Wird heute "besser" recherchiert?

  • Diese Frage geistert mir schon seit längerem im Kopf herum.


    Wird heute besser bzw. umfangreicher recherchiert als früher? Mir kommt es so vor, als ob in aktuellen Büchern (max. 20 Jahre alt) viel mehr Hintergrundinformation enthalten ist als früher (50er - 80er Jahre). Und ich habe das Gefühl, dass sich der Trend fortsetzt. Bestes Beispiel dafür ist Frank Schätzing, der aus seinen Recherchen gleich noch ein Buch gemacht hat. Leider kann ich das nicht so gut beurteilen, da ich wenig "ältere" Bücher lese... es waren meist noch Jugend- und Kinderbücher aus der Zeit. Darum würde mich Eure Meinung dazu interessieren.


    Ein paar Beispiele: Die Handlung spielt in aktuellen Büchern fast ausschließlich an realen Orten, die sehr genau beschrieben werden (z.B. Rom in Illuminati). Ich meine, dass die Krimis früher häufig an fiktiven Orten spielten. Die Polizeiarbeit wird sehr genau dargestellt, fand das in den "älteren" Büchern überhaupt statt (z.B. Hercule Poirot). Oder die psychischen Krankheiten von Tätern werden sehr genau recherchiert.


    Wie das bei historischen Romanen ist, kann ich nicht beurteilen, ich lese zu wenige davon. Aber ich habe das Gefühl, dass auch hier großer Wert auf Authentizität gelegt wird. Die Geschichte soll in einem möglichst historisch korrektem Umfeld spielen.


    Gerade bei Filmen fällt mir das auch auf. z.B. die Heimatfilme mit Peter Alexander, Roy Black und Connie Froboess (ein Graus, ich musste sie als Kind immer mitschauen), die Western und Krimis und auch die Bud Spencer/Terence Hill-Filme (waren ja eigentlich ganz lustig, aber langsam kann ich sie auch nicht mehr sehen), dienten doch eher der seichten Unterhaltung und legten mMn nach nicht so großen Wert auf Logik und eine realistische Umsetzung. Oder man vergleiche z.B. die Schwarzwaldklinik mit ER, Greys Anatomie und Dr. House, oder Derrick mit CSI. Ich habe das Gefühl, dass es früher mehr um den Charakter der Figuren ging, das Drumherum war nicht so wichtig (z.B. die ärztliche Versorgung in der Schwarzwaldklinik). Gerade in den Filmen unterstützt der technische Fortschritt den Trend.


    Wie seht Ihr Eulen-Autoren das? Recherchiert Ihr mehr als früher? Fühlt Ihr Euch unter Druck gesetzt, das auch ja alle Fakten im Buch stimmen bzw. bringt ihr mehr Hintergrundwissen mit ein als früher?


    Ich bin gespannt auf Eure Beiträge :wave

  • Ich bin zwar kein Eulenautor, aber ich denke, wir als Leser, bzw. Medienkonsumenten sind heute kritischer geworden und hinterfragen das, was man uns vorsetzt und darauf haben sich auch Autoren eingestellt.


    Die Zeiten, in denen Leser und Zuschauer unkritisch alles konsumiert haben, was man ihnen vorgesetzt hat, sind zum Glück vorbei. Ich wundere mich, wenn ich mal in alte Filme reinschalte, wie schlecht und wie simpel sie konstruiert waren und doch waren diese Filme teilweise sehr beliebt damals; der Anspruch hat sich im Laufe der Zeit geändert.


    Mit dem Internet hat sich Recherche um einiges vereinfacht. Informationen und Wissen sind leichter und schneller verfügbar und Plots die bei diesen Möglichkeiten mit schlechter Recherche aufwarten, haben sicherlich wenig Erfolg.


