Nachtauge - Titus Müller

  • Kurzbeschreibung (Quelle: amazon.de)
    Seit drei Jahren macht der britische Geheimdienst MI5 Jagd auf "Nachtauge". Hinter diesem Codenamen verbirgt sich eine deutsche Spionin, die Schienen und Brücken zerstört und Verfolger kaltblütig umbringt. Jetzt steht sie vor ihrem größten Coup: der Aufdeckung einer womöglich kriegsentscheidenden großen Operation der britischen Luftwaffe. Diese bereitet die Bombardierung der größten deutschen Stauseeanlagen vor. Erstes Ziel: die Möhnetalsperre.
    Hier arbeiten über tausend ukrainische Frauen unter entwürdigenden Bedingungen in einer Munitionsfabrik. Im Lager unterstehen sie dem Befehl von Georg Hartmann. Er gerät unter Druck, weil Gerüchte kursieren, dass er nicht hundertprozentig auf Parteilinie sei. Tatsächlich ist er bei den Arbeiterinnen weit weniger gefürchtet als die brutalen Männer vom Werkschutz. Ahnt Hartmann, dass einige Frauen, unter ihnen auch die ihm sympathische Nadjeschka, einen spektakulären Fluchtversuch planen?


    Meine Meinung
    In „Nachtauge“ gibt es zwei, lange Zeit parallel verlaufende Handlungsstränge, die der Autor geschickt miteinander verknüpft. Lesern, denen die Geschehnisse des 16./17. Mai 1943 im Kreis Soest nicht geläufig sind, erschließt sich erst recht spät der Zusammenhang der beiden Geschichten, so ist Spannung garantiert.


    Vor 100 Jahren wurde die Möhnetalsperre erbaut und vor 70 Jahren von der britischen Luftwaffe bombardiert und zerstört. Die Ereignisse im deutschen Neheim und den verzweifelten Kampf der britischen Spionageabwehr thematisiert Titus Müller in diesem Roman. Sehr bildhaft schildert er das Leben und den Alltag im Lager der ukrainischen Zwangsarbeiterinnen und die Versuche Georg Hartmanns, ihnen das Leben wenigstens ein kleines bisschen zu erleichtern. Er versucht, so unauffällig wie möglich Vorschriften zu umschiffen, schmuggelt Romane russischer Klassiker ins Lager, bittet um größere Essensrationen und bessere medizinische Betreuung. Sein Tun bleibt aber nicht lange unbemerkt. Den Blockwart hat er bereits verärgert, weil er es bisher umgehen konnte, zu spenden. Als dieser in daraufhin denunziert, wurde es auch für Axel Rottländer schwer, seine schützende Hand über den Schwager zu halten. Als dieser sich dann auch noch mit der Ukrainerin in der Öffentlichkeit zeigt, läuft die Gestapo-Maschinerie an. Auch der in England angesiedelte Teil der Romanhandlung um die Jagd auf die kaltblütige deutsche Agentin war durchaus überzeugend. Die Angst vor dem Scheitern der kriegsentscheidenden Operation wurde sehr glaubhaft und nachvollziehbar beschrieben.


    Durch seine gekonnte, der Zeit angemessene Wortwahl und die angenehme sprachliche Gestaltung des Romans bekommt der Leser ein gutes Gefühl für die Zeit. Seine Protagonisten hat Titus Müller sehr facettenreich charakterisiert. Alle hatten Stärken und Schwächen. Ihr Handeln war nachvollziehbar und, was ich ganz besonders schätze, sie machten im Laufe der Handlung eine Entwicklung durch.


    Sowohl die Operation Chastise als auch die Liebesgeschichte von Georg und Nadjeschka haben einen wahren Hintergrund. Letztere wurde sehr gefällig in die Romanhandlung eingefügt und wirkte weder aufgesetzt noch in irgendeiner Weise kitschig, sondern einfach sehr natürlich. Die Angst und Zweifel waren logisch und nachvollziehbar.


    „Nachtauge“ las ich fast an einem Stück. Ich konnte den Roman nicht aus der Hand legen bevor die letzte Seite gelesen war. Er war spannend und hat mich von Anfang bis zum Ende gefesselt. Ich hatte das Gefühl, dem Bericht von Zeitzeugen zu lauschen. In dem Buch sind noch Anmerkungen des Autors zu den historischen Ereignissen und Hintergründen enthalten. Dadurch wird die wirklich spannende Lektüre abgerundet. Ich empfehle diesen Roman sehr gern weiter.


