Gefiederte Architekten - Peter Goodfellow

  • Peter Goodfellow: Gefiederte Architekten, OT: Avian Architecture, aus dem Englischen von Susanne Warmuth, Bern 2011, Haupt-Verlag, ISBN 978-3-258-07671-3, Hardcover, zahlreiche Farbfotos und Illustrationen, 150 Seiten, Format: 25,8 x 21 x 1,6 cm, EUR 29,90 (D), EUR 30,80 (A).


    Wer bislang Vogelnester für ein planloses Gewurstel aus Zweigen gehalten hat, wird beim Lesen dieses Buchs und beim Betrachten der faszinierenden Bilder aus dem Staunen nicht mehr herauskommen. Es ist schon verblüffend, dass außer uns Menschen ausgerechnet die Vögel Meister im Häuslebauen sind. Wo sie doch nur ihren Schnabel und die Füße zum „Handling“ der Baumaterialien zur Verfügung haben! Und wie schnell sie so ein komplexes Bauwerk hochziehen! Sie brauchen dazu allenfalls ein paar Tage.


    Verschiedene Vogelarten arbeiten nach verschiedenen Bauplänen, deren Prinzip uns der Autor anhand schematischer Skizzen erklärt. Danach sehen wir konkrete Beispiele aus der Natur – in Wort und Bild.


    Die Erbauer der Nestmulden sind die Minimalisten unter den Baumeistern. Sie kratzen eine Vertiefung in den Boden und fertig. Das hindert die Eier zumindest mal am Wegrollen. Vor Fressfeinden ist der Nachwuchs dieser Bodenbrüter durch eine perfekte Tarnfärbung geschützt. Eine besondere Tarnung hat sich der Rennvogel einfallen lassen: Er legt einen Ring von Tierdung um seine Nestmulde. Natürlich verteidigen die Altvögel ihre Brut auch – durch Ablenkungsmanöver, Schnabelhiebe und Exkrementen-Bomben.


    Baumhöhlen, Erdröhren und Felsspalten sind für manche Arten begehrte Nistplätze, weil sie die Verteidigung der Nistplätze erleichtern. Einige Vögel, wie z.B. Eisvögel und Spechte, bauen sich ihre Höhlen selber, andere sind Hausbesetzer und ziehen in natürliche, verlassene oder geraubte Höhlen. Die tropischen Trogone sind sogar Untermieter: Sie bauen ihre Höhlen in die Behausungen von Baumtermiten und in Wespennester. Sehr aufwändig ist das, was der Doppelhornvogel treibt: Das Weibchen mauert sich und seine Jungen für mehrere Monate in eine Baumhöhle ein und ist die ganze Zeit über auf die Versorgung durch das Männchen angewiesen.


    Plattformnester gibt es nicht nur in luftiger Höhe, sondern auch auf dem Wasser. Manche sind nur lose aufgeschichtet und vom Kot der Jungvögel zementiert. Andere werden von den Altvögeln mit Gräsern und Kräutern ausgepolstert oder mit frischen Kiefernzweigen geschmückt. Einen extremen Aufwand betreibt die australische Spaltfußgans, die ihr Nest ins Schilf baut. Die Schritt-für-Schritt-Bildfolge eines solchen Plattformnestbaus ist unglaublich. Man kann sich gar nicht vorstellen, dass so ein kompliziertes Verfahren nur auf Instinkt basiert. Diese Konstruktion muss doch ein genialer Geist ersonnen, erprobt und verfeinert haben. Sollte man meinen.


    Schwimmende Nester schützen vor landlebenden Feinden. Aber sie sind nicht so einfach zu bauen. Das Blässhuhn errichtet eine stabile Wasserburg, die Zwergtaucher bauen eine schwimmende Insel mit Anker, der Lappentaucher braucht eine bestimmte Technik, um sein Nest überhaupt betreten zu können, und das Blaustirn-Blatthühnchen muss besonders viele Eier legen, um die Tatsache wettzumachen, dass bei seiner Schwimmnest-Leichtbauweise öfter mal ein Ei über Bord geht.


    Napfförmige Nester sind quasi das Standardmodell der Natur. Es gibt sie in unzähligen Ausführungen: in Binsen und Bäume gebaut, mit Spinnweben vertäut, ordentlich zusammengesteckt, in stabilisierender Pokalform, weich ausgekleidet und gut getarnt. Da dürfen die Eier auch mal so auffällig gefärbt sein wie die der Singdrossel. Und wieder einmal staunt man über die vielen verschiedenen Arbeitsschritte, die so ein kleiner Vogel können muss.


    Eine Weiterentwicklung des Napfnests ist das Kugelnest, eine mehr oder weniger runde Konstruktion mit Eingang. Der amerikanische Kaktuszaunkönig baut seines in dornige Sträucher und Kakteen, was die Brut einigermaßen vor Feinden schützt. Schwanzmeisen verwenden beim Nestbau eine raffinierte Klettverschlusstechnik, der afrikanische Hammerkopf deckt sein Dach mit verrotteten Pflanzen, Schlangenhäuten, Müll, Aas und Tierkot und isoliert das Nest mit Schlamm gegen Regen und Feinde.