    Das Ganze betrifft allerdings leider nur Buchautoren; im Journalismus sieht es teilweise anders aus. Ich habe mich in der letzten Zeit oft gefragt, wie bei bestimmten Artikeln recherchiert wurde und habe das Gefühl, dass da eine neue Generation von Journalisten herangewachsen ist, die weniger Wert auf gute und vor allem seriöse Recherche legt. Auch im TV ist das meiner Meinung nach deutlich spürbar.

  • Ich glaube nicht, dass besser recherchiert wird. Eskalina erwähnte ja das Internet und ich habe den Eindruck, dass doch manch einer denkt, bissi googeln in Wikipedia und Übersetzung mit google translate sind schon vollumfängliche Recherche.


    Ich lese ja viel englischsprachig und wenn da mal ein fremdsprachiger Satz kommt ist der in der Regel nicht muttersprachlich. Da merkt man, dass nicht von einem Menschen übersetzt wurde.


    Historische Romane lese ich jetzt eher weniger, da kann man mir also viele XXX für ein U vormachen oder so. Ich habe das Gefühl, es wird sehr detailgetreu geschrieben und und geschildert und dann WUMM, setzt man eine starke Frau rein, die sich nie und nimmer wie einer Frau im Mittelalter verhält sondern wie eine Frau im 21. Jahrhundert und dann macht man all die schöne Recherche wieder kaputt. Man hat also mühsam recherchiert, wie's fies stinken muss im Spanien oder Köln vor 500 Jahren oder wie die Araber das Baden nach Andalusien brachte und dann ist die Heldin eine moderne Frau als manche Frauenfigur im zeitgenössischen frechen Frauenroman. Aber das ist wohl das Problem (oder der Reiz?) der "Die ....in"-Romane (die ja als richtiges Genre wohl wirklich "historischer Roman mit starken Frauenhelden" heißt). Wäre ich an Geschichte interessierter Autor, dem die Recherche, die dazu gehört, vielleicht auch super viel Spaß macht, ich würd' die Krise kriegen :grin


    Sorry, bin auch keine von Dir angesprochene Autorin (noch nicht :rofl), aber die Autoren schreiben ja auch ihre Meinung, wenn der Leser gefragt ist :keks

  • Die Polizeiarbeit zu Zeiten von Agatha Christie kannte keine DNA Analyse, also kommt sie auch nicht vor. Hercule Poirot ist ein klassisches Beispiel für einen Detektivroman, bei dem in der Regel ausdrücklich erklärt wird, warum keine Polizei da ist (im Orientexpress eingeschneit, auf dem Nil). Qualitätsunterschiede gab es immer, aber ein Mika Walthari und ein Henryk Sienkiewicz haben historische Romane auf der Höhe der historischen Forschung ihrer Zeit geschrieben, Selma Lagerlöff hat die Sagen und Mythen ihres Landes und die geographische Vielfalt Schwedens der Welt eröffnet, noch weiter zurück dient ein Wolfram von Eschenbach oder ein Chretién de Troyes heute als historische Quelle für höfisches Mittelalter.


    Wenn du die Schwarzwaldklinik mit heute vergleichst, müsstest du die Sachsenklinik aus in aller Freundschaft nehmen, Derrick war zuletzt weit über jedes Rentenalter hinaus, wenn du da früher etwas suchst, dann sieh dir Stahlnetz an. Das war so gut gemacht, dass die Polizei es als Schulungsfilm einsetzte und ist vor 45 Jahren eingestellt worden.

  • Zitat

    Original von uert


    Historische Romane lese ich jetzt eher weniger, da kann man mir also viele XXX für ein U vormachen oder so. Ich habe das Gefühl, es wird sehr detailgetreu geschrieben und und geschildert und dann WUMM, setzt man eine starke Frau rein, die sich nie und nimmer wie einer Frau im Mittelalter verhält sondern wie eine Frau im 21. Jahrhundert und dann macht man all die schöne Recherche wieder kaputt


    Ja, als Autor muss man heute bedenken, dass die Frau von heute sich einbildet vorbildlos emanzipiert zu sein und im Mittelalter gab es nur unterdrückte Weiblein- oh wie ahistorisch und vorurteilsbehaftet.

