Kevin Powers: Die Sonne war der ganze Himmel

  • Kevin Powers: Die Sonne war der ganze Himmel
    Verlag: S. Fischer 2013. 240 Seiten
    ISBN-13: 978-3100590299
    Originaltitel: The Yellow Birds
    Übersetzer: Henning Ahrens


    Verlagstext
    Das aufsehenerregendste amerikanische Debüt seit Jahren: die ergreifende Geschichte einer Freundschaft im Irakkrieg
    Die beiden jungen Amerikaner John Bartle, 21, und Daniel Murphy, 18, haben keine Zeit erwachsen zu werden. Als Soldaten werden sie gemeinsam in den Irak geschickt, in einen Krieg, auf den sie niemand vorbereitet hat. Was John und Daniel in der glühenden Hitze der Wüste am Leben hält, ist ihre Angst – und ein Versprechen, das John Daniels Mutter gegeben hat: Er wird auf Daniel aufpassen, was immer kommen mag… Ein großer Roman, wie wir ihn noch nicht gelesen haben, der uns ein Land im Krieg von seiner nahbaren, verletzlichen Seite zeigt. Vor allem aber die Geschichte einer Freundschaft: klar, poetisch und schmerzlich schön erzählt.


    Der Autor
    Kevin Powers war von 2004 bis 2005 als US-Soldat im Irak stationiert, wo er als Maschinengewehrschütze in Mosul und Tal Afar kämpfte. Aufgewachsen in Richmond, Virginia, studierte er an der Virginia Commonwealth University und der University of Texas, Austin, wo er Poetry Fellow am Michener Center war. ›Die Sonne war der ganze Himmel‹ ist sein Romandebüt. Es wurde zum New York Times-Bestseller und mit dem Guardian First Book Award, dem Hemingway Foundation/PEN Award, dem Flaherty-Dunnan First Novel Prize und dem American Academy of Arts and Letters' Sue Kaufman Prize for First Fiction ausgezeichnet.


    Inhalt
    Bei ihrem ersten Zusammentreffen findet John Bartle seinen Kameraden Daniel Murphy reichlich jung. "Murph" war genau genommen kein Mann, sondern ein Junge. Dabei ist der andere Soldat, der wie Daniel aus Virginia stammt, nur drei Jahre jünger. Aus Gutmütigkeit und um Daniels Mutter über den Abschied zu trösten, verspricht Bartle, sich um den jüngeren Soldaten zu kümmern und ihn wieder nach Hause zurückzubringen. Beide Männer werden 2004 in den Irak geschickt, in einen Krieg, auf den sie niemand vorbereitet hat und in ein Land, über das die Befehlshaber gefährlich wenig wissen. Mit der Erfahrung des knapp Dreißigjährigen schreibt Bartle seine Geschichte auf und sieht sich selbst im Rückblick als sehr jungen Mann, der sich aus Abenteuerlust, zum Entsetzen seiner Eltern, zur Armee meldete. Bartle und Murphy geben sich äußerlich abgebrüht. Den Krieg personalisieren sie als jemanden, der sie töten will. Die Zahl der Gefallenen wird zur statistischen Spielerei, wenn die Männer abzählen, dass sie ungern exakt der 1000. tote US-Soldat in diesem Krieg sein möchten. Private Bartle kehrt ohne Murphy aus dem Irak zurück. Weil er sein Versprechen gegenüber „Murphs“ Mutter nicht halten konnte, fällte er eine ungewöhnliche Entscheidung, deren Folgen er auch jetzt noch nicht absehen kann. Murphys Mutter hat ein Recht darauf, von Bartle die Todesumstände ihres Sohnes zu erfahren. Je mehr der jedoch versucht, sich an „Murph“ zu erinnern, je stärker gleicht seine Erinnerung einem löcherigen Gewebe. Bartle, nur körperlich unversehrt, zieht sich völlig von anderen Menschen zurück. Der Veteran hat gerade erst seine persönliche Grenze zwischen Erinnerungen, Wahrheit und dem Erzählten neu justiert und fremdelt immer noch im Umgang mit Zivilisten. Für Angehörige und Freunde ist es nicht einfach, mit Männern umzugehen, die von der Nation öffentlich heroisiert und mit ihren Problemen allein gelassen werden. Der Protagonist in Powers' autobiografischem Debütroman dringt durch das Aufschreiben seiner Kriegserinnerungen schließlich zu den tatsächlichen Motiven vor, aus denen er sich damals naiv-forsch zu Armee meldete.


