Buecher mit Kindern in der Erzaehlperspektive

  • Eins vorweg, ich rede hier nicht von Kinderbuechern sondern ueber Buecher, die deutlich fuer Erwachsene gedacht sind. Der Erzaehler (in der Ich-Form oder 3. Person) ist aber ein Kind.


    Wie findet ihr sowas? Wann funktioniert diese Erzaehlperspektive gut, wann weniger gut? Welche Buecher kennt ihr?


    Ich hab fuer mich rausgefunden, dass es ein gutes Buch sein kann, wenn damit gezeigt wird, dass Kinder die Welt anders sehen. Weniger gut funktioniert es, wenn deutlich wird, wie eingeschraenkt die Kinderperspektive ist.

    Gruss aus Calgary, Canada
    Beatrix


    "Well behaved women rarely make history" -- Laura Thatcher Ulrich

    Dieser Beitrag wurde bereits 1 Mal editiert, zuletzt von Beatrix ()

  • Wie der Soldat das Grammofon repariert -Sasa Stanisic


    Hier ist ein Titel, wo die kindliche Erzaehlperspektive sehr gut funktioniert. Es ist vor allem der Schreibstil, der ueberzeugt. Die Sprache ist sehr bildhaft und fantasievoll, passend zu einem Kind, aber gleichzeitig interessant fuer den erwachsenen Leser.


    Kurzbeschreibung
    Als der Bürgerkrieg in den 90er Jahren Bosnien heimsucht, flieht der junge Aleksandar mit seinen Eltern in den Westen. Rastlos neugierig erobert er sich das fremde Deutschland und erzählt mit unbändiger Lust die irrwitzigen Geschichten von damals, von der großen Familie und den kuriosen Begebenheiten im kleinen Višegrad. Aleksandar fabuliert sich die Angst weg und „Die Zeit, als alles gut war“ wieder herbei.

    Gruss aus Calgary, Canada
    Beatrix


    "Well behaved women rarely make history" -- Laura Thatcher Ulrich

    Dieser Beitrag wurde bereits 2 Mal editiert, zuletzt von Beatrix ()

  • Der Schwimmer - Zsuzsa Bánk


    Mit diesem Buch kaempfe ich gerade. Hier merke ich einfach zu deutlich, dass Kinder in vieler Hinsicht keinen Durchblick haben. Die Erwachsenen verheimlichen vieles vor ihnen, geben Ausreden. Und von der politischen Welt drumherum bekommen sie erst recht nichts mit. Dabei haette ich gerne etwas mehr ueber Ungarn in den 1950ern erfahren.


    Verstehe im Moment einfach nicht, woher die vielen positiven Rezensionen kommen.


    Kurzbeschreibung
    Ungarn 1956: Die Panzer rollen, der Aufstand schlägt fehl, die Hoffnung scheitert, daß die Welt eine andere hätte werden können. Ohne ein Wort verläßt Katalin ihre Familie und flüchtet über die Grenze in den Westen. Ihr Mann Kálmán verkauft Haus und Hof und zieht fortan mit den Kindern Kata und Isti durch das Land.
    Während Kálmán in Schwermut verfällt, errichten sich Kata und ihr kleiner Bruder Isti ihre eigene Welt: Isti hört, was die Dinge zu erzählen haben - das Haus, die Steine, die Pflanzen, der Schnee -, während Kata den Geschichten der Menschen zuhört, denen sie auf ihrer jahrelangen Reise begegnet. Der genaue Blick der Kinder trifft auf eine Welt, die sie nicht verstehen. Nur wenn sie am Wasser sind, an Flüssen, an Seen, wenn sie dem Vater zusehen, wie er seine weiten Bahnen zieht und wenn sie selber schwimmen - nur dann finden sie verzauberte Momente der Leichtigkeit und des Glücks. Beide ahnen, dass ihr Leben erst beginnt.

    Gruss aus Calgary, Canada
    Beatrix


    "Well behaved women rarely make history" -- Laura Thatcher Ulrich

    Dieser Beitrag wurde bereits 2 Mal editiert, zuletzt von Beatrix ()

  • Einige Lansdale-Romane sind aus Kinder- bzw. Jugendlichensicht geschrieben - wobei die Erzähler zum Zeitpunkt der Niederschrift oft Erwachsen waren.


    Meines Erachtens nach schafft Lansdale es ausgezeichnet, sich in Heranwachsende hineinzudenken - ohne das diese Werke als Jugendbücher bezeichnet werden können.
    (Obwohl zB. "Der Teufelskeiler" oder auch "Ein feiner dunkler Riss" auch für Heranwachsende eine spannende Lektüre sein dürfte)

  • Mark Haddon - Supergute Tage oder Die sonderbare Welt des Christopher Boone


    Auch dieses hat mir sehr gut gefallen. Das Buch waere ohne die jugendliche Perspektive nichtmal halb so gut geworden. Mark Haddon hat es hier wunderbar geschafft, sich in den Kopf eines 15-jaehrigen Autisten zu versetzen.