  • Die Frage ist sehr interessant. Mag es wirklich daran liegen, dass der Leser kritischer geworden ist? (Auch ich kann allerdings hier nur aus Sicht des Lesers antworten.) Kann man das klar beantworten? Ich glaube, der Leser kann kritischer sein, weil sein Wissensstand heutzutage eventuell umfassender ist als vor x Jahren.


    Ich seh das eigentlich wie Eskalina: Die Recherche-Möglichkeiten sind heute dank Internet wesentlich einfacher geworden. Früher musste man Orte bereisen, um sie korrekt zu beschreiben, heutzutage lässt sich vieles online betrachten - ich denke, das trägt dazu bei, dass Handlungen nicht mehr nur an fiktiven Orten spielen. (Wobei es durchaus noch "neue" Bücher gibt, die einen fiktiven Handlungsort haben.)


    Das gilt für andere Bereiche sicherlich genau so. Vielleicht ist es aber auch so, dass Autoren grundsätzlich etwas mehr Einblick, z.B. in die Polizeiarbeit, gewährt wird, als das vor 20 - 30 Jahren noch der Fall war? :gruebel


    Hinsichtlich der Darstellung von psychischen Krankheiten könnte ich mir vorstellen, dass es heutzutage einfach genauere Aussagen dazu gibt, vor 50 Jahren war die Erforschung vermutlich noch nicht so weit, um detailliert in einem Buch beschrieben zu werden. Mal davon abgesehen, dass Leser heute womöglich eher diesem Thema aufgeschlossener, da aufgeklärter, gegenüber stehen als das z.B. vor 50 - 60 Jahren noch der Fall war.


    Andererseits - und das bezieht sich nun auch auf die Filme/Serien - lässt sich die breite Masse mit einer Krankenhausserie, in der gar nicht behandelt wird (überspitzt dargestellt) oder einer Krimiserie, in der überhaupt nicht geschossen wird (was vermutlich eher der Realität entspricht), nicht mehr vor den Fernseher locken. Das hängt aber m.E. nicht mit dem Anspruch des Zuschauers, sondern mit der ständigen Reizüberflutung, der man ausgesetzt ist, zusammen. Und überhaupt: Sex sells - oder wie war das? Das gleiche mag auch für Kinofilme gelten: Ein klassischer Heimatfilm würde in der heutigen Kinolandschaft wohl durchfallen (bzw. es gar nicht in die großen Multiplex-Kinos schaffen).

  • Ich denke schon, dass es auch früher eine Menge gut recherchierter Bücher gab, aber das 'breite Mainstream-Rauschen' - also schnell heruntergeschriebene Genreliteratur, weil sich's halt gut verkaufte (und nein, das ist nicht ein Phänomen der heutigen Zeit :grin), ist tatsächlich einfach so geschrieben, wie der Autor es sich vorstellte, und nicht wie es wirklich war. Besonders unfreiwillig komisch wirkt das aus heutiger Sicht, wenn man mal in ältere Nackenbeißer/Historicals, Abenteuerromane, die in fernen Ländern spielen oder Spionagethriller reinliest.
    Jetzt muss bedenken, dass, wie Beowulf schon schreibt, Bücher/Filme zum Zeitpunkt ihres Entstehens für ein Publikum gemacht werden, das der gleichen Zeit wie der Autor entspringt. Und dass die Erwartungshaltung an ein Medium zunehmend höher wird, auch was den Grad der (scheinbaren) Perfektion betrifft.
    Zuschauer, die heute eine Krimiserie sehen, tun das mit einem Hintergrundwissen, das überwiegend von anderen Krimiserien und/oder Büchern geprägt ist. Die scheinbar detaillierten und technologisch aufwändigen Ermittlungsmethoden erscheinen ihnen richtig, weil sie die Erwartungshaltung erfüllen.
    Dem Publikum in den fünfziger oder sechziger Jahren wird's nicht anders gegangen sein. Sie hielten für richtig, was dem zeitgenössischen Standard entsprach.
    Bei einigen Sachen konnte man damals natürlich alle fünfe gerade sein lassen, weil z.B. die Möglichkeit, Dinge mal rasch über's Internet zu recherchieren, nicht gegeben war. Und weil es vor fünfzig Jahren auch noch nicht üblich und normal war, jedes Jahr zum Urlaub in die entlegensten Ecken der Welt zu reisen. Da konnte ein Autor seine Story problemlos in einer erfundenen Stadt mitten in Afrika ansiedeln, in der die Eingeborenen weiße Jäger als Gulasch verzehrten und sich deren Blut als Kriegsbemalung auf die Brust schmierten. Das hätten die meisten Leser geglaubt. Und weil die damaligen Sehgewohnheiten das akzeptierten, konnten Kostüme bei historischen Filmen auch ruhig aus Dederon und Alufolie geschneidert sein. Und die Monster sich in Stop-Motion bewegen. Es gab ja nichts Besseres zum Vergleich.


