Boyle,T.C. - Wassermusik

  • Da ich meine Ausgabe nicht finde gibt es leider keinen Klappentext,aber einen Auszug von Amazon.


    EIN ZARTER WEISSER UNTERLEIB
    Während die meisten jungen Schotten seines Alters Röcke lüpften, Furchen pflügten und die Saat aussäten, stellte Mungo Park dem Emir von Ludamar, AlHadsch' Ali Ibn Fatoudi, seine bloßen Hinterbacken zur Schau. Man schrieb das Jahr 1795. Georg III. beschmierte in Schloß Windsor mit seiner Spucke die Wände, in Frankreich verpatzte das Directoire so ziemlich alles. Goya war taub, Thomas De Quincey ein verdorbener präpubertärer Bursche. George Bryan "Beau" Brummell strich gerade seinen ersten gestärkten Kragen zurecht, der junge Ludwig van Beethoven, ein Vierundzwanzigjähriger mit buschigen Augenbrauen, machte in Wien mit seinem Zweiten Klavierkonzert Furore, und Ned Rise saß mit Nan Punt und Sally Sebum vor einer Flasche Wacholderfluch in der "Sauf & Syph-Taverne" auf Maiden Lane.
    Ali war Maure. Er saß mit gekreuzten Beinen auf einem Damastkissen und begutachtete den blassen, pickligen Glutaeus maximus mit der Miene eines Gourmets, der soeben eine Fliege in seiner Vichyssoise Glacee entdeckt hat. Mit sandiger Stimme befahl er: "Umdrehen!" Mungo war Schotte. Er hockte auf einer Bastmatte, die Hosen bis zu den Knien hinuntergezogen, und warf über die Schulter einen Blick auf Ali. Er war auf der Suche nach dem Niger. "Umdrehen!" sagte Ali noch einmal.
    Zwar war der Entdeckungsreisende von freundlichem und entgegenkommendem Naturell, doch wiesen seine Kenntnisse des Arabischen gewisse Lücken auf. Als er auch beim zweitenmal keine Reaktion zeigte, trat Dassoud vor - Alis Scherge und menschlicher Schakal -, in der Hand eine Peitsche aus einem halben Dutzend Caudalfortsätzen des Weißschwanzgnus. Die buschigen Schweife durchschnitten die Luft mit einem hohen Ton wie Engelsflügel. Außerhalb von Alis Zelt betrug die Temperatur 53'C. Das Zelt war aus Garn gewebt, das aus Ziegenhaar gesponnen war. Im Innern herrschten 45 °C. Die Peitsche sauste herab. Mungo drehte sich um.
    Auch hier war er weiß - weiß wie ein Bettlaken, weiß wie ein Schneesturm. Ali und seine Entourage staunten wie beim erstenmal. "Sicher hat ihn seine Mutter in Milch getaucht", sagte jemand. "Zählt seine Finger und Zehen!" rief ein anderer. Frauen und Kinder drängten sich im Zelteingang, Ziegen meckerten, Kamele bellten und paarten sich, irgend jemand bot Feigen feil. Hunderte von Stimmen vermengten sich wie ein Gewirr aus Trampelpfaden, Feldwegen, Schotterstraßen und Alleen - welche Richtung nehmen? -, und alle sprachen arabisch, rätselhaft, schnell, abgehackt, die Sprache des Propheten. "La-la-la-la-la!" kreischte eine Frau. Andere nahmen den Ruf auf, in markerschütterndem Falsett. "La-la-la-la-la!" Mungos Penis, ebenfalls weiß, schrumpelte und zog sich ins Körperinnere zurück.
    Jenseits der kahlen Zeltwand befand sich das Lager von Benaum, Alis Winterresidenz. Dreihundert sengende und blasige Meilen dahinter lag das Nordufer des Niger, jenes Flusses, den noch niemals das Auge eines Europäers erblickt hatte. Nicht daß die Europäer am Niger kein Interesse gehabt hätten. Sein Verlauf gab Herodot schon fünf Jahrhunderte vor Christi Geburt Stoff zum Grübeln. Groß, so schlußfolgerte er. Aber doch bloß Nebenfluß des Nil. Der arabische Geograph Idrisi bevölkerte seine Ufer mit seltsamen mythischen Kreaturen - da gab es den wurmförmigen Bundfüßler, der eher kroch denn lief und sich der Sprache der Schlangen bediente; die Sphinx und die Harpyie; den Manticor mit Löwenkörper, Skorpionstachel und einer unangenehmen Vorliebe für Menschenfleisch. Plinius der Ältere malte den Niger in goldenen Farben und taufte ihn auf einen schwarzen Namen, und die Späher Alexanders des Großen wühlten ihren Feldherrn mit Berichten über den Fluß aller Flüsse auf, wo Edelmänner und Edelfrauen in Lotosgärten saßen und aus Bechern von gehämmertem Gold tranken. Und nun, am Ende des Zeitalters der Aufklärung und zu Beginn jenes der Profitmaximierung, wollte Frankreich den Niger haben, England wollte ihn, und Holland, Portugal und Dänemark wollten ihn auch. Nach den aktuellsten und zuverlässigsten Angaben - zu finden in der Geographia des Ptolemäus - verlief der Niger zwischen Nigritia, dem Land der Schwarzen, und der Großen Wüste. Wie sich herausstellen sollte, lag Ptolemäus genau richtig. Nur hatte es noch niemand geschafft, den sengenden Samum der Sahara oder den stinkenden Fiebergürtel des Gambia zu überleben, um ihm recht geben zu können.