    [Dieses Buch wird manchmal als Jugendbuch, manchmal als Erwachsenenbuch gesehen. Es hat Preise in beiden Bereichen gewonnen.]

    Gruss aus Calgary, Canada
    Beatrix


    "Well behaved women rarely make history" -- Laura Thatcher Ulrich

  • Raum - Emma Donoghue
    Für Jack ist Raum die ganze Welt. Dort essen, spielen und schlafen er und seine Ma. Jack liebt es fernzusehen, denn da sieht er seine »Freunde«, die Cartoonfiguren. Aber er weiß, dass die Dinge hinter der Mattscheibe nicht echt sind – echt sind nur Ma, er und die Dinge in Raum. Bis der Tag kommt, an dem Ma ihm erklärt, dass es noch eine Welt da draußen gibt und dass sie versuchen müssen, aus Raum zu fliehen …

    "Sobald ich ein wenig Geld bekomme, kaufe ich Bücher; und wenn noch was übrig bleibt, kaufe ich Essen und Kleidung." - Desiderius Erasmus

  • Nur teilweise aus der Sicht des 9jährigen Oskars geschrieben ist das folgende Buch:


    Extrem laut und unglaublich nah - Jonathan Safran Foer
    Oskar Blum ist altklug und naseweis, hochbegabt und phantasievoll. Eine kleine Nervensäge, die schon mit neun Jahren eine Visitenkarte vorweist, auf der sie sich als Erfinder, Schmuckdesigner und Tamburinspieler ausweist. Vor allem aber ist Oskar todtraurig und tief verstört. Auch noch zwei Jahre nachdem sein Vater beim Angriff auf das World Trade Center ums Leben kam. Nun will er herausfinden, warum Thomas Schell, der ein Juweliergeschäft hatte, sich ausgerechnet an diesem Tag dort aufhielt. Mit seinem Tamburin zieht Oskar durch New York und gerät in aberwitzige Abenteuer.

    "Sobald ich ein wenig Geld bekomme, kaufe ich Bücher; und wenn noch was übrig bleibt, kaufe ich Essen und Kleidung." - Desiderius Erasmus

  • Zitat

    Original von Johanna
    Mein Lieblingsbuch


    einfach nur wunderschön und aus der Sichts Scouts - der Tochter erzählt.


    Ganz sicherlich ein wunderschoenes Buch. Aber wenn ich mich richtig erinnere, funktioniert das Buch auch deswegen, weil sie nicht auf Scouts Perspektive beschraenkt bleibt. Es sind ja auch einige wichtige Szenen dabei, wo Scout nicht dabei war und nicht alles genau erzaehlt bekommen hat. Z.B. die Szene, wo der Mob sich nachts vor dem Gefaengnis versammelt. Oder hab ich das falsch in Erinnerung.

    Gruss aus Calgary, Canada
    Beatrix


    "Well behaved women rarely make history" -- Laura Thatcher Ulrich

  • Das Ende der Unschuld - Megan Abbott
    Die dreizehnjährige Lizzie und ihre Freundin Evie sind unzertrennlich. Nachbarmädchen, die Badeanzüge und Hockeyschläger tauschen, zusammen zur Schule gehen und scheinbar keine Geheimnisse voreinander haben. Doch eines Nachmittags ist Evie verschwunden. Einziger Anhaltspunkt: ein rotbrauner Wagen, den Lizzie morgens durch den Ort hat fahren sehen. Auf einmal steht Lizzie im Zentrum der Aufmerksamkeit: War Evie unglücklich? Hatte sie Sorgen? Hatte sie Lizzie von einem möglichen Verfolger erzählt? Würde sie zu einem Fremden ins Auto steigen?Lizzie versucht sich an Details zu erinnern und beginnt nachzuforschen. Um ihre Freundin zu finden, aber auch weil sie die Nähe von Evies zutiefst erschüttertem Vater sucht, für den sie heimlich schwärmt. Auf nächtlichen Streifzügen durch die Kleinstadt macht Lizzie seltsame Entdeckungen. Schritt für Schritt kommt sie einem Geheimnis auf die Spur und muss sich fragen, wie gut sie ihre beste Freundin überhaupt kannte.

    "Sobald ich ein wenig Geld bekomme, kaufe ich Bücher; und wenn noch was übrig bleibt, kaufe ich Essen und Kleidung." - Desiderius Erasmus

  • Zitat

    Original von Beatrix
    Asmos,


    von diesen Titeln hab ich auch schon gehoert. Und wie hat da diese Perspektive fuer dich funktioniert?