    Heute wird selbst noch bei der anspruchslosesten Nackenbeißer-Historical-Klamotte erwartet, dass der Autor sich zumindest die Mühe macht, Kleiderschnitte und höfische Tänze der beschriebenen Epoche zu recherchieren und nicht versehentlich Mittelalter, Barock und Biedermeier zu einem lustigen 'irgendwie historischen' Mix verrührt.
    Auch heute noch gibt es jede Menge schlecht recherchierter Romane, aber die wirken zumindest auf den ersten Blick und an der Oberfläche 'korrekt'. Um das zu bewerkstelligen, reicht für den eine ausgiebigere Recherche scheuenden Autor ein bis zwei Tage Google und Wikipedia - einem Buch also zumindest den äußeren Anstrich einer Basisrecherche zu verleihen, ist heute dank Internet viel einfacher als noch vor fünfzig oder sogar dreißig Jahren.



    Was nun die 'moderne' Frau im Mittelalter angeht:
    Ehrlich gesagt, da bewegen wir uns doch sowieso in einem Feld grober Spekulation, angereichert von den jeweils aktuellen PoliticalCorrectness-Strömungen und jeder Menge Halbwissen, gespeist aus Büchern und Filmen, die der Unterhaltung dienen.
    Zunächst einmal glaube ich, dass es zu allen Zeiten vom Charakter der jeweiligen Person abhängig war, wie sie lebte (und sich durchsetzte) und wie nicht. Natürlich fügen sich Menschen immer in die jeweiligen sozial-/kulturellen Rahmenbedingungen ein. Aber innerhalb derer bleiben sie immer noch Menschen, in all ihrer Vielfalt. Und das bedeutet vor allem, dass nicht jede Mittelalterfrau automatisch ein verhuschtes Weiblein sein musste, sowie nicht heute jede Frau automatisch eine karrierebewusste Powerkampfemanze ist. Am schönsten illustriert sich das in der aktuellen Diskussion, die durch eine Femen-Aktion zur Befreiung der islamischen Frau (geile Verallgemeinerung übrigens) angestoßen wurde. Während ein Großteil der westlichen Welt Kopftuch automatisch mit Unterdrückung gleichsetzt, gibt es eine immense, von (starken) arabischen Frauen getriebene Gegenbewegung, die nicht damit einverstanden sind, als Opfer dargestellt zu werden und auf einer Akzeptanz ihrer kulturellen Eigenheiten bestehen.
    So ist die Welt ebenso wenig schwarzweiß, wie sie das vermutlich auch im Mittelalter war.


    Last but not least darf man aber natürlich nicht vergessen, dass die Renaissance des historischen Romans in den letzten Jahren der locker-leichten Unterhaltungsliteratur zu verdanken ist, und deren Leser wollen nun mal eine Heldin, mit der sie sich identifizieren können. Nun wäre es durchaus möglich, eine solche starke Figur trotzdem als Frau ihrer Zeit darzustellen, aber das ist eben viel schwieriger, als einfach eine von Nachbarin Brigitte inspirierte Figur in Leibchen und fünfzehn Wollunterröcke zu packen und fertig.
    Man sollte da nur nicht alle über einen Kamm scheren. Es gibt solche und solche.



