Anweisungen an die Krokodile – Antonio Lobo Antunes

  • Verlag: Luchterhand
    Gebundene Ausgabe: 448 Seiten


    Originaltitel: Exortacao aos Crocodilos
    Aus dem Portugiesischen von Maralde Meyer-Minnemann


    Kurzbeschreibung:
    Antunes hat den vielstimmigen Chor, den wir aus seinen früheren Romanen kennen, auf vier Stimmen reduziert, nämlich auf die Celinas, Fátimas, Mimis und Simones, vier Frauen, die in meist grotesk-absurder Weise an eine Verschwörergruppe gebunden sind.
    Aus den Stimmen dieser Erzählerinnen konstruiert Antunes die Geschichte dieser »Krokodile«, die gerade dabei sind, einen großen Coup zu landen. Alle bereiten sich auf den Tag X vor. Aber ihre jeweils eigenen Vorstellungen, Wünsche und Sehnsüchte drängen sich in den Vordergrund, der Zwang, endlich bedrückende Lasten abzuwerfen und unter unliebsame Lebensphasen einen Schlußstrich zu ziehen, kompliziert die Durchführung des Attentats. Alle Mittel sind den Terroristen recht, auch wenn die engsten Verbündeten darunter leiden, und schließlich kippt die Verschwörung in ein selbstmörderisches Chaos um.
    Tiefer als je zuvor dringt Antunes ein in den Haß und Selbsthaß seiner Protagonisten und in ihren Wahn, der sich immer wieder in nächtlichen Träumen verselbständigt: Wirklichkeitsverschiebung und Wahn fügen sich zu einer surrealen Gegenwelt, die mit ungeahntem bildlichen Reichtum und großer Eindruckskraft beschrieben wird.


    Über den Autor:
    António Lobo Antunes wurde 1942 in Lissabon geboren. Er studierte Medizin, war während des Kolonialkrieges 27 Monate lang Militärarzt in Angola und arbeitete danach als Psychiater in einem Lissabonner Krankenhaus. Heute lebt er als Schriftsteller in seiner Heimatstadt. Lobo Antunes zählt zu den wichtigsten Autoren der europäischen Gegenwartsliteratur. In seinem Werk, das mittlerweile mehr als zwanzig Titel umfasst und in über dreißig Sprachen übersetzt worden ist, setzt er sich intensiv und kritisch mit der portugiesischen Gesellschaft auseinander. Er erhielt zahlreiche Preise, darunter den "Großen Romanpreis des Portugiesischen Schriftstellerverbandes", den "Österreichischen Staatspreis für Europäische Literatur", den "Jerusalem-Preis für die Freiheit des Individuums in der Gesellschaft" und zuletzt 2007 den Camões-Preis.


    Über den Autor:
    Maralde Meyer-Minnemann, geboren 1943 in Hamburg, erhielt 1992 den "Hamburger Förderpreis für literarische Übersetzungen", 1997 den Preis "Portugal-Frankfurt", 1998 den "Helmut-M.-Braem-Preis" und wurde 2005 für den "Preis der Leipziger Buchmesse" nominiert.


    Mein Eindruck:
    Antonio Lobo Antunes hat mit diesem Roman von 1999 ungewöhnliche Hauptfiguren gewählt. Es geht um die Frauen von Männern einer terroristischen Organisation in Portugal, die das Ziel haben, die Linken des Landes zu verdrängen. Sie sind offenbar Anhänger von Salazar, die den politischen Wechsel nicht akzeptieren wollen und deswegen zu Terroranschlägen bereit sind. Der Roman ist zeitlich ungefähr kurz nach der Nelkenrevolution 1974 verortet.


    Jetzt sind diese 4 Frauen, die im Mittelpunkt stehen, nicht direkt die Täter, aber sie sind als Mitwisser natürlich in die Sache verstrickt. Als Identifikationsfiguren dienen sie daher nicht. Der Leser bleibt daher auf einer Distanz. Das macht den ohnehin schwierig geschriebenen Roman natürlich nicht leichter.


    Nach und nach werden die Frauen vorgestellt. In dem ersten Kapitel zunächst Mimi, 2 Kapitel mit Fatima, 3 Kapitel Celina und 4 Kapitel Simone usw. Sie kommen immer abwechselnd zu Wort.
    Man lernt die Figuren nur allmählich kennen. Die krebskranke Mimi ist schwerhörig, doch sie versteht mehr als die anderen denken. Sie lächelt nur und schweigt. Ihr reicher Mann ist der Chef dieser Vereinigung. Celina ist seine Geliebte. Die exzentrische Fatima ist geschieden und lebt in einer selbstzerstörerischen Beziehung zu ihrem Patenonkel, einem Bischof.
    Die dicke Simone ist die Verlobte des Chauffeurs, der die Bombe für den Anschlag bastelt. Sie hat ein geringes Selbstwertgefühl.


    Es sind 4 sehr verschiedene Frauen, diese Konstellation zeigt auch, dass alle Gesellschaftsschichten von den Jahren der Diktatur geprägt waren. Da bleibt kein Potenzial für eine positive Lebensgestaltung.


    Alle vier Erzählerinnen sind in ihren Gedanken sehr in der Kindheit und in der Vergangenheit verhaftet.
    Um Situation und Figuren in aller Tiefe darzustellen greift Antunes auf die Erzähltechnik der inneren Monologe zurück, die er jedoch so variiert, dass sämtliche Empfindungen und Einflüsse auf die Figuren erkennbar werden, dazu wird die Zeit nach Belieben variiert, also sind die Erinnerungen z.B. an Kindheit direkt neben die Erwachsenenperspektive gestellt.
    Außerdem lässt er die erzählenden Sätze mit zwischengeschobenen kursivem Sätzen unterbrechen. Bei diesen reflexartig eingestreuten Sätzen verzichtet Antunes auf Setzung von Kommata.
    So zeigt er, was die Figuren unter der Oberfläche bewegt. Meisterhaft gemacht!


    Die Sprache ist sehr poetisch und unterstützt die Vorstellungskraft der Figuren.
    Selbst Gerüche wie der Brandtweingeruch von Mimis Großmutter, sind so stark beschrieben, dass man mit allen Sinnen zu lesen meint.


    Der Roman hat mich sprachlich sehr beeindruckt und zeigt Menschen, die von den Zwängen und Ausweglosigkeit gelenkt werden.
    Dass die 4 Frauen Verlorene sind, spürt man als Leser schnell und das macht diesen Text so tieftraurig!


    ASIN/ISBN: 344271317X