    Was ein naiver Schotte im 18.Jahrhundert in Afrika auf der Suche nach den Quellen des Nigers erlebt,wird in einer wunderschönen bildreichen Sprache erzählt.
    Wie bei den meisten Büchern Boyles ist der Held eher ein Antiheld,mit dem man mitleiden kann,was aber Dank der Umstände und Sprache niemals quälend ist.
    Dies war mein erstes Buch von Boyle und hat mich gleich so begeistert, daß ich auch die anderen lesen mußte,siehe weitere Buchvorstellungen.

  • Das Buch hat mir dermassen gut gefallen, dass ich gar keines mehr von Boyle lesen möchte. Ich kannte vorher nur "Willkommen in Wellville", und einige Leute, auf deren Meinung ich Wert lege, behaupten, dass nichts an Wassermusik heranreicht.
    Auf jeden Fall kommte es auf die "Bald wieder lesen" Liste.

    Wenn ein Kopf und ein Buch zusammenstoßen und es klingt hohl, ist das nicht allemal das Buch.
    Georg Christoph Lichtenberg

  • ..auch ich finde Wassermusik , das beste Buch , das ich von Boyle gelesen habe - alle anderen sind gut.


    Das ist mein Kommentar:


    Die Geschichte von Mungo Park, dem Entdecker vom Nigger und Ned Rise einem Pechvogel seiner Zeit (1760-1800) , Mungo gelingt erfolgreich die Entdeckung des Niggers, er hat Frau, Familie und Ansehen, Ned Rise gelingt anfänglich alles aber am Schluss hat er immer Pech, er muss Schläge, Gefängnis, den Henker erdulden. Seine Liebe erfüllt sich nicht ..- aber hat einen ungebrochenen Lebenswillen. Auf der 2.Expedition in Afrika kommen Mungo und Ned zusammen - das Abenteuer überlebt aber nur Ned - am ende zufrieden + glücklich


    ..also irgendwo besorgen + lesen ...


    :wave

  • Zitat


    Das Buch hat mir dermassen gut gefallen, dass ich gar keines mehr von Boyle lesen möchte.