    LG, Andrea

  • Heutezutage gibt es bei der Polizei, bei Fachbereichen in Universitäten und vielen anderen Berufszweigen sogar Anlaufstellen für Autoren, die bestimmte Informationen benötigen. Ich denke es ist in den letzten fünfzig Jahren einfacher geworden an viele fachspezifische Informationen zu gelangen, auch ohne dass man zufällig einen Bekannten in diesem und jenem Beruf hat. Diese Möglichkeiten hatten Autoren von damals mit Sicherheit noch nicht. Das sieht man schon an den Danksagungen am Ende der Bücher. Heutzutage sind diese Namenslisten teilweise unglaublich lang und beschränken sich schon längst nicht mehr auf Freunde und Familie, die in dieser und jener Form irgendwie an der Entstehung und Entwicklung des Buches mitgearbeitet haben.


    Ein Beispiel:
    Hanna Winter in ihrem Buch "Die Spur der Kinder" dem Institut für Rechtsmedizin der Berliner Charité, dem Pathologischen Institut der Ludwig-Maximilian-Universität München, sowie der Autorenberatung der Berliner Polizei.


    Und das ist nur der erste Thriller, den ich wahllos aus dem Regal gezogen habe.
    Die Beratung der Berliner Polizei bietet sogar eine Auswahl an möglichen Drehorten für Filmemacher an. Was für ein Service.


    Zitat

    Oder die psychischen Krankheiten von Tätern werden sehr genau recherchiert.


    Gerade in Hinsicht auf psychische Krankheiten, sind viele Erkenntnisse relativ neu. Manche Krankheitsbilder hatten vor fünfzig Jahren noch keinen oder einen anderen Namen, manche waren nicht einmal als solche erkannt, andere sind allgemein eher moderner und existieren überhaupt erst seit einer gewissen Zeit, bzw. waren vor 40 Jahren auch noch gar nicht wirklich bekannt.



    Mich stört es deshalb wenig, wenn ich bei älteren Büchern auf gewisse Wissenslücken stoße. Nie ist mir der Gedanke gekommen, dass die Autoren von damals sich bei ihrer Arbeit weniger Mühe gegeben haben. Ich denke, ihre Möglichkeiten waren schlichtweg deutlich begrenzter, als es heutzutage der Fall wäre.

    "Sobald ich ein wenig Geld bekomme, kaufe ich Bücher; und wenn noch was übrig bleibt, kaufe ich Essen und Kleidung." - Desiderius Erasmus

  • Zitat

    Original von Asmos


    Gerade in Hinsicht auf psychische Krankheiten, sind viele Erkenntnisse relativ neu. Manche Krankheitsbilder hatten vor fünfzig Jahren noch keinen oder einen anderen Namen, manche waren nicht einmal als solche erkannt, andere sind allgemein eher moderner und existieren überhaupt erst seit einer gewissen Zeit, bzw. waren vor 40 Jahren auch noch gar nicht wirklich bekannt.
    .


    Ein posttraumatisches Belastungssyndrom hat schon Homer in der Troas beschrieben, als er das Verhalten des Achilleus besingt, der sich dem Kampf entzieht - die Bezeichnung gibt es seit 1980. Die Erkenntnis der Krankheit war nicht viel älter, die Erkenntnis der Gesellschaft das man sich darum kümmern muss ist eher jünger.

  • Ja, man kann heute mehr recherchieren, weil sich das Wissen erweitert hat, und die Möglichkeiten, dieses Wissen zu verwenden.