    Über den Autor (Quelle: amazon.de)
    Titus Müller, geboren 1977 in Leipzig, studierte in Berlin Literatur, Geschichtswissenschaft und Publizistik. 1998 begründete er die Literaturzeitschrift "Federwelt". 2002 war er Mitbegründer des Autorenkreises Historischer Roman "Quo vadis". Im gleichen Jahr veröffentlichte er, 24 Jahre jung, seinen ersten Roman: "Der Kalligraph des Bischofs". Es folgten weitere historische Romane wie "Die Brillenmacherin" (2005).Titus Müller wurde mit dem C. S. Lewis- Preis und den Sir Walter-Scott-Preis ausgezeichnet. 2011 erschien im Blessing Verlag sein Roman über den Untergang der Titanic: "Tanz unter Sternen".

  • Toll, Karthause!


    Ich habe das Buch gerade geschenkt bekommen und freu mich nach Deiner mitreissenden Rezension noch viel viel mehr darauf.


    Alles Liebe von Charlie

  • England, 1943. Eric Knowlden muss mit seiner Familie in den Luftschutzbunker fliehen. Auf dem Weg dahin, kommt ihm eine Idee, wie sie Nachtauge – eine deutsche Spionin - fangen könnten. Er dreht um, lässt seine Familie allein. Zusammen mit anderen MI5 macht er Jagd auf Nachtauge und … findet sie. Doch sie ist schneller und ehe Eric es sich versieht, schießt Nachtauge auf ihn und trifft.


    Zeitgleich dreht Georg Hartmann, ein ehemaliger Lehrer, in einer Munitionsfabrik in Neheim als Lagerleiter seine Runden. Eigentlich sollte er zufrieden sein, immerhin hat ihn sein Schwager Axel Rottländer mit diesem Posten vor dem Fronteinsatz bewahrt.
    Georg versucht die Welt auf seine Weise ein klein wenig zu verbessern und vor allem den Frauen in der Munitionsfabrik das Leben zu erleichtern. So schreibt er immer wieder Eingaben für mehr Nahrung und eine bessere Krankenversorgung. Auch versorgt er die Frauen heimlich mit russischer Literatur und Zeitungen aus der Heimat.


    Doch Georg gerät ins Kreuzfeuer. Immer wieder tauchen Gerüchte auf, er sei nicht auf der Parteilinie, spende nicht genug und sei auch sonst zu weich.
    Doch dann kommen neue ukrainische Frauen im Lager an. Ausgerechnet in eine von ihnen verliebt sich Georg und macht sich damit der Blutschande strafbar. Kann diese Liebe bestehen?


    Während dessen bereitet die britische Luftwaffe eine Bombardierung von deutschen Stauseen vor. Allen voran die Möhnetalsperre bei Neheim. Die Zeit läuft …


    In diesem Roman laufen zwei Handlungsstränge parallel. Zum einen die britische Seite, die Jagd auf Nachtauge macht und dabei den Angriff auf die Möhnetalsperre vorbereitet, zum anderen die deutsche Seite, vertreten vor allem durch Georg Hartmann, die dem Leser das Leben in einem Lager nahebringt.


    Der Roman ist daher eine packende Verknüpfung aus Spionagethriller, Tatsachenbericht und Liebesgeschichte.
    Titus Müller hat sich als Anker für seinen Roman die vor 100 Jahren erbaute und vor 70 Jahren zerstörte Möhnetalsperre bei Neheim ausgesucht. Sehr bildlich schildert er das Leben der britischen Spionageabwehr und das Lagerleben in einer Munitionsfabrik.


    Der Roman basiert auf historischen Zeugnissen und der Liebesgeschichte liegen reale Wurzeln zu Grunde. Titus Müller hat sehr intensiv recherchiert und sich nicht nur mit dem Geschehen auseinandergesetzt, sondern auch noch Wissenswertes drum herum in den Roman reingepackt. So erfährt der Leser z.B. einiges über den Funkbetrieb, warum Fanta eine deutsche Erfindung ist und wieso die Spritreserven damals schon knapp waren.
    Der Autor geht sogar noch einen Schritt weiter und passt die Wortwahl und die sprachliche Gestaltung des Romans an die Zeit an. Dadurch wird der Leser gleich nach den ersten Seiten regelrecht in die Kriegszeit von 1943 reinversetzt und erlebt das geschehen praktisch mit.


    Durch die beiden Handlungsstränge, die Dichte des Romans und den Erzählstil fiebert der Leser automatisch für beide Seiten mit. Wird der Angriff gelingen, oder doch kurz vor Ziel sabotiert? Schaffen es Georg und die Zwangsarbeiterin in eine gemeinsame Zukunft? Werden die Bewohner von Neheim überleben, sollte die Talsperre brechen?
    Die Protagonisten sind alle sehr farbig und lebendig dargestellt. Keiner ist überzeichnet oder unglaubwürdig.