    Tja, ist schon hart für einen Autoren wenn er sein bestes Buch gleich zu Beginn seine Karriere raushaut ;)



    Aber mal im Ernst: wie findet ihr Boyles Ansatz historische Fakten bewusst zu verunglimpfen nur damit sein Buch lustiger wird? Ist Humor wichtiger als Wahrheit :grin?!


    Ich persönlich finde Boyles anarchistischen Witz tatsächlich herzerfrischend...

  • Zitat

    Original von Tom
    Es gibt keine "historischen Fakten". ;-) (Der Wissenschaftsbereich heißt nicht umsonst "Geschichte".)



    Na, da hast du auch wieder recht... und wer weiß, ob das was der echte Mungo Park (was für ein Name!) in seinem Reisebericht geschrieben hat nicht auch alles ausgeschmückt und zensiert war (und subjektiv obendrein). Eine Anspielung darauf macht Boyle ja auch Augenzwinkernd in dem Roman...

  • Ich habe dieses Buch im Krankenhaus gelesen und musste mich blöd anschauen lassen, weil ich ständig am kichern war.
    Ein herrliches Buch - voll englischem Humor - welchen ich von einem amerikanischen Autoren gar nicht erwartete.
    Eure Meinung, dass dieses Buch das beste von Boyle wäre, müsste ich allerdings dringend überprüfen. Das will ich doch nicht hoffen...!

  • Zitat

    Original von Taschenbuch
    Das Buch hat mir dermassen gut gefallen, dass ich gar keines mehr von Boyle lesen möchte.


    Das war natürlich nicht ganz so ernst gemeint. ;-)
    Gefolgt sind "Grün ist die Hoffnung", ein Kurzgeschichtenband und World´s End.
    Besonderes Ersteres war wirklich lustig, aber Wassermusik bleibt trotzdem etwas ganz Besonderes!


    Kehlmanns "Die Vermessung der Welt" hat mich übrigens ansatzweise daran erinnert.

    Wenn ein Kopf und ein Buch zusammenstoßen und es klingt hohl, ist das nicht allemal das Buch.
    Georg Christoph Lichtenberg

  • Der Forschungsreisende Mungo Park und seine beiden Afrrikaexpeditionen stehen im Mittelpunkt des ersten großen Erfolgsbuches von T.C. Boyle "Water Music", dem über die Jahre viele weitere gefolgt sind.
    Erzählt wird entlang der historischen Fakten - den beiden Exepeditionen zum Niger - eine Geschichte vom Überleben und vom Schicksal. Mungo Park überlebt die erste Expedition eigentlich nur durch Zufall und durch die Hilfe seines treuen Beraters Johnson, der leider irgendwann von einem Krokodil gefressen wird. Er schliddert von einer lebensbedrohlichen Situation in die nächste und lernt im Grunde nichts über die Menschen, die er in Afrika trifft. Dafür ist der Bericht über die Reise ins Innere Afrikas umso blumiger ausgeschmückt und furchtbar weit von den wahren Erlebnissen entfernt. Eine nette Parodie auf die ethnographische Praxis, die 1990 mit Sicherheit einen Nerv getroffen hat, der heute nicht mehr gar so empfindlich ist.
    Parallel werden zwei andere Geschichten erzählt: Einmal die von Mungo Parks wartender Verlobter Ailie Anderson, die fast schon in eine andere Heirat gezwungen worden ist, als Mungo Park doch noch von seiner ersten Exepdition zurückkehrt. Ihre Geschichte ist eine des Wartens und des Beharrens. Bei allem Zorn über Mungo, ist sie ihm restlos verfallen und vermag sich nicht von ihm zu lösen, wie sehr er sie auch verlässt und belügt.
    Die zweite Parallelgeschichte ist die des Überlebenskünstlers Ned Rise, der in den Slums von London groß wird und immer wieder vom Schicksal um seinen Erfolg, sein Geld und seine Lieben gebracht wird. Er gelangt auf verschlungenen Pfaden schließlich nach Goree, wo er für Mungo Parks zweite Expedition rekrutiert wird - und diese als einziger überlebt.