    Nur: muß diese Wissen tatsächlich in einen Roman?
    Ich finde, es wird zuviel recherchiert. Es geht heute weniger um ästhetische, gestalterische, stilistische Fragen beim Schreiben, weniger darum, was das Erzählen ausmacht.
    Statt dessen wird vermeintlich Wissen vermittelt, Infotainment.
    Statt Gefühle darzustellen, menschliches Verhalten anschaulich zu machen, Fragen zu diskutieren, die Menschen angehen, werden LeserInnen belebte Lexikonartikel vorgesetzt.
    Die Romanfiguren bewegen sich nicht einer real gestalteten Welt, sondern in einem Museum voller toter Schaustücke.


    Die vermittelten Informationen sind dabei nicht einmal verläßlich. Sie werden verändert, umgebogen, wie immer es der/dem jweilig Schreibenden gefällt.


    Was tatsächlich erzählt wird, sind einfachste Geschichtchen, die aufgeplustert werden mit angeblichem Fachwissen aus Technik, Naturwissenschaften, Geschichte. Oder aus der direkten Umgebung, etwa in Lokalkrimis. Dort ersetzt die Nennung von Straßennamen, Gasthäusern, lokalen Gebräuchen einen Teil dessen, was eigentlich in ein Buch gehörte.


    Seltsame Entwicklung.
    Ich lese wenig zeitgenössische Unterhaltungsliteratur. Aber wenn ich im Klappentext den Satz finde: 'Die Autorin hat ausgiebig für das Thema recherchiert' lege ich das Buch ganz sicher und sofort zur Seite.
    Wenn ich etwas über die Automobilindustrie in Neuseeland, die Blutgruppenbestimmung bei Molchen oder die Schuhmode zur Zeit Karls des Großen wissen will, lese ich bestimmt keinen Roman.



    :wave


    magali

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

    Dieser Beitrag wurde bereits 1 Mal editiert, zuletzt von magali ()

  • Ich sehe mich noch lange nicht als Autorin, auch wenn ich derzeit über einem Manuskript brüte.


    Aber die Frage wie genau die Recherche sein muß stellt sich mir auch.
    Reicht Wikipedia oder muß ich für eine Geschichte die höchstens als BoD rauskommt, wenn ich denn irgendwann zufrieden bin, wirklich Experten belästigen?


    Und an einer Stelle treffen Charaktermotivation und Physik aufeinander, wobei das nur der Mathematikerin und dem Ingenieur aufgefallen ist, alle anderen haben nicht hinterfragt ob das was der Drache da tut auch wirklich möglich wäre. ;)

  • Zitat

    Original von magali


    Wenn ich etwas über die Automobilindustrie in Neuseeland, die Blutgruppenbestimmung bei Molchen oder die Schuhmode zur Zeit Karls des Großen wissen will, lese ich bestimmt keinen Roman.


    Manche Leser wollen aber tatsächlich etwas über Blutgruppenbestimmung bei Molchen wissen, scheuen aber vor einschlägiger Fachliteratur zurück. Sie lesen lieber Romane, in denen ein bisschen Fachwissen vermittelt wird. Das betrifft wohl hauptsächlich geschichtliche Themen.

  • Ich denke es wird nicht unbedingt besser recherchiert sondern anders, aber immer nur mit dem Wissen der Zeit in der man lebt. Und dann kommt es wahrscheinlich auch noch darauf an, was für ein Buch man schreibt.


    Ich lese gerne die Krimis aus den 20er und 30er oder sogar aus dem 19 Jhdt. eben weil es diese ganzen modernen Techniken noch nicht gab und eben einfach die Möglichkeiten der Zeit beschrieben werden. Und dennoch kamen die zum selben Ergebnis wie heute (zumindest im Roman findet man den Täter immer). Und die Bücher spiegel auch einfach immer den zeitgeist wieder, was die Menschen von den Methoden hielten ect.


    In modernen Büchern ist das wohl auch nicht so anders. Unterschied ist vlt, dass der Autor heutzutage auf die ein oder andere Bibliothek zurück greifen kann ohne aus dem Haus zu gehen. Oder Infos über Krankheiten, Polizeiarbeit und was weiss ich noch alles zuhause bequem vorm Internet rausziehen kann, während vlt früher wirklich mit einem Arzt oder Polizisten gesprochen wurde.