    Die Geschichte spielt zum einen in England und zum anderen in Neheim/Deutschland.
    Der Leser hat kaum Gelegenheit in die Geschichte reinzufinden, denn gleich nach den ersten Seiten, beginnt auch schon die Jagd auf Nachtauge und die Zeit rennt den MI5 davon. Immerhin muss die Operation Chastise Erfolg haben. Dieser Spannungsbogen bleibt dem Leser dann bis zum Schluss erhalten. Das offene Ende lässt sogar eine Fortsetzung zu, denn der Krieg ist noch nicht vorbei.


    Im Anhang findet man noch ein Nachwort zum historischen Hintergrund. Hier gibt Titus Müller die Namen des Liebespaares preis, das für seine Liebesgeschichte Vorbild war. Er widmet sich aber auch Agentinnen im zweiten Weltkrieg, fügt Auszüge aus dem Tagebuch des Propagandaministers Joseph Goebbels über die Bombardierung der Talsperren ein, geht auf Neheim und das „Russinnenlager“ ein, erwähnt die Schulen, Lehrer und Lehrpläne in Nazideutschland sowie einige Auszüge aus den Schulheften von Elfriede H. und sagt noch einige Worte zu den Rotationsbomben und das 617. Geschwader der Royal Air Force.
    Ein Sachliteraturverzeichnis und einige Dankesworte schließen das Buch ab.



    Fazit:
    Ein packender Tatsachenroman, der einen Spionagethriller, einen historischen Roman und eine Liebesgeschichte in sich zu vereinen weiß.

  • :wow Zwei so ausführliche, tolle Rezensionen, da brauche ich zum Inhalt ja kaum noch etwas zu sagen.


    Ich habe dieses Buch gerade in einer vom Autor engagiert begleiteten Leserunde gelesen. Es hat mich sowohl vom Unterhaltungswert als auch vom Informationsgehalt her sehr beeindruckt. Dass Titus Müller einen Blick für das Besondere hat und auch sehr bildhaft zu erzählen vermag, wusste ich aus seinen früheren historischen Romanen schon und fand es hier erneut bestätigt.
    Auch das Äußere und das Drumherum sagten mir wieder einmal zu:
    Schönes Cover, wahnsinnig tolles Bild im hinteren Buchteil und ein aussagekräftiges Nachwort mit vielen Hintergrundinformationen, wie hier ja bereits beschrieben wurde.
    Kleines Manko: Es befremdete mich ein wenig, dass die immerhin titelgebende Spionin "Nachtauge" nach den ersten 40 Seiten im wahrsten Sinne des Wortes verschwand und erst in der zweiten Buchhälfte wieder auftrat.
    Dieses kleine Manko wurde aber durch die Gesamtpräsenz der Erzählung mehr als ausgeglichen, die mir sehr viel Nachdenkanregungen bietet.
    Ein Buch, das ich nicht so schnell "verdaut" haben werde, das ich jedem mit einem Faible für in Geschichten verpackte Geschichte nur allerwärmstens ans Herz legen kann und dem ich *10 Eulenpunkte* gebe.
    :wave

    “Lieblose Kritik ist ein Schwert, das scheinbar den anderen, in Wirklichkeit aber den eigenen Herrn verstümmelt.”Christian Morgenstern (1871 – 1914)

  • "Niemand kommt durch den Krieg, ohne schuldig zu werden"
    Zitat in diesem Buch


    Nahezu sämtliche deutsche Agenten die von den Nazis im Zweiten Weltkrieg in England zwecks Spionage eingeschleust wurden konnten enttarnt werden. Entweder wurden sie verhaftet oder konnten "umgedreht" werden und wurden zu wichtigen Informanten für das britische Reich und sendeten absichtlich gefälschte Berichte an ihre Deutsche Kommandostelle. Eine versierte Spionin, die auf den Decknamen "Nachtauge" getauft wurde, konnte vom Geheimdienst MI5 trotz intensiver Fahndung nie gefangen genommen werden. Man weiss um ihre Anwesenheit und Gefährlichkeit aber sie konnte sich dem Zugriff immer entziehen. Wie ein Phantom taucht sie hier auf und verschwindet dort wieder auf unvorhersehbare Weise. Nicht mal ein vage Personenbeschreibung liegt vor geschweige denn ein Foto. So funkt sie regelmässig wo London am besten Bombardiert werden kann oder Infos zu neuester Technik der englischen Flugwaffe oder verursacht Sabotageakte an/in öffentlichen Räumen.


