Boyle,T.C. - Wassermusik

  • Erst als ich die Hälfte des Buches gelesen hatte, dachte ich, ich schau mal bei Wiki nach Mungo Parks. Mit einem Treffer hatte ich nicht gerechnet, dachte ich doch bis dahin, Boyle hätte sich diesen schrägen Vogel nur ausgedacht. Das der aber eine historische Persönlichkeit ist, macht alles nur noch umso komischer.


    Boyle schildert Geschichte aus einer vergangenen Zeit in einer Sprache, die überhaupt nicht zu dieser Zeit passt, die selbst nach heutigen Maßstäben als respektlos gelten kann. Aber genau das macht den Witz und die Spritzigkeit der Erzählung und ihren Reiz aus. Dieser Kontrast zwischen moderner salopper Ausdrucksweise und vergangenen Kulturen schlägt eine schwankende Hängebrücke in die heutige Zeit, die die ganze skurille Geschichte oft zum Brüllen komisch macht. Eben anders als andere gestelzte Historienschwarten, in denen sich der Autor oft um eine Sprache bemüht, die er selbst nicht mehr beherrscht.


    T.C. Boyle "Wassermusik" - Bauchmuskeltraining auf seine schönste Art.

  • Dazu habe ich noch nichts geschrieben? Skandal, ist es doch eines meiner Lieblingsbücher.


    T.C. Boyle hat mich mit Wassermusik zu einem seiner eingeschworenen Fans gemacht.
    Wer es schafft, auf eine so ausschweifende, barocke, wortgewaltige Art und Weise einen solchen Lesesog herzustellen...
    Wer Groteskes und Tiefsinniges so gut vereint...
    Wer es schafft, den Leser so nahe an seine Figuren heran zu lassen, ohne, dass diese an Glaubwürdigkeit verlieren...
    Wer nicht nur ein klar erkennbares Thema hat, sondern viele Subthemen und Reflexionsansätze liefert...
    Wer so unglaublich unterhaltsam, respektlos und lebendig schreibt...
    Wer so ein lustiges, trauriges und schönes Buch schreiben kann...
    Wer nie in Allgemeinplätze abdriftet...
    Und so ein lebendiges Bild einer verschwundenen Welt schafft...


    ...der gehört in meinen persönlichen Pantheon. :anbet


    Eines der besten Bücher, das ich je gelesen habe (und das waren beileibe nicht wenige).
    "Die Vermessung der Welt" ist ähnlich und bestimmt davon inspiriert...und um Welten weniger dicht und großartig (obwohl ich es auch sehr gut fand!).


    Punkte? Ach, die könnt' ihr euch doch denken!

  • Wassermusik ist MEIN Lieblingsbuch von T.C.Boyle. Ich finde, es ist sein bestes, sein gelungenstes Buch. Boyle ist ein grandioser Erzähler, einer der Kreise zieht, die scheinbar in eine andere Richtung führen und letztendlich doch rund werden. Es sind die Details, die mich jedes Mal überzeugen, und seine ungeheure Lust am Erzählen.


    Ich will dir nicht sagen, lies es, ich kann dir nur sagen, ich lese es immer wieder. :wave

  • Zitat

    Original von Kristin
    Wassermusik ist MEIN Lieblingsbuch von T.C.Boyle. Ich finde, es ist sein bestes, sein gelungenstes Buch. Boyle ist ein grandioser Erzähler, einer der Kreise zieht, die scheinbar in eine andere Richtung führen und letztendlich doch rund werden. Es sind die Details, die mich jedes Mal überzeugen, und seine ungeheure Lust am Erzählen.


    Ich will dir nicht sagen, lies es, ich kann dir nur sagen, ich lese es immer wieder. :wave


    Okay, jetzt bin ich endgültig überzeugt - an dem Buch wird für mich wohl kein Weg mehr vorbeiführen. :wave

  • Ich bin bei diesem Buch zwiegespalten.


    Einerseits strotzt "Wassermusik" nur so vor Faburlierlust, Sprachkunst und Phantasie. Alleine der Wortschatz ist umwerfend. Der Autor setzt gekonnt und häufig gut gewählte Vergleiche und Metaphern ein. Er scheut sich nicht, seine Protagonisten alle zwei, drei Seiten in Lebensgefahr oder wenigstens in eine ausweglose Situation zu schicken – und sie da auch wieder einfallsreich heraus zu holen. Fast jedes der kurzen Kapitel endet mit einem Cliffhanger und dann geht es im folgenden Kapitel mit einer anderen Person und einer anderen Geschichte weiter, so dass es (zunächst) nicht langweilig wird. Die Handlung schlägt Haken, und dies beinahe auf jeder Seite.


    Andererseits ist der Roman leider auch nicht mehr als dies! Der Autor dreht Pirouette um Pirouette, Slapstick folgt auf Slapstick, unerwartete Wendung auf unerwartete Wendung. Und ich hab mich irgendwann gefragt, was mir das soll. Die Figuren im Dienste des Autors – so wirkte es auf mich, fast wie Marionetten, an deren Fäden der Autor unablässig zieht.
    Mir ist keine der Figuren wirklich nahe gekommen, weil die Handlung stets über der Beschreibung von Charakteren steht.

    Dieses "Strickmuster" hat mich an zwei andere Romane erinnert, die mir aus demselben Grund nicht gefallen haben: "Die Säulen der Erde" von Ken Follett und "Das Gleichgewicht der Welt" von Rohinton Mistry. Allerdings ist "Wassermusik" im Vergleich hierzu sprachlich wesentlich gehaltvoller,
    immerhin.


