Das Tagebuch-Thomas Franke

  • Während Ausgrabungen im Château de Chamilot in Frankreich findet der Archäologe Leon Weber ein Tagebuch, dass der jungen Angelique gehörte, die vor mehr als zwei Jahrhunderten gelebt hat. Neugierig beginnt Leon die Aufzeichnungen des adeligen Mädchens zu lesen, deren Familie vom Pech verfolgt zu sein scheint. Als Leon das Lesen am nächsten Tag fortsetzen möchte, ist da Tagebuch unauffindbar. Wider erwartend taucht es kurze Zeit später erneut auf. Doch es enthält nicht mehr die alten Einträge. Stattdessen befinden sich auf den alten Seiten neue Sätze...


    Zum Lesen motiviert hat mich das Buch vor allem wegen seines tollen, geheimnisvollen Covers. Das Surreale, dass das Cover vermittelt, spiegelt sich auch im Roman wider. Schnell steht der Leser mit Leon gemeinsam vor dem Rätsel, wie und warum sich ein Tagebuch selbstständig machen kann. Tatsächlich bleibt die Geschichte bis kurz vor dem Ende unerklärbar. Innerhalb dieser Fiktion bleibt die Handlung jedoch logisch und nachvollziehbar, so dass man dem Plot leicht folgen kann.
    Obwohl mir sowohl die Geschichte von Leon, als auch die Tagebuch-Geschichte von Angelique gefallen haben, habe ich eine Weile gebraucht, bis ich in das Buch hineingefunden habe. Vielleicht lag es daran, dass das Buch sehr sachlich geschriebener ist und diesmal meine Gefühle auf eine andere Art und Weise angesprochen hat.
    Auch der Glauben wird im Buch thematisiert. Leon, selber Agnostiker, denkt beim Lesen über Angelique und ihren Glauben nach. Mit einem Nachbarn führt er ein philosophisches, auf mich sehr beeindruckendes Gespräch über die Frage, woran ein Mensch glauben kann. Von diesen Gesprächen hätte ich mir weitere gewünscht. Ein Satz prägt das Buch besonders: „All unser Beten muss die Antwort auf eine einzige Frage sein: Vertraust du mir?“


    Fazit: Ein außergewöhnlicher Roman mit ein bisschen Fantasie, ein bisschen Liebe und vielen geschichtlichen Aspekten. Sehr empfehlenswert!

  • Wir versuchen, die Schatten an der Wand zu deuten, und wissen nichts von dem Licht, das sie hervorruft. (Seite 288)



    Über den Autor (Quelle: Verlagsangabe)


    Thomas Franke ist Sozialpädagoge und bei einem sozialen Träger für Menschen mit Behinderung tätig. In seiner Freizeit schreibt er gern witzige Geschichten und Fantasy-Romane. Er lebt mit Frau und seinen beiden Kindern in Berlin.


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    Meine Meinung


    Das Buch macht mir die Rezi nicht einfach. Um das, was mir dazu einfällt, zu schreiben, müßte ich ziemlich viel vom Inhalt erwähnen. Da ein Teil davon recht spät im Buch geschieht, verbietet sich das. Wie also sich so einem Buch nähern?


    Großartig, gewaltig, vielschichtig - unbedingt lesen. Das ist die kürzestmögliche Form, die mir für eine Rezi einfällt, ohne etwas über den Inhalt bzw. die Handlung zu verraten. Doch das wäre denn doch etwas wenig.


    Der Prolog kann abschreckend wirken, weshalb die Notwendigkeit desselben sich mir nicht ganz erschlossen hat. Zumal die betreffende Tagebuchstelle recht bald im Rahmen der eigentlichen Handlung (wieder) auftaucht. Das Ganze beginnt relativ harmlos mit archäologischen Ausgrabungen, die beweisen sollen, daß es einen historischen Riothamus gab, der dem Artus-Mythos zugrunde liegt.* Die Geldgeber wollen Ergebnisse sehen, was den Archäologen Leon und sein Team unter Druck setzt; die Nachbarn sind nicht begeistert, daß ein deutsches Grabungsteam herumschnüffelt. Und dann taucht dieses seltsame Tagebuch aus der Zeit der Französischen Revolution auf und zieht Leon mehr und mehr in seinen Bann.


    Es ist dem Autor gelungen, einen äußerst vielschichtigen Roman, der sich keinem Genre direkt zuordnen läßt, zu schreiben. Es gibt sehr spannende Stellen, aber auch ein starkes historisches Moment um den Aufstand in der Vendèe. Und es gibt ein sehr phantastisches Element. All das entwickelt sich völlig logisch und folgerichtig. Die Zeit ist eines der Themen des Buches, und es wird auch bis kurz vor Ende dauern, bis alle ihre Fragen und Rätsel gelöst sind.