    Der Handlungsstrang um Nachtauge nimmt aber deutlich weniger Raum ein (Pi mal Daumen geschätzt ein Viertel) als die Erzählung um das sich sachte anbahnende Liebesverhältnis zwischen Georg, dem Leiter einer Munitionsfabrik und Nadjeschka, einer ukrainischen Zwangsarbeiterin. Im Jahre 1943 eigentlich eine unmögliche Romanze aber wo die Liebe hinfällt kann sie an den widrigsten Orten und Umständen wachsen. Natürlich bleibt diese Tändelei nicht unbemerkt es gilt heftige Konflikte zu überstehen. Wie im Anhang zu entnehmen ist basiert der Roman auf einer wahren Geschichte. Genauso real ist der Stausee und die Möhnetalsperre in Nordrhein-Westfahlen die bei der "Operation Chastise" der Alliierten eine besondere Rolle spielt… mehr verrate ich der Spannung wegen nicht.


    Titus Müller zeigt sich in diesem eindrücklichen Roman als grosser Erzähler. Er schafft es wertfrei über die extreme Zeit des Krieges, der Nazis und Gestapo zu berichten. Es geht um (verratene) Ideale und ums Bewahren der Menschlichkeit in einer grausamen Zeit. Es geht darum frei zu atmen und sich im Spiegel anschauen zu können ohne den nagenden Gedanken und der Zweifel an den körperlichen und seelischen Qualen die man anderen zufügen muss um das eigene Leben zu retten. Ein lesenswertes Buch für das ich acht Eulenpunkte vergebe.

  • Das Buch steht logischerweise schon lange auf meiner Wunschliste, schließlich spielt es an meinem Wohnort. ;) Vor ein paar Tagen ist das Programm zur 100Jahr-Feier des Möhnesee gestartet. Im Moment ist die Staumauer gerade unglaublich schön beleuchtet und es läuft nach Einbruch der Dunkelheit ein Video das auf die Staumauer projiziert wird. Es gibt auch Infos rund um die Bombardierung vor 70 Jahren. Einige der britischen Flieger, die an dem Angriff beteiligt waren, werden wohl auch erwartet.


    Hier gibt es ein paar eindrucksvolle Bilder der beleuchteten Staumauer. klick

  • Zweiter Weltkrieg, der britische Geheimdienst MI5 ist auf der Jagd nach "Nachtauge", einer kaltblütigen deutschen Spionin. Während in England die Aufdeckung einer möglicherweise kriegsentscheidenden Aktion der britischen Luftwaffe auf dem Spiel steht, wird der Leser in Deutschland in die Geschichte rund um ein Lager, in dem ukrainische Frauen unter schrecklichen Bedingungen leben und in Munitionsfabriken arbeiten, geführt. Georg Hartmann ist der Kommandeur dieses Lagers, Nadjeschka eine der Insassinnen, die ihre Flucht plant. Georg scheint nicht abgeneigt, ihr dabei zu helfen.


    Titus Müller hat hier einen akribisch recherchierten, überaus spannenden Tatsachenroman vorgelegt, der vor dem Hintergrund des Angriffs der britischen Luftwaffe auf die Möhnetalsperre spielt. Es ist aber kein Spionagethriller, wie man vermuten könnte, sondern ein Kriegsroman, in dessen Zentrum eher eine Liebesgeschichte steht, die mit den typischen Schwierigkeiten der Zeit des Nationalsozialismus und des Krieges kämpft.


    Mir gefällt Titus Müllers Erzählstil unheimlich gut. Durch die sprachliche Gestaltung und die atmosphärische Dichte ist man als Leser mitten im Geschehen und fiebert mit den Protagonisten. Ganz stark sind die Szenen in England zu Beginn des Buches sowie die Szenen nach dem Angriff auf die Talsperre.


    Von mir gibt es 9 von 10 Punkten; den Punktabzug gab es von mir für die häufung "typischer" NS-Zeit-Charaktere auf engstem Raum in Deutschland. Da kam mir das eine oder andere Klischee zu viel zum Einsatz, aber das tut dem Gesamtwerk kaum einen Abbruch.

    With freedom, books, flowers and the moon, who could not be happy? - Oscar Wilde


    :lesend Rock My World - Christine Thomas

  • „Nachtauge“ ist ein Roman wie ich ihn noch nicht gelesen habe. Ein Roman der unter die Haut geht, zutiefst berührt ohne jemals unangemessen zu sein.


    Titus Müller erzählt auf eine unnachahmliche Weise die Geschichte der Agentin „Nachtauge“, die für die Deutschen zur Zeit des zweiten Weltkriegs in England spioniert, um ihre Landsleute zu warnen. Eric ist der Super-Agentin auf den Fersen und versucht sie aufzuhalten, um die englischen Angriffe auf deutsche Städte nicht zu gefährden. Ein Katz-und-Maus-Spiel beginnt: Welche Informationen kann Nachtauge noch weitergeben? Was weiß sie wirklich über die Operationen? Wer ist ihr Informant?