    Eine weitere Bauvariante sind die Lehmnester. Ob sich die Menschen die Bauweise ihrer Lehmhütten von den Vögeln abgeschaut haben? Mit einer Mischung aus feuchtem Lehm und Speichel errichten beispielsweise die Schwalben und der Gelbkopf-Felshüpfer ihre Nester. Viele Nester sind ungestützt und haften allein durch Adhäsionskräfte. Entsprechend umsichtig muss der Baumeister vorgehen. Es gibt auch regelrechte Eigenheimsiedlungen. Die Fahlstirnschwalben brüten in dichtgedrängten Lehmnest- Kolonien, die an Felswänden hängen.


    Hängende, gewebte und genähte Nester sind eine Fortentwicklung der Napf- und Kugelnester, Eigentlich müssten die Webervögel ja einen Statiker beschäftigen. Die kugel-, beutel-, nieren- oder retortenförmigen Hängenester müssen so befestigt werden, dass sie die größer und schwerer werdenden Küken aushalten. Was das für eine Kunst, zeigt die Schritt-für-Schritt-Bildfolge, die ein Dorfweber-Männchen beim Nestbau zeigt: Verschiedene Schlaufen und Schlingen, Verkreuzungen, Windungen, Wicklungen und Stiche muss er beherrschen. Und das Unglaublichste: Der ganze Nestbau dauert nur einen Tag!


    Haufennester werden nur auf dem Boden gebaut. Im Bruthaufen sind die Eier vergraben. Die Bruttemperatur ist optimal geregelt, und die Küken schlüpfen so weit entwickelt wie bei keiner anderen Vogelart. Sie sind Nestflüchter wie z.B. das Buschhuhn-Küken, das seine Eltern vermutlich nie zu Gesicht bekommt. Es kann gleich, nachdem es sich aus dem Bruthaufen gekämpft hat, laufen und Futter suchen und bereits nach einem Tag fliegen. In den Hügelnestern von Flamingo, Adelie-Pinguin und Rüsselblässhuhn dagegen liegen die Eier wie in einem Vulkankrater und werden von den Altvögeln bebrütet.


    In den unterschiedlichsten Baustilen gibt es Kolonien und Gemeinschaftsnester. Manche Vögel brüten zwar zusammen, unterstützen einander aber nicht. Sie stibitzen sich sogar gegenseitig das Nistmaterial, wie das Beispiel der Saatkrähen zeigt. Andere, wie die Siedelweber, bauen zusammen ein riesiges Nest, in dem jede Familie eine eigene Brutkammer hat. Und wieder andere, wie z.B. die Floridahäher, leben in einer Art Kommune, in der eine ganze Vogelgruppe die Nestlinge versorgt. Sie beschäftigen sogar Personal: Bruthelfer, die selbst keine Eier im Nest haben.


    Laubennester sind Repräsentationsbauten der Vogelmännchen. Sie dienen der Balz, nicht als Nistplatz. Laubenvögel legen prachtvolle Alleen, Hütten und Gärten an, die sie mit Früchten, Blättern, Blüten, farbigem Zivilisationsmüll, Schneckenhäusern, Käferflügeln und Federn dekorieren. Und manche schaffen es sogar, ihre Laube mit einer Mischung aus Speichel und zerkauten Pflanzenteilen zu bemalen.


    Besonders skurril sind die essbaren Nester und Vorratskammern. Spechte, die Löcher in Bäume klopfen und in jedem eine Eichel aufbewahren? In Amerika gibt es das. In diesem Kapitel erfahren wir auch, welche Art von Schwalbennestern in Asien auf den Tisch kommen. Eigentlich ist es ja gemein, den Vögeln ihre sorgsam konstruierten und mühevoll erbauten Nistplätze wegzunehmen und eine Suppe daraus zu kochen. Ein bisschen mehr Respekt vor der Arbeit der gefiederten Architekten dürfte schon sein.


    Wir, die Leser, haben diesen Respekt jetzt. Mutter Natur, so haben wir gelernt, arbeitet mit allen Tricks. Und ein paar der besten und raffiniertesten hat sie den Vögeln für den Nestbau überlassen.


    Ein Inhaltsverzeichnis, ausführliche Quellenangaben, ein Glossar und ein Register runden diesen hochinteressanten und großartig bebilderten Band ab.


    Der Autor:
    Peter Goodfellow ist ein britischer Vogelbeobachter und pensionierter Lehrer. Er ist war Vorsitzender der Devon Birdwatching & Preservation Society“ und arbeitet regelmäßig an Studien des British Trust for Ornithology mit. Von ihm gibt es zahlreiche Veröffentlichungen, unter anderem “Birds as Builders”, “Shakespeare's birds” und “A Naturalist's Guide to the Birds of Britain and Northern Europe”.

    Und was die Autofahrer denken,
    das würd’ die Marder furchtbar kränken.
    Ingo Baumgartner