Dieses kleine Buch fiel mir dank der perfiden Marketingstrategie von amazon in die Hände, ständig irgendwelches Zeug zu empfehlen, was einen sonst noch so interessieren könnte. Nun ja, es hat mich interessiert, zumal mir schon im Vorwort versprochen wurde, dass es sich bei diesem Buch nicht um einen „Ruinen-Porno“ handeln würde.
Katja Kullmann erzählt also in dieser Reportage von ihrer Reise ins Herz des Molochs, in die „miserabelste Stadt der USA“, die nördlichste Exklave der Dritten Welt und findet das erste Klischee gleich bestätigt: ohne Auto ist man hier aufgeschmissen, was besonders verheerend ist, weil ein Großteil der Bevölkerung sich gar kein Auto leisten kann.
Kullmann allerdings hat einen Mietwagen, auch wenn es ein ziemlich peinlicher Hyundai in lila-metallic ist, und mit dem versucht sie zunächst ein mal, die Größe Detroits zu erfassen. Auch aus dieser Perspektive wirkt die Stadt erst mal wie aus dem Lehrbuch der Shrinking City: Nach dem glitzernden Business-Center, welches freilich nach Büroschluss nahezu menschenleer ist, folgt ein einigermaßen intaktes Universitätsviertel mit studentischer Infrastruktur. Aber dann dann beginnt er schon, der Ruinenporno: verfallene Eigenheimsiedlungen, in denen Grüppchen schwarzer Jugendlicher herumlungern und erst viel weiter draußen wird die Gegend ordentlicher, schöner, weißer.
Doch nun folgt sie ihren europäischen Instinkten und beginnt, entgegen aller Warnungen, Detroit zu Fuß zu erkunden. Und stellt fest: die Frauen im Liquorstore, die sich hier mittels Lebensmittelmarken das Nötigste besorgen, sind unglaublich freundlich. Die jugendlichen Cliquen sind einfach Jungs, die sich auf der Straße treffen. Die verlassenen Häuser sind zwar verlassen, aber keine Ruinen eines innerstädtischen Krieges.
Das ist das Spannende an Kullmanns Bericht:die Kulissen treten zurück und plötzlich wird ein Gemeinwesen sichtbar, dass auch ohne Staat einigermaßen funktioniert. Menschen, die sich ihre Menschlichkeit bewahrt haben, ja auch solche, die hier genau so leben, wie sie das gerne möchten, nicht als Gefangene der Umstände, sondern weil sie diese Stadt lieben. Detroit ist viel mehr als eine Ansammlung mehr oder weniger verrotteter Gebäude, sondern lebt von den Menschen, die dort leben.
Natürlich, auch in Detroit lauert die Gentrifizierungsfalle, Hipster haben die Stadt schon für sich entdeckt, Clubs entstehen und Szeneläden, die mit ziemlicher Sicherheit kein Einheimischer braucht. Aber Detroit steht da noch ganz am Anfang, noch ist es eine aufregende Stadt, die sich immer wieder neu erfindet. Mit diesem kleinen Buch gelingt es Kullmann, Detroit und seinen Bewohnern ein Gesicht zu geben.
Übrigens hat mir dieses Buch eine sehr schöne Einheit für das Ausmaß der Gentrifizierung einer Stadt geliefert: die Anzahl an Subway-Filialen.