    Also "Extrem laut und unglaublich nah" gefällt mir außerordentlich gut. Da bin ich im Moment mitten drin. Wie gesagt gibt es Kapitel, die aus Oskars Sicht geschrieben sind, aber auch Briefe und Tagebucheinträge, die von den Großeltern stammen [die in Kriegszeiten aus Dresden geflohen sind].
    In der Regel stören mich solchen drastischen Sichtwechsel, aber das Buch ist genial geschrieben und unglaublich fesselnd. Kann ich nur jedem empfehlen.


    "Raum" ist hingegen etwas ganz anderes. Das Buch ist aus der Sicht eines Fünfjährigen [oder gar Vierjährigen] geschrieben. Das fand ich sprachlich anstrengend, weil es sich tatsächlich so liest, als hätte es ein Kind geschrieben. Und die 400 Seiten des Buches beschränken sich tatsächlich nur auf diesen einen Raum. Mutter und Sohn in einem Zimmer. Anfang bis Ende. Das Buch ist... interessant O_o *hust*



    Bei "Das Ende der Unschuld" fand ich die Perspektive der Nachbarstochter teilweise eher anstrengend zu lesen. Und ich habe deutlich gemerkt, dass ich es nicht so interessant finde, in den Kopf einer 13 oder 14jährigen zu gucken, als in den eines 9jährigen.
    Wobei in diesem Buch die gesamte Geschichte verstörend ist, immerhin verschwindet ein junges Mädchen, aber dadurch, dass man es durch den Schleier an seltsamen Gefühlen ihrer besten Freundin erlebt, verliert das Ganze viel irgendwie seine Farbenvielfalt. Es ist... ein wenig eintönig. Fast lieblos und teilweise auch gefühllos.

    "Sobald ich ein wenig Geld bekomme, kaufe ich Bücher; und wenn noch was übrig bleibt, kaufe ich Essen und Kleidung." - Desiderius Erasmus

    Dieser Beitrag wurde bereits 1 Mal editiert, zuletzt von Asmos ()

  • In diesem eher kurzen Roman (156 Seiten) wird konsequent aus der Perspektive eines Mädchens namens Ellen erzählt und das geht soweit, das man anfangs nur lose Zusammenhänge serviert bekommt und recht viel erraten muss. Dadurch wirkt das Erzählte echt, denn genauso sprunghaft und bruchstückhaft denken und erzählen (jüngere) Kinder ja nun einmal - sie scheinen darauf zu vertrauen, dass die Erwachsenen alle ungenannten Zusammenhänge (er)kennen. Der schreckliche Anfang wirkte auf mich abstoßend und doch auch so, dass ich neugierig wurde und dran blieb, obwohl es nicht "schön" war, das alles zu lesen. Aber es erstaunte mich oft, wie ein Mädchen in so harten Situationen denkt und fühlt - und alles wirkte so echt, obwohl es mir am Anfang sehr übertrieben vorgekommen war. Schwer zu beschreiben, aber für mich eine gute Erkenntnis, denn mir wurde klar, wie oft ich wohl schon glaubte, etwas zu verstehen ohne zu merken, dass ich gar nichts verstanden hatte.
    Gut, dass ich durchgehalten habe, denn im Verlaufe des Romanes erweitert sich der Blickwinkel des Mädchens natürlich, weil es älter wird, mehr versteht und anders erzählen kann. Das ist das Reizvolle an dieser Erzählperspektive. Die Geschichte entfaltet sich aus der Eingeschränktheit heraus langsam und öffnet sich immer mehr für komplexere Erlebnis- und Sichtweisen. Die sehr schwere Kindheit dieses Mädchens wird so völlig unsentimental und echt erzählt, dass es mich wirklich umgehauen hat - zum Ende hin erst so richtig.
    Die Überzeugungskraft und die Echtheit dieses Romans hat damit zu tun, dass die Autorin in diesem Roman ihre eigenen autobiographischen Erfahrungen als Kind eingearbeitet hat. Kaye Gibbons leidet an der manisch-deppressiven Erkrankung und schrieb ihre Romane in ihren manischen Phasen.


    Ob es anderen Leser/innen ähnlich ergeht wie mir, kann ich natürlich nicht sagen, das hängt sicherlich stark von den individuell unterschiedlichen Kindheitserfahrungen und der Toleranzgrenze jeder/jedes einzelnen ab. In Amerika hat dieser Roman seinerzeit, als er herauskam, sehr schnell Furore gemacht und ist über die USA hinaus bekannt geworden und in mehrere Sprachen übersetzt worden.


