Buecher mit Kindern in der Erzaehlperspektive


  • Bezüglich "Raum" kann ich sagen, dass sich das Buch nicht nur im Raum abspielt. Eher nur das erste Drittel des Buches. Am Anfang ist es etwas schwer sich in der angewandten Sprache eines Kleinkindes zurecht zu finden. Aber eigentlich funktioniert dieses Buch nur so.

  • "Wer die Nachtigall stört" ist wirklich ein besonderes Buch! :-) :wave




    Zitat

    Original von Beatrix


    Wie findet ihr sowas? Wann funktioniert diese Erzaehlperspektive gut, wann weniger gut? Welche Buecher kennt ihr?


    ich empfinde das ähnlich wie du, Beatrix.
    Wenn diese Art zu erzählen, eine ganz neue Perspektive eröffnet oder den "Erwachsenen" einen Spiegel vorhält, dann gelingt sie.
    Wenn die Sichtweise des erzählenden Kindes hingegen zu sehr eingeschränkt wird, funktioniert das oft weniger.



    Mir ist noch "Wunder" von R.J.Palacio eingefallen, das ich vor einer Weile in der Buchhandlung angelesen hatte:
    "August ist anders. Dennoch wünscht er sich, wie alle Jungen in seinem Alter, kein Außenseiter zu sein. Weil er seit seiner Geburt so oft am Gesicht operiert werden musste, ist er noch nie auf eine richtige Schule gegangen. Aber jetzt soll er in die fünfte Klasse kommen. Er weiß, dass die meisten Kinder nicht absichtlich gemein zu ihm sind. Am liebsten würde er gar nicht auffallen. Doch nicht aufzufallen ist nicht leicht, wenn man so viel Mut und Kraft besitzt, so witzig, klug und großzügig ist - wie August."

  • Zitat

    Original von Dona Carlotta


    Bezüglich "Raum" kann ich sagen, dass sich das Buch nicht nur im Raum abspielt. Eher nur das erste Drittel des Buches. Am Anfang ist es etwas schwer sich in der angewandten Sprache eines Kleinkindes zurecht zu finden. Aber eigentlich funktioniert dieses Buch nur so.


    Woran man merkt, dass ich das Buch nie zu Ende gelesen habe *husthust* :chen

    "Sobald ich ein wenig Geld bekomme, kaufe ich Bücher; und wenn noch was übrig bleibt, kaufe ich Essen und Kleidung." - Desiderius Erasmus

  • Mir ist noch nicht klar, ob Beatrix die Erzählperspektive unglaubwürdig fand oder für ihre Erwartungen an den Text unbefriedigend.


    Glaubwürdig fand ich Erzählerfiguren, die mir vermitteln, dass sie die Dinge heute evtl. anders sehen, aber ihren Entwicklungsstand von damals beschreiben.


    Es kann vielerlei Gründe geben, warum ein Kind als Erzähler uns mit unserem heutigen Wissen zu naiv/zu reif, zu sehr auf die eigenen Interessen bezogen erscheint. Ob das glaubwürdig wirkt, hängt von der Entwicklung dieser Person (z. B. in der Pubertät) ab, von ihrem individuellen Horizont, hat die Figur überhaupt etwas anderes als die unmittelbare Umgebung kennenlernen können, in welche Klassenstufe geht die Figur. Ist es - wie in Ungarn während des Kalten Krieges - für die Sicherheit der Erwachsenen gegenüber dem Geheimdienst ihres Landes vielleicht sogar wünschenswert, Kinder möglichst lange kindlich-unwissend zu halten?


    Der Sommer, in dem Linda schwimmen lernte als Beispiel für einen auffällig reflektierten jugendlichen Erzähler, der in der Rolle mit alleinerziehender Mutter für Leser seiner eigenen Kultur dennoch glaubwürdig sein könnte.

  • Das ist wirklich eine interessante Ausgangsfrage und ein schöner Sammelthread.


    'Ein Sommer in Venedig' von Odojewski funktioniert vor allem wegen der Kinderperspektive. Es geht um den Ausbruch des 2. Weltkriegs, der zehnjährige Erzähler erfaßt in erster Linie die Atmosphäre einer solchen Zeit, die Veränderungen im Alltag, die sich ausbreitende Bedrückung bei gleichzeitigem Empfinden all dessen, was (noch) unverändert normal ist.