    Auch wenn die Handlung ab einem bestimmten Punkt eine von mir erhoffte Wendung nahm, ist es dem Autor gelungen, mich gegen Ende nochmals völlig zu überrumpeln. Obwohl ich überraschende Wendungen eigentlich nicht so sehr schätze, so war das hier doch sehr glaubwürdig und hat im Nachhinein vieles erklärt, was bis dahin etwas seltsam oder unerklärlich wirken mochte.


    Das Buch spielt auf zwei Zeitebenen, einer heutigen und der im ausgehenden 18. Jahrhundert. Dabei erfahren wir von schlimmen (historischen) Ereignissen im Verlauf der Französischen Revolution, nämlich dem Aufstand in der Vendée, den manche Historiker unserer Tage als „Genozid“ bezeichnen. Da kam mir schon die Frage in den Sinn, wie ich einen Staat, eine Revolution, ein Ideengebäude („Freiheit - Gleichheit - Brüderlichkeit“) ernst nehmen kann, wenn das auf einem solchen brutalen und blutigen Fundament errichtet wurde? Übrigens hat es der Autor verstanden, diese schlimmen Ereignisse mit einer gewissen Distanz zu beschreiben, so daß man zwar weiß, was passiert, von Details aber weitgehend verschont bleibt.


    Die Figuren konnte ich mir in ihrer jeweiligen Zeit gut vorstellen, sie erwachten in meinem Kopf zum Leben und ließen mich mitfiebern, meist aber mitleiden, wenn es um die Geschichte von Angélique, der Tagebuchschreiberin, ging. Ich habe mich sowohl in der Gegenwart wie auch der Vergangenheit zuhause gefühlt, dem Autor ist es sehr gut gelungen, beide Zeiten/Welten zum Leben zu erwecken. Lediglich eine etwas eindeutigere graphische Trennung der Zeitebenen im Buch hätte ich mir gewünscht. Und eine Übersichtskarte wäre nicht schlecht gewesen.


    Interessant auch die Konstellation: Leon ist Agnostiker, Mathèo, der ihm als einziger hilft, ein knurriger alter Bauer, der früher einmal Franziskaner war, und Angélique zweifelt eher am Menschen als an ihrem Glauben an Gott. Zwischen diesen entspinnen sich immer wieder Gespräche, sei es persönlich, sei es durch das Tagebuch, in denen es um Glaubensfragen ganz allgemein geht, aber auch um die Zeit und die Schriften des hl. Augustinus. Dabei sind diese Gespräche dermaßen gut in die Handlung integriert und ergeben sich mit einer Zwangsläufigkeit, daß es zu keiner Zeit aufgesetzt oder unnatürlich wirkt. Es ist jeweils ein Gedankenaustausch, wie er tatsächlich stattfinden könnte, und dem Buch zusätzliche Tiefe verleiht.


    „All unser Beten muss die Antwort auf eine einzige Frage sein: vertraust du mir?“, so heißt es auf Seite 192. Dieses „Vertraust du mir?“ wird in der Folge noch öfters im Buch vorkommen und zu einem der Kernthemen werden. Es ist eine (An-)Frage, der sich auch der Leser immer weniger entziehen kann.


    Nach über fünfhundert Seiten war die Geschichte dann erzählt, und ich habe sie innerlich gleichzeitig ruhig und doch bewegt beendet. Leon, Angélique und Mathéo werden mich, auch nach dem Ende, gedanklich noch lange begleiten. Sowie die Frage (nach S. 289), die immer wieder auftauchte, nicht nur an die Figuren, sondern auch an mich, an jeden Leser gerichtet: Wie ist es mit dir, auf wen setzt du dein Vertrauen?



    Kurzfassung:


    Ein beeindruckender und vielschichtiger Roman über Zeit, Vertrauen, Schicksal und das, was im und am Leben wichtig und sinnvoll ist.




    Anmerkung


    * = Näheres zu dieser Theorie nachzulesen in Geoffrey Ashes Buch „König Arthus. Die Entdeckung von Avalon“ (Econ Verlag, 6. Aufl 1996)
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    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • :wave Liebe SiCollier du hast das mit deiner Rezi so gut gemacht ,daß mich dieses Buch brennend interessiert mal sehen ob es in meiner Bücherei zu Verfügung ist...drücke mir mal die Daumen !

    :lesend : Eleanor Brown "Die Shakespeare-Schwestern "


    :lichtBeim Lesen läßt sich vorzüglich denken L.Tolstoi

  • @ Ekna


    Mach ich. Aber gerüchteweise habe ich gehört, daß der Verlag so viele Bücher hat, daß er sie sogar verkauft, falls in der Bibliothek keines zu finden sein sollte. ;-) Und das Buch lohnt sich mMn zu kaufen. :wave

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • Ich fand das Buch auch total super! War ein Zufallsfund in meiner Onleihe.


    Von der Kurzzusammenfassung her hatte ich eine Geschichte a la Susannah Kearsley erwartet aber das Buch war doch um einiges komplexer und hat einen richtig ergriffen.


    Das zweite Buch des Autors "Haus der Geschichten" steht auch noch auf meiner Wunschliste.