    Ich lesen jetzt nicht unbedingt diese Romanzen und Frauenbücher, aber wenn ich mir da so die Stories anschaue, scheint da auch nicht viel Recherche hinter zu stecken oder es ist so klischeebehaftet, dass ich immer denke, solche Leute kann es gar nicht geben.


    Die historischen Frauenromane lese ich nicht, eben weil ich manchmal denke es gab zwar schon sehr aussergewöhnliche Frauen (und Männer) die ihrer Zeit vlt vorraus waren, aber was da heute so geschrieben wird, erscheint mir sehr unrealistisch oder wäre einfach auch gar nicht möglich gewesen.

  • Zitat

    Original von magali: Ja, man kann heute mehr recherchieren, weil sich das Wissen erweitert hat, und die Möglichkeiten, dieses Wissen zu verwenden. Nur: muß diese Wissen tatsächlich in einen Roman? Ich finde, es wird zuviel recherchiert. Es geht heute weniger um ästhetische, gestalterische, stilistische Fragen beim Schreiben, weniger darum, was das Erzählen ausmacht. Statt dessen wird vermeintlich Wissen vermittelt, Infotainment. Statt Gefühle darzustellen, menschliches Verhalten anschaulich zu machen, Fragen zu diskutieren, die Menschen angehen, werden LeserInnen belebte Lexikonartikel vorgesetzt. Die Romanfiguren bewegen sich nicht einer real gestalteten Welt, sondern in einem Museum voller toter Schaustücke.


    Liebe magali,


    Du hast meine Gedanken wunderbar formuliert.
    Ergänzend möchte ich noch zufügen, dass die Recherche im Internet und hauptsächlich bei Wikipedia auch nicht das Gelbe vom Ei ist.
    Das elektronische Lexikon hilft nicht in allen Fällen weiter und vielleicht würde es dem ein oder anderen Roman auch guttun, nicht für alles eine Beschreibung liefern zu wollen, deren Bestätigung man im Onlinelexikon wiederfindet.


    Ich lese zurzeit einen Roman, der in den 1960-ern geschrieben wurde. Gerade hier zeigt sich wohltuend, dass es damals noch kein Internet gab, dennoch schafft es der Schriftsteller,dort Informationen einfließen zu lassen, wo es angebracht ist und ansonsten auf sein Erzähltalent zu vertrauen.
    Eine Rezension, wenn ich sie denn jemals zustande bringe, folgt :wave.

  • Wow, so viele interessante Antworten. Ich finde schon wichtig, dass gut recherchiert wurde. Das angesammelte Wissen muss nicht unbedingt ins Buch und würde oft auch stören, wenn es zu umfangreich wird, aber ich denke die Handlungen und logischen Zusammenhänge im Buch müssen schon richtig sein, also auf dem Wissen beruhen.


    Zitat

    Original von Asmos
    Nie ist mir der Gedanke gekommen, dass die Autoren von damals sich bei ihrer Arbeit weniger Mühe gegeben haben.


    Das wollte ich nicht sagen, ich hoffe es kam auch nicht so an. Ich denke, dass es die Autoren damals eher schwerer hatten.

  • Zitat

    Original von Grisu
    Ich denke, dass es die Autoren damals eher schwerer hatten.


    Meine spontane Reaktion war: Aber wir haben es heute doch auch nicht leichter, müssen doch teilweise die gleichen Schwarten lesen, die Autoren schon vor hundert und mehr Jahren zur Recherche nutzten. Aber natürlich ist das nur die halbe Wahrheit. Wir haben es leichter. Zumindest in den Randgebieten können wir Wikipedia nutzen, wenn in einer Szene beispielsweise (nicht in einer tragenden Rolle, nur als Dekor) ein Haushaltsgerät herumsteht und man sich nicht sicher ist, ob es das damals schon gab oder wie genau es aussah. Wir kommen sehr viel leichter mit Experten in Kontakt, die da noch weiterhelfen können, wo selbst die Landesbibliothek versagt.