    Fazit
    Powers lässt seinen Icherzähler schmerzlich-schön vom Krieg gegen einen oft unsichtbaren Gegner und der Rückkehr ins Zivilleben berichten. Ein großartiger Roman, der lange nachwirkt.


    10 von 10 Punkten

  • "Der Krieg wollte uns im Frühling töten." Mit diesen Worten beginnt dieser beeindruckende und aufwühlende Roman. Aber schnell wird deutlich, er tötet nicht nur im Frühling, er ist allgegenwärtig und mit ihm der Tod. Das wird dem Leser auf beklemmende Weise deutlich gemacht. Der 21-jährige John Bartle war schon vor dem Kriegseinsatz bei der Army, als es plötzlich ernst wurde.


    „Es war eine ganz gute Zeit gewesen, die Army bot mir die Möglichkeit, abzutauchen. Ich muckte nicht auf und tat, was man mir auftrug. Niemand erwartete viel von mir, und ich verlangte wenig. Ich hatte so gut wie nie einen Gedanken an einen Kriegseinsatz verschwendet, und nun, da er kurz bevorstand, suchte ich vergeblich nach einem Gefühl innerer Dringlichkeit, das den Ereignissen entsprach, die sich in meinem Leben zu entfalten begannen.“


    John Bartle, Protagonist des Romans, kann ohne weiteres als Alter Ego des Autors angesehen werden. Kevin Powers war wie er von 2004 bis 2005 im Irak stationiert. In diesem Roman verarbeitet er seine eigenen Erfahrungen auf literarische Weise. Beeindruckend ist der sprachliche Stil, der durch die Übersetzung ins Deutsche kaum Schaden genommen zu haben scheint. Der Übersetzer Henning Ahrens hat ausgezeichnete Arbeit geleistet. Auf schon fast poetische Weise beschreibt der Autor die Schrecken des Irak-Krieges, die Gluthitze in der Wüste und die Ängste der Soldaten und ihrer Angehörigen. Dies scheint auf den ersten Blick ein Widerspruch zu sein, Kevin Powers beweist aber eindringlich, auch das Grauen hat schöne Worte verdient und wird dadurch nur noch empathischer und bedrückender. Ich kann mich nicht erinnern in den letzten Jahren einen Roman gelesen zu haben, bei dem sich Schönheit und Gräuel so hervorragend ergänzten.


    Der Leser begleitet den Private John Bartle in der Zeit von 2003 bis 2009 und bekommt Einblicke ins Leben und Sterben der us-amerikanischen Kampfeinheit. Aber das Leben ist ein blanker Überlebenskampf und das Sterben ein Verrecken. Powers entreißt dem Irak-Krieg jede Art von Glorifizierung und Mythos, er stellt ihn dar, wie er ist, grauenvoll, brutal, unmenschlich.


    Diese Geschichte erzählt Kevin Powers nicht chronologisch, sondern wechselt zwischen den verschiedenen Zeitebenen. In den Kapiteln, die die Zeit nach Bartles Irakeinsatz betreffen, wird deutlich, dass der Krieg die Soldaten nicht nur physisch, sondern auch psychisch zerstört.


    Kevin Powers hat mit „Die Sonne war der ganze Himmel“ ein beeindruckendes Romandebüt abgeliefert. Er schont den Leser nicht und führt sie sprachgewaltig in die Welt des Krieges, des Tötens und getötet Werdens, der Angst und des Schreckens. Dieser unglaublich intensive Roman hat mich tief berührt und nachhaltig beeindruckt. Dafür gibt es von mir eine unbedingte Leseempfehlung.

  • >>Ich kehrte nach Hause zurück. Doch die Definition dessen, was mein Zuhause war, fiel mir schwer, und noch schwerer fiel es mir, mich innerlich von dem letzten, abgeschirmten Tal in der Wüste zu lösen, in dem ich den besseren Teil meines Selbst zurückgelassen zu haben schien - als eines von unzähligen Sandkörnern.<< (S. 109)


    Karthause hat es gut zusammengefasst, wie der Schreibstil wirkt und manche Stellen dieses Buchs (wie die zitierte) werde ich nicht so schnell vergessen.


    Es fällt mir sehr schwer, eigene und passende Worte zu finden, weil ich dieser bildgewaltigen Sprache einfach keine Beschreibung zukommen lassen kann, das muss man selbst als Leser erleben...


    10 Punkte.