    Rezi hier



    Ähnlich ist es mit Hardings 'Spy Game'. Allerdings vermischt die Autorin hier die Perspektive der kindlichen mit der der gleichen Erzählerin als Erwachsene. Der Blick auf die Dinge ändert sich wenig, weil auch die erwachsene Anna bei allen Einsichten nicht reif wird, sondern weiterhin naiv bleibt.
    Ich neige aber zu der Ansicht, daß das daran liegt, daß sich die Autorin bei ihrer anspruchsvollen Aufgabe etwas übernommen hat.


    Rezi hier

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Wichtig und eine überzeugende kindliche Perspektive auf die Probleme Erwachsener ist die Beschreibung der kleinen Lucy von ihrem Leben in Marokko mit ihrer Schwester Bea und der Mutter, die auf Sinnsuche ist.
    Das Erstaunliche dabei ist, daß trotz Lucys geringem Alter ihre Beobachtungen z.B. der Mimik und Gestik ihrer Schwester, aber auch ihr Ohr für die Zwischentönen in allem, was ihre Mutter sagt, immer präzise sind, ohne daß der eingeschränkte Kosmos verlassen wird.


    Esther Freuds Hideous Kinky, der deutsche Titel lautete Marrakesch.
    Auf deutsch z.Z. offenbar nur antiquarisch.


    Der Film ist übrigesn trotz einer beeinnruckenden Kate Winslett als Mutter nach einem guten Einstieg platt und albern im Vergleich zum Buch.

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

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  • Selten und überraschend ist Iselin C. Hermanns 'Sommer war es'.



    Ein kleines Mädchen berichtet von einem Sommer in den 1960ern, den sie bei Verwandten verbringt. Ihre Eltern haben sie verlassen, so jedenfalls empfindet es die Kleine. Sie gewöhnt sich nur langsam an ihre Verwandten, entdeckt eine neue Welt jenseits des Kokons Vater-Mutter-Kind. Die kindliche Erzählerin leidet beträchtlich, aber am Ende löst sich der Konflikt.

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Noch ein besonderer Erfahrungsbericht eines Kindes ist Cantienis 'Grünschnabel'.


    Die Grundthemen Adoption, Fremdenfeindlichkeit und Eheprobleme bilden den Hintergrund, werden von der kindlichen Erzählerin beobachtet, referiert und zugleich in ihr neu entstehendes Weltbild eingefügt. Ausgeziechnte gelungen.


    Rezi hier

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Zitat

    Original von Buchdoktor
    Mir ist noch nicht klar, ob Beatrix die Erzählperspektive unglaubwürdig fand oder für ihre Erwartungen an den Text unbefriedigend.


    Fuer mich muss eine kindliche Erzaehlperspektive sehr viel leisten, um erfolgreich zu sein:
    1. Sie muss glaubwuerdig sein, also in einer Sprache und mit Gedankengaengen, die ein Kind leisten kann
    2. Die Sprache muss dennoch interessant genug fuer meine erwachsenen Ansprueche sein
    3. Die Erfahrungswelt darf nicht zu eingeschraenkt sein.


    Ich hatte bei den Beispielen 2 Buecher genannt, wo mich auch der politisch-geschichtliche Zusammenhang interessierte, etwas was nur sehr schwer in der eingeschraenkten kindlichen Perspektive rueber gebracht werden kann. Im Fall des Bosnienkrieges waren allerdings genuegend Anhaltspunkte drin, dass ich mit nur wenig zusaetzlichen googlen tatsaechlich einiges erfahren konnte. Im Fall Ungarn war so wenig drin, dass ich gar nicht weiss, wo ich mit den googlen anfangen sollte, bzw. ich weiss genauso wenig wie vor Beginn des Buches.


    Inzwischen neige ich auch dazu im Fall von "Der Schwimmer" die Sprache als nicht ganz glaubwuerdig zu sehen. Sie ist eher distanziert und emotionslos. Und ich denke eher, dass gerade Kinder sehr viel mehr Emotionen zeigen als Erwachsene.

    Gruss aus Calgary, Canada
    Beatrix


    "Well behaved women rarely make history" -- Laura Thatcher Ulrich

  • Ich finde dies hier großartig.
    Der Verlag gibt das Lesealter ab 12 an, aber eigentlich ist es ein Erwachsenenbuch, mit viel mehr Inhalt, als man am Anfang zum meinen scheint


    Rezension

    “In my opinion, we don't devote nearly enough scientific research to finding a cure for jerks.”

