Das Königreich der Pilze - Mary Amato

  • Trevor ist ein Kind der Unterschicht. Vorerst letzte Sprosse auf seinem Weg nach unten ist der Umzug seiner Familie, seiner Mutter und zwei kleinen Geschwistern, nach Hedley, genannt Deadly Heights, einer heruntergekommenen Sozialsiedlung. Die neue Wohnung ist ein Loch, und da sich seine Mutter verzweifelt bemüht, genug Geld heranzuschaffen, um nicht ganz in der Obdachlosigkeit zu landen, muss er sich auch noch um seine Geschwister kümmern. Einziger Lichtblick ist die Schule, denn aufgrund einer Schulkreisreform gehen die Assikinder aus Deadly Height in die Schule des angrenzenden gutbürgerlichen Viertels Buckingham.
    Hier also landet Trevor, und wird zunächst wohlwollend aufgenommen. Trotz der sozialen Unterschiede findet er schnell Anschluss, dank seines Zeichentalents verdient er sich ein paar Dollar, indem er die Turnschuhe seiner Mitschüler mit Graffitis verziert und er landet sogar im Bio-Meisterkurs, in dem der kauzige Lehrer Ferguson seinen Schülern mit unkonventionellen Methoden das Reich der Pilze näherbringt.
    Doch natürlich steht dieses Glück auf tönernen Füßen, manch ein wohlhabender Freund entpuppt sich ganz schnell als falscher Freund, und die Sache mit diesem wunderbaren Biologiekurs stellt sich auch noch als dummer Irrtum heraus. Und so hat Trevor einiges zu tun, um diesen kleinen Fetzen Glück, den er erhascht zu haben glaubte, tatsächlich auch zu behalten.


    Mein Kind war begeistert von diesem Buch, hat mich genervt, es endlich zu lesen, sie selber hat schließlich selbst nur einen Tag dafür gebraucht, und erinnerte mich daran, dass sie regelmäßig mit mir in den Wald rennen muss, um, logisch, Pilze zu sammeln. (Bei einer solchen Gelegenheit kam dann irgendwann auch der verzweifelte Aufschrei „Ich will nicht pilzen!“)


    Ich habe dieses Buch also gelesen, und war zunächst von der Geschichte recht angetan. Trevor ist ein sympathischer Kerl, er kümmert sich um seine Geschwister, zeigt Anteilnahme an seiner Umgebung, etwa dem Baby Charlie, das just bei ihrer Ankunft in Deadly Heights in einem Müllcontainer gefunden wird. Und auch, wie er sich wacker in der Schule zu schlagen versucht, obwohl er sich nicht mal ein Notizbuch leisten kann, während seine Klassenkameraden mit Fußballschuhen aus Känguruhleder zum Sportunterricht erscheinen, ist irgendwie rührend.


    Aber mit der Zeit störte mich zunehmend der amerikanische Mythos, der das Gerüst dieser Geschichte bildet: nur, wer zu den Besten zählt, hat die Chance, dem Elend zu entrinnen.
    Vielleicht geht es in den USA ja wirklich so zu, aber ich war schockiert, dass, zumindest in diesem Buch, das Schulleben amerikanischer Siebtklässler offenbar ein einziger Wettbewerb ist. Trevor geht nicht einfach zur Schule, nein, ständig er nimmt an irgendeinem Ausleseverfahren teil. Um in der Fußballmannschaft der Schule mitspielen zu dürfen, muss er jede Menge Konkurrenten ausstechen und da der Ruf dieser Mannschaft eher bescheiden ist, statt „Kämpfer“ wird sie als „Krämpfe“ verspottet, geht’s gleich weiter zum Probespielen der privaten und deshalb eigentlich von vorneherein unerschwinglichen Stadtteilmannschaft. Der Meisterkurs in Biologie ist zwar faszinierend, aber natürlich dürfen dort auch nur solche Schüler mitmachen, die sich qualifiziert haben, und da Trevor dort nur durch einen Computerfehler gelandet ist, muss er sich im Nachhinein durch ganz besondere Leistungen als würdig erweisen. Und will er statt des langweiligen Computerkurses, in dem er eh nicht reüssieren kann, da er sich für die Hausaufgaben stundenlang am Computer der Stadtbibliothek anstellen muss, einen Kunstkurs belegen, muss er mal wieder um einen Platz im Kunstmeisterkurs antreten.
    In diesem Buch ist kein Platz für Verlierer, selbst Trevors schrille Halbfreundin Diamond, die aus katastrophalen Familienverhältnissen stammt, befindet sich im Wettstreit. Wie es sich für ein Mädchen gehört, im schulinternen Gesangswettbewerb.
    Ein guter Teil des Charmes dieses Buches resultiert aus den Erfolgen dieser benachteiligten jungen Helden, aber spätestens am Ende drängt sich die Frage auf: was passiert mit den Kindern, die zwar gerne, aber nicht unbedingt begnadet Fußball spielen, was mit denen, die gut singen können, aber leider keine Rampensau sind, die sich bei irgendwelchen Wettbewerben in Szene setzen können (in dieser Geschichte gibt es so ein Mädchen, dass konsequenterweise sang- und klanglos aus der Geschichte verschwindet), was aus solchen, die nicht genug Kraft haben, sich gegen ihre angeborene Benachteiligung zu stemmen?


    Aber wie gesagt, meine Tochter fand das Buch toll, und vielleicht hat es wenigstens erreicht, dass beim nächsten Mal, wenn pilzen ansteht, nicht wieder das große Gemaule ausbricht.

    Menschen sind für mich wie offene Bücher, auch wenn mir offene Bücher bei Weitem lieber sind. (Colin Bateman)