    T.C. Boyle kann eines nicht abgesprochen werden: Er gräbt immer wieder vergessene historische Personen oder Ereignisse aus, die er in routinierter Weise zu einer unterhaltsamen Prosa zu verarbeiten versteht. Nichtsdestoweniger muss ich nach meinem sechsten Boyle sagen, dass er über diese kurzweilige Unterhaltsamkeit eigentlich nur in zwei Fällen wirklich hinausgekommen ist, nämlich in "Riven Rock" und in "Drop City", die über die reine Abschilderung eines skurrilen fait divers der Geschichte hinausgehen und auf etwas - pathetisch gesagt - allgemein Menschliches verweisen, was ich in den anderen Büchern meist vermisst habe.


    Manche Boyles brechen einfach etwas unter der Überfülle der Handlungsdetails zusammen; d.h. es gelingt ihnen nicht, transparent zu machen, worauf die Geschichte hinausläuft. Am Ende steht dann kaum einmal ein Aha-Effekt, viel eher ein hardcorerealistisches Kapitulieren vor den Fakten des Lebens. Überraschungen und unerwartete Kehren der Handlung gibt es zuhauf und dennoch drängte sich mir bei der zweiten Expedition der Eindruck einer ereignislosen Gleichförmigkeit auf - obwohl Mungo Park natürlich auch hier von einem Hinterhalt in den nächsten und von einer Katastrophe in die nächste stolpert. Doch diese Ereignisse erscheinen insgesamt so unfokussiert und zufällig, dass sie wirkliche Spannung für mein Empfinden nie aufkommen ließen.


    Ein einziges Buch von T.C. Boyle steht nun noch auf meiner Wunschliste, wird aber mit ziemlicher Sicherheit noch lange warten müssen, bis ich es in Angriff nehme. Der Reiz des geschmeidigen Erzählens hat sich abgenutzt.

  • :-) Kein anderes seiner Bücher hat mir dermaßen gut gefallen, wie "Wassermusik". Ich halte es für das Beste und es gibt wenig Bücher, die bei mir solch einen bleibenden Eindruck hinterlassen haben. "Die Vermessung der Welt" fiele mir noch ein - Da ist z.T. ein ähnlicher Humor vorhanden und ich habe mich des öfteren gefragt, ob Kehlmann kurz vorher Boyle gelesen hat. :gruebel

  • Von den drei Büchern, die ich bis jetzt von Boyle gelesen habe, gefällt mir das hier am besten. Eines steht noch im Regal und will mir den Feierabend versüßen.
    Grandios, wie Boyle mit seinen Figuren umgeht. Er erspart ihnen aber auch gar nichts. Und das ist das Schöne daran.

  • Zitat

    Original von anniku
    ..auch ich finde Wassermusik , das beste Buch , das ich von Boyle gelesen habe - alle anderen sind gut.


    World's End kommt meiner Meinung nach an Wassermusik heran (vor allem das Hin und Her in den Zeiten ist großartig), aber der beste Roman ist "America" (zumindest der wütendste von Boyles Romanen, wie ich finde).

  • Für mich ist "Wassermusik" auch das beste aller Boyle Bücher, dicht gefolgt von World's End. Zur Zeit lese ich "Der Samurai von Savannah" ebenfalls sehr dicht und mit außergewöhnlichen Figuren erzählt.
    Danach steht noch "Grün ist die Hoffnung" im Regal, das habe ich vor zig Jahren schon einmal gelesen, war, glaube ich, meine erste Lektüre von Boyle. Und weil das so lange her ist und ich den Großteil vergessen habe, habe ich es mir Weihnachten noch einmal gewünscht. Ich bin gespannt, ob es mich auch so begeistert wie die anderen.