Die Autorin
Nikita Lalwani wurde in Rajasthan geboren und wuchs in Cardif, GB, auf. Ihr erster Roman "Gifted" war auf der Auswahlliste für den Man Booker Prize, in der engeren Wahl für den Costa First Novel Award und gewann den Desmond Elliot Prize. Sie lebt in London.
Meine Meinung
Man stelle sich ein Gefängnis vor, wo die Mauern grad mal kniehoch sind und Kinder sie spielend überwinden können. Ein Gefängnis, wo eine "Zelle" aussieht wie jedes andere Haus in der Nachbarschaft, komplett mit Küche und Bad und groß genug für eine ganze Familie. Ein Gefängnis, wo die Insassen zusammen mit ihren Familien leben, einem Beruf nachgehen und keinerlei Gedanken an Flucht verschwenden.
In Indien ist dies keine Traumvorstellung sondern Realität. Dutzende solcher Gefängnisdörfer gibt es inzwischen, alle mit beeindruckenden Statistiken extrem niedriger Rückfallquoten und Fluchtversuche.
Nikita Lalwani stellt dem Leser ein solches Dorf in ihrem neuesten Roman vor. Erzählt wird die fiktive Geschichte eines BBC Filmteams, das das Leben der Gefangenen und ihrer Familien dokumentieren soll. Ihre Arbeit beginnt als neutrale Beobachter. Der Leser bekommt das Dorf praktisch durch das Kameraobjektiv zu sehen - wunderbar erzählt mit detaillierten Beschreibungen von Menschen und ihrer Umgebung. Die Atmosphäre ist praktisch greifbar. Ich fühlte mich gleich als wäre ich mittendrin, konnte die Gerüche praktisch riechen, den Lärm hören.
Und ich bin genauso neugierig wie das Filmteam und will erfahren wie dieses Gefängnisdorf funktioniert und ob man es nicht auch Ähnliches in unserer westlichen Welt aufbauen könnte.
Je weiter die Geschichte voranschreitet, desto mehr scheinen diese Fragen allerdings in den Hintergrund zu rücken. Statt dessen zoomt das Buch immer wieder auf die Mitglieder des britischen Filmteams und ihre Beziehungen untereinander. Und keine dieser Figuren ist sonderlich sympathisch. Die Situation verschärft sich, als die Produzenten in London drauf dringen, dass der Fernsehfilm so schnell wie möglich menschliches Drama zeigen soll. Damit verlässt die Filmcrew ihre Beobachterposition und beginnt zunehmend die Dorfbewohner zu manipulieren. Das schafft ein durchaus interessantes moralisches Konfliktpotential. Aber hier wird eine gute Chance vertan, da die Erzählperspektive einzig die der britischen Crew ist. Die indischen Dorfbewohner sind nicht mehr als Statisten.
Letztlich bleiben das Dorf und seine Bewohner nur Randfiguren in diesem Buch. Ich wünschte das Buch hätte sie mehr in den Mittelpunkt gestellt anstatt die Gefühle des Filmteams hervorzuheben. So schön sich der Schreibstil auch lesen lässt, die Geschichte an sich ist daher doch enttäuschend und kann meine Erwartungen nicht erfüllen.