    ― Bill Watterson

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  • Zitat

    Original von Googol
    Ansonsten sind Romane mit Kindern als erzählende Personen natürlich sehr verbreitet, werden aber immer wieder sehr kritisch betrachtet. Ich kann mich erinnern, dass Reich-Ranicki jedes Mal einen Anfall bekommen hat wenn er ein solches Buch besprechen musste: wie kann ein intelligenter Autor nur aus der Sicht eines unintelligenten kleinen Menschen schreiben...


    Kann man mehr ueber dessen Kritik erfahren?

    Gruss aus Calgary, Canada
    Beatrix


    "Well behaved women rarely make history" -- Laura Thatcher Ulrich

  • Mir gefallen solche Bücher gut - wenn sie gut geschrieben sind.


    Dieses hier habe ich gerade zu Ende gelesen. Es hat gewisse Parallelen zu "Elsa ungeheuer" - ist aber letztendlich doch eine völlig andere Geschichte.
    Ich fand es super und kann es wärmstens weiterempfehlen.

    „An solchen Tagen legt man natürlich das Stück Torte auf die Sahneseite — neben den Teller.“

  • Die Bücher um Flavia de Luce sind ja auch aus Sicht eines Kindes geschrieben. Und ich liebe sie! Flavia ist in den ersten drei Teilen 11 Jahre alt.


    Und dieses Buch hier ist nochmal ganz etwas anderes, aber auch das hat mir supergut gefallen. Ist aber nicht jedermanns Sache, einige finden es zu langatmig.
    EDIT: und wie ich gerade festgestellt habe, wurde die Geschichte bzw. Kindheit wohl doch aus Sicht der Erwachsenen erzählt, sorry.

    „An solchen Tagen legt man natürlich das Stück Torte auf die Sahneseite — neben den Teller.“

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  • Zitat

    Original von Beatrix


    Kann man mehr ueber dessen Kritik erfahren?


    Ich weiß nicht, ob er speziell zu dem Thema etwas publiziert hat, wahrscheinlich nicht. Es war nur so ein gewisses Muster, das beim regelmäßigen Anschauen des Literarischen Quartetts deutlich wurde und er ging da auch nie in die Tiefe (ihn interessieren halt erwachsene, intelligente Menschen). Ggf. könnte man YouTube-Mitschnitte durchforsten.

  • Zitat

    Original von Beatrix
    "Der Junge im gestreiften Pyjama" ist aber doch eindeutig ein Kinderbuch, oder?


    Findest du ??
    Ich fand das Thema schon ganz schön heftig und für Kinder die (noch) nix über die Thematik wissen , könnte ich mir gut vorstellen, auch unverständlich.....

  • Zitat

    Original von piper1981


    Findest du ??
    Ich fand das Thema schon ganz schön heftig und für Kinder die (noch) nix über die Thematik wissen , könnte ich mir gut vorstellen, auch unverständlich.....


    Ich würde es auch eher als Jugendbuch bezeichnen. Das Thema mag heftig sein, aber sprachlich und von der Handlungsführung her ist der Roman schon sehr einfach und "kindgerecht" gestrickt.

  • Hildegard Palm, 1945 in Dondorf bei Köln geboren, ist die Tochter eines ungelernten Arbeiters und seiner Frau Maria, erzogen im katholischen Glauben. »Wie viele Seiten hat ein Ding?« fragt die Sechsjährige ihren Großvater. »So viele, wie wir Blicke für sie haben«, antwortet er. Ihren Eltern ist Hilde verdächtig. Sie ist ganz offensichtlich aus der Art geschlagen, will sich nicht anpassen an die Regeln der Arbeiterklasse, strebt nach Höherem, spricht Hochdeutsch und rezitiert Schiller. Das weckt Mißtrauen und Angst in ihrer Familie.


    Als sie neun Jahre alt ist, legt sie eine Sammlung schöner Sätze und Wörter an – als Gegenwelt zum Gebrüll ihres Vaters und dem ängstlichen Geflüster der Mutter. Bücher werden zu ihrer Rettungsinsel. Als Hildegard in den Schulferien zum ersten Mal am Fließband steht und den anzüglichen Gesprächen ihrer Kolleginnen ausgeliefert ist, wirft sie einen entsetzten Blick in die Zukunft, die ihre Eltern für sie vorgesehen haben … Doch sie findet eine zweite, reichere Wirklichkeit: die Freiheit im Wort und die Kraft in der Literatur.