    Der zweite Erzählstrang der Geschichte spielt in Deutschland, genauer gesagt in Neheim. Georg ist Lagerverwalter eines Lagers für osteuropäische Frauen, die verschleppt worden sind, um in einer Munitionsfabrik zu arbeiten. Dort verliebt er sich in Nadjeschka, Nadjeschka ist klug und will keine stupide Arbeit verrichten, ihr ist es ein Gräuel Munition herzustellen, die vielleicht ihre Landleute töten könnte. Die Liebe der Beiden steht unter keinem guten Stern, denn auf „Rassenschande“ steht der Tod.


    Im Fokus von all dem steht der Angriff der englischen Luftwaffe auf die Möhnetalsperre. Welche Auswirkung wird dies auf das Leben der handelnden Figuren haben? Diese Frage ist es, die den Leser antreibt, Zeile für Zeile regelrecht zu inhalieren und in sich aufzunehmen.


    Besonders bewegt hat mich an diesem Roman die Stimmung in der Geschichte. Titus Müller hat seine Erzählweise auf erstaunliche Weise dem Plot angepasst, kein Wort zu viel, kein Wort zu wenig. Soviel wie nötig, sowenig wie möglich. Die unterschiedlichen Standpunkte der Protagonisten werden sehr gut herausgearbeitet, ohne jemals eine Bewertung dessen vorzunehmen, was sie tun oder sagen.


    Das Buch ist teilweise beklemmend und man hat das Gefühl, dass sich einem ein Kloß im Hals bildet. Aber der zweite Weltkrieg hat auch seine menschlichen Seiten gehabt und das in diesem Roman ebenfalls zu erfahren, tut beim Lesen ungemein gut.


    Ein tief beeindruckender Roman, der einen aufgewühlt und fix und fertig zurücklässt. Ein Roman der einem sehr plastisch die Situationen vor Augen führt, in denen die Menschen in den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts ausgesetzt waren. Aber gleichzeitig ist dieser Roman auch ein Apell, dass man auch heute noch darüber lesen, schreiben und sprechen sollte, denn kein Mensch hat es verdient so behandelt zu werden, wie einige Menschen damals behandelt worden sind.

  • Wenn man einen Roman liest, der in einer anderen Zeit spielt, und man fühlt sich so richtig in diese Zeit hineinversetzt, dann hat der Autor es ganz richtig beschrieben ;-)
    Die Handlung spielt in der dunkelsten Zeit unserer Geschichte und verknüpft einen Spionagethriller mit einer Liebesgeschichte. Beides basierend auf Ereignissen bzw Personen, die es so ähnlich wirklich gegeben hat.


    Da wäre zum Einen der MI5-Agent Eric Knowlden, der in London nach einer gefährlichen deutschen Spionin sucht, die nur als Nachtauge bekannt ist. Für ihn ist es ein Wettlauf mit der Zeit, denn es geht um Geheimisse, die kriegsentscheidend sein könnten.


    In Nazi-Deutschland verliebt sich der Lageraufseher Georg Hartmann in die Unkrainerin Nadjeschka Kosak, die in seinem Lager untergebracht ist. Auf eine solche ,Verfehlung' stand damals die Todesstrafe und sogleich sind die Beiden von Leuten umgeben, die sie ans Messer liefern wollen. Denn in dieser großenteils unmenschlichen Zeit macht sich Georg eines weiteren Verbrechens schuldig: Er bewahrt sich seine Menschlichkeit und versucht, es den Arbeiterinnen in seinem Lager so wenig schwer wie möglich zu machen. So etwas ruft natürlich auch gleich viele regimetreue Leute auf den Plan, die sich mit Denunziation besser stellen wollen.


    Am Ende laufen die beiden Handlungsstränge mit der Bombardierung der Möhnetalsperre zusammen.


    Es ist ein wirklich spannendes Buch! Sei es nun in England, wo sich die Suche nach Nachtauge als nervenaufreibend gestaltet, weil die Frau mit wirklich allen Wassern gewaschen zu sein scheint.
    Oder sei es in Deutschland, wo sich keiner wirklich sicher sein konnte, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt - oder der eigenen Familie. Wo das, was wir heute als schiere Menschlichkeit als selbstverständlich hinnehmen, überall Infrage stand.


    Und es ist auch ein Buch, das einen nachdenklich zurück läßt und hoffend, daß es solche Zeiten hier nie wieder geben wird!