    Fritz J. Raddatz hat in der "Zeit" unter dem Titel "Eine unendliche Schnurre" eine Rezension zu "Wassermusik" geschrieben. <klick>
    Ich finde, in dieser Rezension wird das Problem des Romans sehr gut beschrieben.


    Ich habe "Wassermusik" auf Seite 450 (von 712) abgebrochen, weil ich bereits an dieser Stelle unterhaltungsübersättigt war und weil mir die Personen zu fern geblieben sind.


    Von mir nur 7 Punkte und keine Euphorie.

  • Von T.C. Boyle hatte ich bislang nur "America" gelesen und ging somit recht unvoreingenommen an "Wassermusik" heran. Zunächst einmal fiel mir der wunderbare, enorm bildhafte, geschmeidige Schreibstil auf, und natürlich der gallige Humor bei Mungo Parks erster Westafrika-Expedition.


    Somit gefiel mir der gesamte erste Teil sehr gut und ich hatte jede Menge zum Lachen und Staunen. Leider wurde es mit Teil 2 (dem Übergang zwischen erster und zweiter Expedition) und Teil 3 (die zweite Expedition) etwas langatmig und repetitiv. Dennoch habe ich diesen Roman - nicht zuletzt aufgrund der ausgefeilten Sprache - zu Ende gelesen.


    100 bis 150 Seiten kürzer wär´s vielleicht ein perfektes Buch, doch auch so machte es über weite Teile sehr viel Spaß, Mungo Park auf seinen Abenteuern zu begleiten und mit Ned Rise mitzuleiden.

  • Die vollständige Handlung in diesem grandiosen Werk in akzeptabler Kurzform zu beschreiben ist im Prinzip unmöglich. Ich kann bloss die grobe Rahmenhandlung schildern aber das inhaltliche Bild lässt sich in einer komprimierten Meinungsäusserung kaum in Worte fassen. Eine solch fulminante Erzählung ist mir in den vielen Jahren die ich nun lese und kleine Buchvorstellungen schreibe wohl noch nie untergekommen. Der Autor T.C. Boyle schreibt nahezu frei von schriftstellerischen Konventionen einen Mix aus Historischem-, Abenteuer- und Schelmenroman. Ungezwungen, von allen Fesseln befreit ist er von der Handlung getrieben, von der Sprache befeuert und bringt das Handlungsgemenge in einen glühenden Schmelzofen der Erzählkunst. Der Wortschatz funkelt wie geschliffenes Glas, bis sich alles bei den Leser/-innen in einer eruptiven Sinnesexplosion entlädt.


    Der schottische Entdecker Mungo Park ist eine der historisch verbürgten Personen in diesem Roman und er ist im Jahre 1795 auf seiner ersten Afrikareise. Sein innerer Antrieb ist die Quelle des Flusses Niger zu finden, seinen Lauf zu kartografieren und die Mündung zu lokalisieren. Er gerät auf seiner Zwei-Mann-Expedition in zahlreiche lebensgefährliche Situationen denen er mit britischer Selbstverständlichkeit trotzt. Die Erzählung setzt direkt bei einem seiner vielen Abenteuer ein und wechselt sich laufend mit den Handlungsstrang um den erfunden Gauner Ned Rise, der sich in London durchs Leben mogelt, ab. Diese beiden schultern alternierend für viele Seiten die Handlung bis sich ihre Lebenswege auf der zweiten Forschungsreise kreuzen. Mungos spätere Frau Ailie unterbricht etwas später im Buch die beiden Protagonisten und sie wird mit ihrem Umfeld zum dritten wichtigen Erzählstrang.


    Zitat

    Zitat Seite 389


    Mein einziger kleiner Kritikpunkt, den ich aber erwähnt haben möchte, ist das sich all das lobenswerte Erzählen auf höchstem Niveau und all die rasanten Szenen voller Action im Verlauf der Geschichte etwas abnutzt. Auf den grossen, relativ dicht beschrieben rund 570 Seiten dieser Neuübersetzung steht viel Text welcher viiieeele fabelhafte Lesestunden beschert. Aber ich konnte nicht über so lange Zeit die Emotionen hochhalten und eine übermütige Dauerbegeisterung spüren, so gerechtfertigt sie auch wäre. Man gewöhnt sich an die charakteristische Art von Boyles Sprachgewandtheit und die vielen Höhepunkte. So blöd es klingen mag, es fehlen die Tiefen in diesem Werk.


    Dieses einmalige Buch wurde 1982 veröffentlich und ich bin erstaunt, dass dem damaligen Neuling Boyle eine solch stürmische Geschichte für sein Debüt zugestanden wurde. Vielleicht hat das Lektorat auch die Klasse des Textes erkannt und ist das Experiment eingegangen. Ich habe sowieso das Gefühl, heutzutage pressen Verlage etwas chaotische, kunterbunte vielleicht gar wilde Texte in eine gängige Schablone und streichen/kürzen alles was nicht den altbekannten Normen entspricht. Für die breite Masse der Leserschaft wahrscheinlich das Richtige, für Vielleser ist es schwer eine solche Perle der Literatur zu finden. Vielleicht sollten Verlage hie und da mit den Mechanismen der Zunft brechen, den Schriftsteller/-innen wieder mehr Freiheit lassen und hie und da etwas wagen. Fazit: Eines der besten Bücher das ich je gelesen habe! Wertung: 10 Punkte