Januar 1945, Krieg und eiszeitkalter Hungerwinter halten auch das holländische Haarlem fest im Griff. Die Familie Stenwijk drängt sich um das spärliche Karbidlicht, spielt "Mensch, ärgere Dich nicht", als draußen sechs Schüsse fallen. Ein Mann liegt erschossen auf der dunklen Straße. Der zwölfjährige Anton muß hilflos beobachten, wie die Nachbarn die Leiche vor das Haus der Stenwijks zerren, aber Antons Bruder Peter bricht die Untätigkeit, rennt hinaus, greift nach der Waffe des Toten - und wird von den rasch eintreffenden Nazi-Häschern überrascht. Anton wird schließlich das einzige Familienmitglied sein, das das Drama überlebt.
Mulischs 1982 erschienener Roman, dessen Verfilmung einen Oscar für den besten ausländischen Film erhielt, erzählt in fünf Episoden - 1945, 1952, 1956, 1966 und 1981 - vom Nachhall dieser Ereignisse, von Mitwisser- und -täterschaft, von Verdrängung und gelebter Geschichte. Anton lebt zwar sein Leben, wird Doktor der Anästhesie, heiratet und bekommt Kinder, aber die Vergangenheit dringt immer wieder in seine Gegenwart ein - denn die Vergangenheit ist nichts hinter uns, genausowenig, wie die Zukunft etwas vor uns ist: Die Zeit hat keine Richtung.
Das Buch trug nicht unerheblich zu Mulischs Ruf bei, und das nicht ohne Grund. Er erzählt beiläufig, fast plaudernd, gleichzeitig direkt und auf eine seltsame Art spröde, ohne Distanziertheit zu entwickeln. Die Vielschichtkeit der Verwicklungen - sowohl innerhalb der Figuren, als auch in der Handlung - erzeugt eine zwingende Dichte, eine zehrende Spannung, entwickelt eine fesselnde Dramatik. Ein verdammt gutes Buch, sicherlich eines der wichtigsten zur Thematik.
(Das Buch ist auch in der SZ-Bibliothek erhältlich.)