    Sehr gut im Sinne von "nicht eingeschränkte Sicht" funktioniert die Perspektive der Tochter in dem Roman "Verdeckte Blicke" von Kaye Gibbons, in dem es um das Leben der Familie mit einer manisch-depressiven Mutter geht. Dieser Roman ist wesentlich feiner gesponnen als "Ellen Foster". Auch wenn es um einen harten Stoff geht, wird teilweise mit einer liebevollen Ironie erzählt. Die Perspektive der Tochter ist hier rückwirkend eingenommen, so dass das Erzählte zwar die Sicht der Tochter zeigt, doch in der Sprache einer Erwachsenen erzählt wird.


    Beide Romane sind - soweit ich weiß - nur noch antiquarisch zu erhalten.
    _______________________________________________________________

  • Vor langer Zeit gelesen, daher kann ich mich nicht an jedes Detail erinnern, aber sicherlich einer der ungewöhnlichsten Romane, die ich je gelesen habe. Eine fiktive Biographie über einen Schriftsteller, der mit 11 Jahren gestorben ist, geschrieben von seinem besten Freund, der ebenso alt ist. Fängt mit einer extrem detaillierten Beschreibung der Geburt und der Säuglingsjahre an.


    Ansonsten sind Romane mit Kindern als erzählende Personen natürlich sehr verbreitet, werden aber immer wieder sehr kritisch betrachtet. Ich kann mich erinnern, dass Reich-Ranicki jedes Mal einen Anfall bekommen hat wenn er ein solches Buch besprechen musste: wie kann ein intelligenter Autor nur aus der Sicht eines unintelligenten kleinen Menschen schreiben...

  • Dieses Buch passt zwar nicht ganz rein, weil es aus dem Leben des Autors selbst erzählt, aber ich fand es unglaublich fesselnd [und erschreckend].


    Tiger, Tiger - Margaux Fragoso
    One summer day, Margaux Fragoso meets Peter Curran at the neighborhood swimming pool, and they begin to play. She is seven; he is fifty-one. When Peter invites her and her mother to his house, the little girl finds a child’s paradise of exotic pets and an elaborate backyard garden. Her mother, beset by mental illness and overwhelmed by caring for Margaux, is grateful for the attention Peter lavishes on her, and he creates an imaginative universe for her, much as Lewis Carroll did for his real-life Alice.


    In time, he insidiously takes on the role of Margaux’s playmate, father, and lover. Charming and manipulative, Peter burrows into every aspect of Margaux’s life and transforms her from a child fizzing with imagination and affection into a brainwashed young woman on the verge of suicide. But when she is twenty-two, it is Peter—ill, and wracked with guilt—who kills himself, at the age of sixty-six.


    Told with lyricism, depth, and mesmerizing clarity, Tiger, Tiger vividly illustrates the healing power of memory and disclosure. This extraordinary memoir is an unprecedented glimpse into the psyche of a young girl in free fall and conveys to readers—including parents and survivors of abuse—just how completely a pedophile enchants his victim and binds her to him.

    "Sobald ich ein wenig Geld bekomme, kaufe ich Bücher; und wenn noch was übrig bleibt, kaufe ich Essen und Kleidung." - Desiderius Erasmus

  • Zitat

    Original von Beatrix


    Ganz sicherlich ein wunderschoenes Buch. Aber wenn ich mich richtig erinnere, funktioniert das Buch auch deswegen, weil sie nicht auf Scouts Perspektive beschraenkt bleibt. Es sind ja auch einige wichtige Szenen dabei, wo Scout nicht dabei war und nicht alles genau erzaehlt bekommen hat. Z.B. die Szene, wo der Mob sich nachts vor dem Gefaengnis versammelt. Oder hab ich das falsch in Erinnerung.


    Doch, sie ist dabei. Sie & Jem schleichen sich nachts dahin und unterstützen Atticus sozusagen.

  • Johanna - Wer die Nachtigall stört ist soeben auf meine Wunschliste gekommen


    Dieses hier ist auch aus der Perspektive eines Kindes erzählt, sprachlich wunderschön. Noch heute, 11 Jahre nach dem Lesen, kann ich mich daran erinnern, wie ich den Duft in manchen der Szenen und Bilder riechen konnte. Eines meiner Lieblingsbücher.


    Als der Blues begann. Janice Deaner


    "Eine Tochter. Eine Mutter. Ein Tagebuch. Ein Geheimnis. Die Lamars könnten so glücklich sein. Vater Leo bekommt den lang ersehnten Job, Mutter Lana ein Haus mit Garten, und die drei Kinder erobern sich nach dem Umzug aus Detroit das sommerlich romantische Dorf. Die perfekte Idylle. Doch eines Tages finden die Geschwister in einer Kiste auf dem Speicher Lanas alte Tagebücher … „576 unwiderstehliche, hervorragend übersetzte Seiten voller Leben, Drama und Humor.“ (Brigitte)