Warum jeder jedem etwas schuldet, und keiner jemals etwas zurückzahlt: Die bizarre Geschichte der Finanzen, dieser Titel hat mich magisch angezogen. Und da ich Lanchesters Schmöker „Kapital“ zwar nicht gerade herausragend, aber doch ganz nett fand, habe ich zugegriffen.
Lanchester versucht in diesem Buch, das Wesen der Finanzkrise zu erklären. Dabei geht er eigentlich (die Betonung werde ich später noch erläutern) durchaus pädagogisch vor, indem er es an drei Parametern festmacht: einem Klima, einem Problem und einem Fehler, welche letzten Endes zur Krise führten.
Das Klima war der Zusammenbruch der Sowjetunion und der daraus resultierenden Ansicht besonders der angelsächsischen Politik, dass unregulierter Kapitalismus die beste aller denkbaren Weltordnungen sei. Finanzinstrumente, die einst erfunden worden waren, um einen für die Realwirtschaft durchaus erkennbaren Nutzen zu bringen, wurden plötzlich, da die Politik sich aus jeglicher Form der Regulierung zurückzog, zum Selbstzweck und blähten die Finanzindustrie in unvorstellbarer Weise auf. Immer mehr Geld kreiste um den Globus und suchte Möglichkeiten, noch mehr Geld zu generieren.
Und da ist es schon, das Problem: wohin mit dem vielen Geld? Warum es nicht an Menschen verleihen, die sich dafür hübsche Häuschen in den USA kaufen können? Und da alle, die es sich leisten konnten, sehr schnell so ein Häuschen hatten, bekamen eben auch solche Kredit, die es sich eigentlich nicht leisten konnten.
Womit Lanchester schon beim Fehler wäre, nämlich der totalen Falscheinschätzung der Risiken, die in diesem Geschäftsmodell stecken. Was folgte ist bekannt. Die Immobilienblase, deren Platzen als Subprimekrise den Auftakt der Finanzkrise bildete.
Womit ich wiederum bei dem Problem bin, das ich mit diesem Buch hatte. Denn der oben beschrieben Mechanismus ist die Quintessenz dessen, was ich in diesem Buch verstanden habe, womöglich, weil ich das vorher schon wusste. Denn immerhin ist das Buch 300 Seiten dick, ein wenig Erkenntnisgewinn hätte ich mir da ja doch erhofft.
Lanchester fängt gerne auf einem einfachen Niveau an, zu erklären „stellen sie sich vor, sie brauchen Geld“, rutscht dann aber ganz schnell in Finanzsprech ab, den ich leider nicht verstehe.
Zum Beispiel bei der Erklärung von Bilanzen. Da ist viel von Aktiva und Passiva die Rede, und an einer Stelle: das Eigenkapital wird zu den Passiva hinzugefügt, damit deren Summe den Aktiva entspricht. Hä?! Mit dieser Aussage konnte ich mir sämtliche weiteren Ausführungen sparen, ich habe mir einen Knoten ins Hirn gedacht, ich konnte einfach nicht mehr folgen.
Zudem schienen mir seine Formulierungen zu unpräzise, er wirft mit Begriffen wie Vermögenswerte und Schuldtitel um sich, nur leider habe ich keine Ahnung, was genau das eigentlich ist, geschweige denn, wie man das in der Finanzbuchhaltung verbucht.
Oder der Terminus „Risiko“. Dem widmet er zwar viele Seiten, erzählt von Statistiken, Finanzmathematik und Standardabweichungen, aber obwohl ich zumindest die Grundzüge der Statistik kenne, wusste ich am Ende nicht, worin denn die Risiken nun eigentlich bestanden. Dass sie maßlos unterschätzt wurden, wusste ich immerhin schon vor der Lektüre dieses Buches.
Manchmal habe ich mich gefragt, ob er selbst schon so in den sprachlichen Gepflogenheiten und Denkweisen der Finanzwelt drinsteckt, dass er das gar nicht merkt, oder ob er das alles selbst nicht verstanden hat.
Er fabuliert zwar gerne (und rutscht leider zu oft in Geschwätz ab), aber andererseits brechen seine Erläuterungen oft ziemlich unvermittelt ab. Es wird ein Missstand beschrieben, es folgen Sätze wie „und da lag der Hase im Pfeffer“, gespanntes Umblättern, doch oh weh, dieser Satz ist kein Cliffhanger, es folgt keine Erklärung, sondern das ist ein Schlusssatz. Offenbar geht Lanchaster davon aus, dass der Leser das schon verstanden hat, oder ihm die Aussage reicht, dass da irgendwo ein Hase im Pfeffer liegt, dass dessen genaue Lokalisation aber nicht weiter von Interesse ist
Interessant erschien mir die im vorletzten Kapitel die Selbstanklage Lanchesters: „Wir [Briten] waren besessen von unseren Immobilienpreisen, fühlten uns reicher, als das gut für uns war, liehen uns Geld, das wir nicht hatten, verschleuderten es für irgendwelchen Schrott....“ Aha, dachte ich, hat er vielleicht doch was gelernt?. Aber nein, das letzte Kapitel zeigt gleich wieder, wie sehr Lanchester im kapitalistischen Denken verhaftet ist, wirft er doch den Deutschen vor, gerade nicht wie die vielen anderen Nationen gehandelt zu haben, nämlich zu konsumieren und Häuser zu kaufen, sondern zu sparen und das Risiko zu scheuen.
Das ist wohl auch der Punkt, den ich an Lanchesters „Kapital“ so unschlüssig fand. Denn was Geld angeht, funktioniert mein Umfeld einfach ganz anders. Ich kenne keinen Menschen, der eine Hypothek auf sein vorgeblich im Wert gestiegenes Häuschen aufnehmen würde, um sich etwa ein neues Auto zu kaufen. Niemand würde einen Kredit aufnehmen, nur weil die Zinsen gerade günstig sind, und dieses Geld in irgendwelche windigen Investmentsfonds stecken. Das aber genau dieses Verhalten in Großbrittanien auch in breiten Bevölkerungsschichten offenbar Gang und Gäbe war, ist eine der wenigen Erkenntnisse, die ich aus diesem Buch gewonnen habe.