  • Der Roman geht unter die Haut. Das liegt nicht so sehr an der spannenden Handlung, sondern an der Lebendigkeit der Personen. Titus Müller sorgt dafür, dass man im April/Mai 1943 am Leben im Nazi-Deutschland und am Kriegsgeschehen teilnimmt und nicht nur einfach von Außen beobachtet. Man fiebert richtig mit, dass Lagerleiter Georg nichts passiert, wenn er nach Dortmund zitiert wird, weil ihn der Blockwart wegen seiner mangelnden Spendenbereitschaft verpfiffen hat. Mit jedem Satz, den ein Nazi-Funktionär, Offizier oder Gestapo-Mitarbeiter spricht, wird beim Lesen klar, dass jeder jederzeit aus fadenscheinigen Gründen verhaftet werden könnte. Und noch schlimmer: viele Leute werden verschleppt, z.B. der Pfarrer, weil er zu viel Humor hat. Am Schlimmsten fand ich den Hinweis der AOK, dass die Lagerinsassinnen nicht krankenversichert, sondern krankenversorgt sind und Erkrankte ohne Aussicht auf Heilung “… zum Sterben …” zurückgeschickt wurden. Die Wochenrationen der Arbeiterinnen erinnern mehr an eine strikte Diät als an Ernährung bei Schwerstarbeit.


    So richtig ans Grübeln gebracht haben mich die Witze wie “Lügen haben ein kurzes Bein.” oder “Was ist der Unterschied zwischen Christus und Hitler? - Bei Christus ist einer für viele gestorben.” Anfangs habe ich ja lachen müssen. Je länger ich aber darüber nachgedacht habe, desto klarer konnte ich die Verzweiflung der Menschen sehen. Und genau hier, bei den hervorgerufenen Emotionen, geht Titus Müllers Roman “Nachtauge” weit über eine Dokumentation oder über ein Geschichtsbuch hinaus. Und ganz nebenbei kann man lernen, dass im Jahr 1943 Nuss und Zitrone als neue Eissorten nach Deutschland gekommen sind und dass Fanta erfunden wurde, weil für Cola Zutaten gefehlt haben. Das funktioniert, weil das Buch in den historischen Details hervorragend recherchiert ist.


    Mit Nachtauge hat Titus Müller einen Roman geschrieben, der den Leser in die Zeit hineinversetzt und ganz tief emotional aufrührt - ein echtes Meisterwerk.

  • Ich hatte von Klappentext und Titel her etwas anderes von dem Buch erwartet, mehr Spoinagethriller als Liebesgeschichte, die Geschehnisse in Deutschland um Georg und Nadjeschka stehen doch sehr im Vordergrund.
    Gestört hat mich das während des Lesens aber in keinster Weise, das Buch hatte mich schnell total gepackt und emotional tief bewegt.
    Die Ausgestaltung der einzelnen Figuren hat mir besonders gut gefallen, selbst die typischen Nazifunktiönare fand ich nicht klischee-belastet.
    Von mir gibt es völlig begeisterte 10 Punkte :anbet

  • Ich habe das Buch auch in der Leserunde gelesen und bin sehr hin- und hergerissen. Ich habe vor dem Lesen des Buchs die Rezensionen nicht gelesen, weil mir immer schon zu viel verraten wird, einzig und allein die Beschreibung bei Amazon kannte ich.


    Aus diesem Grund - und auch aufgrund des Titels - habe ich doch ein etwas anderes Buch erwartet, so wie es Zwergin schon geschrieben hat. Was für mich als klare Erwartung an das Buch galt: Es geht hauptsächlich um Spionage, um Nachtauge, um den MI5. Ich hatte mich gefreut, dass es sich hier um ein Buch handelt, das sowohl mir als auch dem Herrn des Hauses Spaß macht.


    Was ich bekommen habe, ist definitiv kein schlechtes Buch, aber ein "anderes". Die Geschichte um Georg und die Lagerinsassin Nadjeschka nimmt meiner Ansicht nach den Hauptteil der Erzählung ein, erst nach gefühlten Ewigkeiten kommt wieder die titelgebende Story in den Fokus. Das fand ich mehr als schade und ist definitiv ein Grund, warum das Buch nach meinem Lesen nicht auf dem Nachttisch des Gatten landet - denn ihm ist es auf jeden Fall zu viel "Romanze". Auch wenn die verdammt gut geschrieben ist und die Erzählungen von Titus Müller mehr als packend sind. Ich hatte stets das Gefühl, dass nicht nur ein Film sondern ein ganzes 3D-Kino vor meinen Augen ablief, denn die Sprache war einfach und gut verständlich, aber nie billig, immer so, dass die Anschlüsse gut passten und ich mich nie verloren fühlte, auch wenn die Handlung dann einmal zu einem anderen Erzählstrang sprang.