    "Ein historischer Roman ist kein Geschichtsbuch" schreibt Peter Prange in seinen Zehn Thesen zum historischen Roman. Infodump, also das Zuschütten des Lesers mit unnötigen Informationen, die nicht der Handlung dienen, ist in jedem Genre kein Zeichen dafür, dass der Autor besonders gut recherchiert hat, sondern ein klassischer Anfängerfehler, den spätestens ein gutes Lektorat üblicherweise mit Stumpf und Stiel beseitigt.


    Dass einem Autor grobe Rechercheschnitzer vorgeworfen werden, habe ich selten gesehen. Und wenn, dann handelt es sich meist um "gefühlte Recherchefehler", d.h. der Leser geht lediglich davon aus, der Autor habe hier nicht gründlich recherchiert, nicht, weil er sich in der Materie auskennt, sondern weil ein Detail mit seiner Vorstellung der damaligen Zeit nicht übereinstimmt.
    Da kann man alte Kirchenbücher der Gemeinde und der Zeit durchwälzen, in der ein Roman spielt, um möglichst authetische Namen für seine Figuren zu finden - wenn es sie zufällig auch heute noch gibt, dann klingen sie in Leserohren eben zu modern und der Autor hat schlecht recherchiert. :lache
    Wenn man sich darüber ein paar Mal geärgert hat, neigt man dazu, Spannendes unter den Tisch fallen zu lassen, das zwar der historischen Wahrheit entspricht, den Leser allerdings irritieren könnte.

  • Ich glaube nicht das heute besser recherchiert wird. Vielleicht wird heute sogar oberflächlicher recherchiert. Google und Wikipedia geniessen da ja schon fast "Heiligenstatus".


    Was aber heute im Gegensatz zu früher wohl viel intensiver geworden sein dürfte, das ist die "Nachrecherche". Da überprüfen Leserinnen und Leser das Gelesene intensiv - etwas was es früher wohl kaum gab. Es macht eben auch Freude, eine Autorin bzw. einen Autor mal so ordentlich zu skalpieren. :-)

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Ich finde, es kann gar nicht genug recherchiert werden. Warum glaube ich das?
    Ich recherchiere seit Jahren nicht nur für den jeweils nächsten Roman (in den ich tatsächlich nur einen Bruchteil an Informationen packe, aber - zugegeben, mea culpa - leider oft zuviel!), sondern in erster Linie für mich selbst.
    Ich bin nämlich immens neugierig. Ich will unbedingt wissen, was in jener Zeit los war, in der mein Roman spielt. Ich will wissen, was die Leute dachten, glaubten, redeten, nicht nur was politisch abging, was sie aßen oder womit sie sich kleideten. Das umfassende Bild der Zeit ist für mich sehr wichtig, auch wenn man dabei mitunter an seine Grenzen stößt.


    Aus diesem Grund brauche ich auch viel Zeit zum Schreiben und für das Entwickeln meiner Figuren - die allerdings meist authentisch sind (das verpflichtet natürlich noch mehr zur Sorgfalt).
    Und manchmal sind es nur Kleinigkeiten, die einem Protagonisten/einer Protagonistin, über die sich die Geschichtsbücher beharrlich ausschweigen, plötzlich ein Gesicht, einen Charakter geben, z.B. eine lapidare Zeile in einer Primärquelle. Das macht mich dann glücklich.


    Zur Eingangsfrage, ob heute "besser" recherchiert wird als früher? Das kann man so pauschal wohl nicht beantworten. Vor dreizehn Jahren, als ich für meinen ersten Katharer-Roman recherchiert habe, war es verdammt schwer, an Informationen zu kommen. Heute gibt es das Internet und Sachbücher über diese Zeit wie Sand am Meer, und meine Sammlung wächst noch immer. Und das finde ich gut so.


    Herzliche Grüße


    Helene Luise


    Autoren-Homepage: http://www.koeppel-sw.de/