vielleicht sehen wuerde. Wie bist du das angegangen? War es etwas ganz neues fuer dich? Ich kann mich jetzt gar nicht mehr dran erinnern wieviel Landschaftsbeschreibungen im Pauschaltourist waren - und dann sicherlich auch dort keine gradlinigen :grin

    Gruss aus Calgary, Canada
    Beatrix


    "Well behaved women rarely make history" -- Laura Thatcher Ulrich

  • Hallo, ginger ale.


    Zitat

    hast du den letzten Satz vielleicht auch als eine Art Cliffhanger gemeint? Die Möglichkeit, die Sache mit Patrick und Anna als Ausgangspunkt für einen Folgeroman zu nehmen?


    Ein Cliffhanger wird normalerweise später innerhalb der Geschichte aufgelöst, was im Buch nicht mehr möglich war, da es schlicht an dieser Stelle endet. Es ist eher ein so genannter "Twist", eine kleine Drehung, eine angedeutete mögliche Wendung für die Zukunft, die jedoch niemand kennt. Aber, nein, ich plane derzeit keine Fortsetzung. Ich könnte mir vorstellen, eine Frauengeschichte in einem ähnlichen Setting anzusiedeln ("Leichtmatrosinnen"), aber ich möchte diese Geschichte eigentlich so lassen, wie sie ist. Fortsetzungen wringen Figuren aus, über die man längst genug weiß. Natürlich könnte man Patrick, Henner & Co. noch in diverse Situationen stoßen und Veränderungen durchleben lassen, aber die Dramaturgie geriete wahrscheinlich tendenzhomöopathisch. Das mag ich auch als Leser nicht.

  • Hallo, Beatrix.


    Zitat

    Wie bist du das angegangen? War es etwas ganz neues fuer dich?


    Tatsächlich gab es bislang in meinen Büchern nur wenige Landschaftsbeschreibungen, die man tatsächlich so bezeichnen könnte - eher Andeutungen, kurze Zusammenfassungen, beispielsweise in "Sommerhit", wenn es um Ungarn geht, oder in "Pauschaltourist", wenn der Erzähler lakonisch summiert, wie die Region auf ihn wirkt. Aber in diesen Büchern spielte die Landschaft auch keine Hauptrolle, was in "Leichtmatrosen" anders ist.


    Ich habe das ja selbst mehrfach erlebt, anfangs auch ähnlich überrascht wie die vier Helden - ich hatte einfach nicht erwartet, dort, kurz über Berlin, ein derartiges Revier vorzufinden. Insofern war dieser Teil relativ leicht. Dann habe ich mich in Patrick hineinversetzt, seinen Unwillen, sich mit dem eigenen Leben zu befassen, verinnerlicht, und ihn einfach der Natur ausgesetzt. Dadurch lief es fast von selbst. Auf meinen Recherchefahrten habe ich allerdings in mehreren Moleskines sehr, sehr viele Notizen gemacht, also Beschreibungen gesammelt, mir aufgeschrieben, wie welches Ufer bewachsen war, wo ich welche Tiere gesehen habe usw., und außerdem notiert, wie lange welche Strecke dauerte, wie die Schleusenzeiten waren und vieles mehr. Das konnte ich dann aus Patricks Sicht abarbeiten.

  • Da ich einige von deinen Büchern kenne, sind auch mir sofort die Landschaftsbeschreibungen ins Auge gefallen und das sehr positiv, weil sie sonst meist nur angedeutet waren oder kurz gehalten, wie du es schreibst . Auch ich hätte nicht erwartet, kurz über Berlin so eine wunderschöne Region vorzufinden, die du unglaublich detailliert beschrieben hast, ob nun von der Bewachsung oder den Tieren, die man in freier Wildbahn sonst selten oder gar nicht sieht.


    Obwohl viel "Tom" in diesem Buch ist, wie ich ihn aus den anderen Büchern kenne, ist es doch gerade durch dieses Zusammenspiel von Mensch und Natur, was ich sonst so noch nicht erlebt habe bei dir, etwas ganz besonderes. Es paßt einfach: Die vier Helden, die sich einfach mal ausklinken, um einfach mal eine schöne Zeit zu haben und dann anfangen sich mit ihrem Leben auseinandersetzen und dazu paßt auch diese Landschaftsbeschreibung. Denn auch sie erleben ja dies in der Art zum Teil das erste Mal, so wie die Zeit für die Selbstfindung. Es ist ein Abtauchen in eine Gegend, die neu und fremd ist, die man so nicht kennt, genauso wie das Abtauchen in sich selbst und seine Kumpels, die man immer nur oberflächlich gesehen hat, aber eigentlich von ihnen nichts genaues wußte. "Symbiose" war das Wort was mir einfiel. Okay etwas zweckentfremdet. Aber dieses Zusammenspiel paßt hier einfach für mich.

    :lesend Mary Kay Andrews - Winterfunkeln

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    Hörbuch: Andreas Föhr - Totholz

    SuB: 324

  • Tom , & Natur: Ich habe ein bisschen die Blässhühner und die Kraniche vermisst.


    Die Blässhühner sind neben den von dir erwähnten Enten und Haubentauchern sehr häufig und lautstark in den hiesigen Gewässern zu finden. Bei uns nennt man sie liebevoll "Lietzen", sie sind ebenso entspannt wie die Enten, was das Nebeneinander mit dem Menschen angeht und lassen sich gerne in ihre Wohn- und Kinderstube gucken.


    Und wenn man von großen Vögeln berichtet, dann sollte man eigentlich neben den Grau- und vereinzelten Silberreihern auch die Kraniche erwähnen, die sich zu bestimmten Jahreszeiten in Unmengen auf den Wiesen und Sümpfen versammeln. Das ist schon manchmal ein gigantisches Schauspiel.


    Das soll jetzt keine Kritik an deinen hervorragenden Naturschilderungen sein. Ich habe mich da wirklich sehr heimisch gefühlt. Es ist eher vielleicht als eine kleine Ergänzung zu verstehen. Und ja, es ist irgendwie unverständlich, dass das sowenig bekannt ist, welche urtümliche Vielfalt sich da direkt vor den Toren der Großstadt auftut.

  • Huhu, arter.


    Ich habe während meiner Touren keinen einzigen Kranich gesehen. Kann es sein, dass die sich auf bestimmte Seen/Gebiete/Jahreszeiten beschränken? Gut möglich allerdings, dass Blässhühner dabei waren. Sogar sehr wahrscheinlich (habe mir gerade ein Bild angeschaut, ja). Ich werde sie in den Folgeauflagen bei den Nachbemerkungen erwähnen - und kollektiv dafür um Verzeihung bitten, dass ich sie nicht angemessen gewürdigt habe. ;-) Spaß beiseite. Einen Haubentaucher, einen Schwan, einen Eisvogel, einen Fischotter erkennt ein Stadtmensch vielleicht noch. Bei den Blässhühnern war mir die dramaturgische Vorbereitung zu schwierig. ;-)