    Was noch ein weiterer Kritikpunkt ist - aber das kam eben auch nur aus der Erzählrunde heraus und deswegen gibts dafür keinen Punktabzug: Titus sagte, dass es in einer früheren Fassung des Skripts Datumsangaben mit zu den Kapiteln gab. Ich hätte dies gut gefunden, wenn das beibehalten worden wäre und man sich an diesen hätte orientieren können. Wenn es schon auf einer wahren Begebenheit basiert, auf die alles hinausläuft, dann finde ich es schon interessant, wie (und wann) sich was in der Geschichte entwickelt.


    Da ich aber wie gesagt ein komplett anderes Buch erwartet habe, als ich dann vor mir hatte, gibts 7 Punkte - denn es ist durchaus gut, man sollte nur wissen, was man eben bekommt :-)

  • Meine Meinung:
    Titus Müller ist ein meisterhafter Erzähler. Schon nach wenigen Sätzen war ich von der Geschichte gefangen genommen, sofort konnte ich in die Zeit inmitten des 2. Weltkrieges eintauchen. Eine echte Herausforderung, der es gilt, sich während des Lesens zu stellen.
    Im Vordergrund der Geschichte stehen für mich die Figuren, die der Autor aus unterschiedlichen Perspektiven beschreibt. Sie erhalten dadurch Kontur und ein Gesicht, ich konnte mich in sie hineinversetzen, was oftmals ein beklemmendes Gefühl in mir hervorgerufen hat. Während des Lesens beschäftigten mich die Fragen: Wo hätte ich mich in dieser Zeit positioniert? Auf welcher Seite hätte ich gestanden? Wie mutig oder feige oder angepasst wäre ich gewesen?


    Besonders fasziniert hat mich die Geschichte von Nadjeschka und Georg.
    Nadjeschka kommt als Zwangsarbeiterin in das Gefangenenlager, das Georg während des Krieges leitet. Dieser war vor Kriegsbeginn leidenschaftlicher Lehrer und sein Interesse für die Menschen um ihn herum ist ungebrochen.
    Nadjeschka erweckt gleich bei ihrer Ankunft im Lager Georgs Interesse. Keineswegs scheu, wagt sie es, Fragen zu stellen und sticht somit aus der Masse heraus. Georg verliebt sich in sie und hegt die große Hoffnung, dass ihre Liebe sich einen Weg durch das Unmögliche bahnt.
    Das Aufkeimen ihrer Liebe bleibt natürlich nicht unbeobachtet. Georgs Schwager Axel ist bei der Gestapo, die damit beschäftigt ist, Jagd auf einen Mann zu machen, der regimefeindliche Witze in Streichholzschachteln verpackt und unter das Volk bringt.
    Auch Blockwart Hans beobachtet Georg scharf und hat seine Augen überall. Lageraufseher Plöger lässt ebenfalls keine Gelegenheit aus, die Arbeiterinnen zu demütigen und zu züchtigen.
    Der zweite Handlungsstrang führt nach England. Dort wird von der britischen Luftwaffe die „Operation Chastise“ vorbereitet, deren erklärtes Ziel es ist, die Möhnetalsperre anzugreifen und somit den Munitionsnachschub der Deutschen empfindlich zu treffen.
    Die Spionin „Nachtauge“ versucht mit allen Mitteln, das Vorhaben der Briten zu sabotieren. Ein spannender Wettlauf mit der Zeit beginnt.


    Titus Müller gelingt es in herausragender Weise, aus der jeweiligen Sicht des Protagonisten zu schreiben und den Leser durch dessen Brille schauen zu lassen. Ich konnte mich in jede Figur einfühlen und die Gedankengänge verstehen. Die Lebendigkeit der Figuren hat mich vollkommen beim Lesen gefangen genommen und ein ganzes Spektrum von unterschiedlichen Gefühlen freigesetzt.
    Titus Müller lässt die sehr gegensätzlichen Figuren nebeneinander stehen und handeln und nimmt keinerlei Bewertung vor. Das zeigt auf ganz nachdrückliche Weise, wie perfide und grauenvoll das Terrorregime der Nazis funktioniert hat. Denn:
    „Niemand kommt durch den Krieg, ohne schuldig zu werden.“ (S. 139)
    Das ist für mich eine Kernaussage des Buches.


    Mich hat das Buch fast nicht mehr losgelassen. Auch nach dem Ende der Lektüre habe ich es jetzt schon mehrfach in die Hand genommen und einzelne Passagen nachgelesen.
    Ich kann das Buch nur empfehlen und wünsche ihm viele Leser.

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin

  • Das
    Hörbuch
    wird toll gelesen und ist eine Alternative für die Menschen, die die Geschichte auf den Ohren genießen wollen.


    Ich habe meine Eindrücke im Hörbuchthread geposted, damit auch das Hörbuch viele Hörer findet, es hat es verdient, Autor und Sprecher haben tolle Arbeit geleistet.

    Binchen
    :write
    Kein Lesen ist der Mühe wert, wenn es nicht unterhält. (William Somerset Maugham) ;-)

  • Im zweiten Weltkrieg macht der britische Geheimdienst seit mehreren Jahren Jagd auf eine deutsche Spionin (Nachtauge). Sie ist sehr gerissen und kaltblütig. Jetzt steht sie kurz vor einer erfolgreichen Aufdeckung einer großen Operation der britischen Luftwaffe.


    In Deutschland (Neheim) arbeiten über tausend ukrainische Frauen unter entwürdigenden Bedingungen in einer Munitionsfabrik. Im Lager unterstehen sie dem Befehl von Georg Hartmann. Er war früher Lehrer und kann der neuen Ideologie nichts abgewinnen. Den Job hat er durch seinen Schwager (der bei der Gestapo arbeitet) bekommen, um nicht zur Front zu müssen. Als Nadjeschka ins Lager kommt, verliebt er sich in sie.



    Beide Handlungsverläufe fand ich spannend geschrieben. Ich bin gleich in die damalige Zeit abgetaucht. Die Handlung um Nachtauge hätte meiner Meinung nach ruhig mehr Raum einnehmen können. Dafür fand ich die Handlung um Georg und Nadjeschka sehr ausführlich beschrieben. Erschreckend fand ich wie kaltblütig die Menschen damals waren um teilweise ihr eigenes Leben zu retten. Sehr interessant fand ich dagegen, wie erfinderisch die Menschen waren, da es viele Dinge nicht zu kaufen gab.


    Ich vergebe 9 Punkte.

  • „Nachtauge“ war mein erstes Buch von Titus Müller und der Autor hat mich von der ersten Seite an von seiner Erzählkunst überzeugt.


    Das Buch ist kein wirklicher „Spionageroman“, nur ein Teil der Erzählung handelt tatsächlich von der Spionin Nachtauge. Im Vordergrund steht in erster Linie die Romanze zwischen Nadjeschka, der ukrainischen Zwangsarbeiterin, und Georg Hartmann, dem deutschen Lagerleiter. Ihre Geschichte ist aber nicht minder spannend, zumal es ein reales Vorbild gibt.


    Titus Müller lässt in seinem Buch Geschichte lebendig werden. Die Hintergründe und Fakten sind bis ins kleinste Detail recherchiert und geschickt in die Erzählung eingeflochten (so wusste ich zum Beispiel bis dato nicht, dass Fanta eine deutsche Erfindung ist, um nur mal ein Beispiel zu nennen – natürlich ohne etwas vom Inhalt vorweg zu nehmen ;-)). Aber auch das Lagerleben mit allen Ängsten und Empfindungen der dort zusammen gepferchten Frauen wird nachfühlbar beschrieben.


    Das Lesen dieses Buches war im wahrsten Sinne des Wortes ein Lesegenuss, und ich bin froh, doch noch kurzfristig in die Leserunde eingestiegen zu sein. Mir sind die Figuren schnell ans Herz gewachsen und ich habe mit allen regelrecht mitgefiebert, egal ob es nun um den Erzählstrang Nadjeschka/Georg oder Nachtauge/Eric ging – jeder Teil für sich genommen war das Lesen wert. Unterstützt wurde dies natürlich auch durch die großartige Begleitung der Leserunde durch den Autor.


    Von mir gibt’s für das Buch also fast die volle Punktzahl. Einen Punktabzug gebe ich deshalb, weil Nachtauge nach ihrem ersten Erscheinen im Buch so lange wieder „von der Bildfläche“ verschwindet (was ich – ausgehend vom Titel – so nicht erwartet hatte).

  • Vorgestern war Titus Müller in Soest und hat aus seinem Buch gelesen. Ich hab jetzt ein signiertes Exemplar und heute angefangen, zu lesen.


    Titus hat nicht nur das Publikum im Sturm erobert, sondern auch jede Menge Informationen rund um die Entstehungsgeschichte und interessante Details aus dem Spionagealltag erzählt und so ganz nebenbei erwähnt, dass ein paar Nachfahren der Protagonisten auch im Publikum sitzen. Das hat nicht nur sehr neugierig auf das Buch gemacht, sondern war auch überaus interessant. Danke Titus, es war ein toller Abend! :wave


    Es ist schon ein bisschen komisch, über die 70 Jahre zurückliegenden Ereignisse zu lesen, während der See nur 500 m entfernt liegt und an diesem Frühsommertag so ganz andere Assoziationen erweckt. Ich bin gespannt, was mich noch erwartet.