Besser - Doris Knecht

  • Rowohlt, 2013
    288 Seiten


    Kurzbeschreibung:
    Klappentext: Antonia Pollak hat ein Leben, von dem viele träumen - ihr Mann Adam trägt sie und die beiden Kinder auf Händen, man leistet sich, worauf man Lust hat, hat Freunde mit interessanten Jobs, alles läuft in festen Bahnen. Doch Toni Pollak hat auch ein paar Geheimnisse, von denen ihr Liebhaber noch das kleinste ist. Zu ihrer Mutter hat sie jeden Kontakt abgebrochen, und als junge Frau kannte Toni die falschen Leute, was sie fast vergessen hat - bis eines Tages ein Mann von früher auftaucht. Während der ökohedonistische Alltag weiterläuft, wächst in Toni die Angst, die Vergangenheit könne sie einholen ... Doris Knecht schickt ihre Heldin, die immer das Gefühl hat, gar nicht in ihr schönes Leben zu passen, durch Feuerproben, in denen sie alles zu verlieren fürchtet und langsam ein paar Dinge zu begreifen beginnt. Und wie nebenher porträtiert Doris Knecht mit unbestechlichem Blick unsere Zeit, ihre Typen und Lebensentwürfe. Ein verteufelt ehrliches Buch über das Dasein und die wahrhaften Lügen, die es zusammenhalten - und ein ebenso schwarzer wie komischer Roman über das richtige Leben im falschen.


    Über die Autorin:
    Doris Knecht, geboren 1966 in Vorarlberg, gehört zu den originellsten und witzigsten Stimmen des österreichischen Journalismus. Sie war u. a. stellvertretende Chefredakteurin des Wiener Stadtmagazins "Falter" und Kolumnistin des Schweizer "Tages-Anzeigers". Für den "Kurier" schreibt sie fünfmal wöchentlich eine Leitkolumne mit dem Titel "Jetzt erst Knecht", in der Wiener Bar "rhiz" legt sie regelmäßig als DJane auf. Doris Knecht lebt mit ihrer Familie in Wien und im Waldviertel.


    Mein Eindruck:
    Mit den Büchern von Doris Knecht kann man sich schwer tun, denn sie zeigt detailliert Einblicke in die Innenwelt ihrer Figuren, auch wenn diese nicht immer positiv oder gemütlich sind. So war es bei ihrem Debütroman „Gruber geht“, so ist es in diesem Roman, bei dem die Hauptfigur Antonia erschreckend kühl und ansatzweise zynisch sich selbst und ihre Umwelt betrachtet. Im Mittelpunkt ihres Lebens steht ihre Familie, dabei insbesondere ihre Beziehung zu ihrem Mann Adam. Sie ist selbstkritisch, sieht ihre eigenen Mängel wie die ihrer Umgebung. Auf ihren idealisierten Adam setzt sie, dass er die erwünschte Fassade der Anständigkeit aufrechterhält, sie selbst fühlt sich als Betrügerin, da sie die dunklen Seiten des Lebens kennt. Das ganze ergibt eine düstere Weltsicht. Einen Eindruck bekommt man von dem kurzen Ausschnitt der Rückseite
    "Die Kaufmanns haben sich getrennt. Ich konnte es gar nicht glauben. Sie haben erst im August geheiratet, mit einem großen Fest. Es war schön, schöner als meine eigene Hochzeit, leichter, lockerer, rührender. Wahrscheinlich, weil ich nur Gast war und Publikum, ganz unangespannt. Ich denke nicht sehr gern an meine Hochzeit, vielleicht, weil ich damals die ganze Zeit das Gefühl hatte, dass Adam hereingelegt wird. Von mir."


    Als Leser gerät man praktisch sofort in eine komplizenhafte Beziehung zur Erzählerin, denn die ironischen „bösen“ Gedanken sind natürlich gleichzeitig auch ein deutliches Statement gegen die Gutmenschen-Mentalität der spießigen Gesellschaft.
    Was dann aber doch erstaunlich ist, ist der hohe moralische Anspruch, den Antonia an sich selbst stellt. Das geht aus vielen ihrer Gedanken hervor und aus den philosophisch gehaltenen Gesprächen mit ihrem guten Freund Moritz, den sie gelegentlich trifft.
    Ganz langsam beginnt sich ihr Weltbild zu ändern. Diesen Prozess zeigt Doris Knecht genau und das macht „Besser“ zu einem erstaunlichen, gelungenen Buch.


    Ein Buch, das sicherlich nicht für jeden geeignet ist. Ich tat mich anfangs etwas schwer, doch dann gerät man irgendwie in einen Sog. Ich halte den Roman für lesenswert!

  • „Kein Gott, nirgends“, steht auf der vorletzten Seite und das war der Auslöser: Die Erinnerung an Christa Wolfs Erzählung „Kein Ort. Nirgends“. Die Ich-Erzählerin Antonia hätte auch aus Wolfs Erzählung zitieren können: „Unliebbares Leben. Kein Ort, nirgends“. Zumindest bis zum überraschenden Ende.


    „Wir kommen alle von irgendwo her. Wir sind alle beschädigt“ (S. 282).

    Doris Knechts „Besser“ ist der unbedingte Appell, unsere Kinder vor den Narben unserer Kindheit zu schützen. Es besser zu machen! Und hier erinnert das Buch sehr stark an den schwedischen Film „Bessere Zeiten", in dem Noomi Rapace die Leena spielt, die so stark der Antonia gleicht.

    Neben der Botschaft zum Bessermachen ist das Buch eine Abrechnung mit denen, die sich „besser“ fühlen, aber vieles „schlechter“ machen: Mit den Bobos, den Gutmenschen, die abends einen Vortrag über die Gleichheit halten und am nächsten Tag ihre Kinder auf der Privatschule anmelden. Oder die sich nach den Steuerplänen der Grünen nun doch überlegen, die FDP zu wählen. Während die Bobos den Zielkonflikt verdrängen, macht Antonia eine klare Aussage zum Wohl ihres Kindes:


    „Ich habe nichts gegen Ausländerkinder. Es geht nicht um Herkunft. Es geht darum, was die Herkunft, die Umstände und die Stigmata ihrer Herkunft aus ihnen gemacht haben, und dass sie deshalb nicht in der Person sind, daran etwas zu ändern … Es ist nicht ihre Schuld, sie haben keine andere Wahl, aber ich will Elena dem nicht aussetzen. Ich kann diese Kinder nicht ändern, und sie können nichts für das, wozu sie gemacht wurden, aber ich werde Elena vor ihnen beschützen" (Vgl. S. 86f.).


    Gutes Buch, toll erzählt: Ein Augenöffner!

  • Zitat

    Original von beisswenger
    Doris Knechts „Besser“ ist der unbedingte Appell, unsere Kinder vor den Narben unserer Kindheit zu schützen. Es besser zu machen! Und hier erinnert das Buch sehr stark an den schwedischen Film „Bessere Zeiten", in dem Noomi Rapace die Leena spielt, die so stark der Antonia gleicht.


    Findest du echt? Ich mein, ich bin ja noch nicht durch, aber Leena und Antonia? Ich weiß nicht. Komm ich am Ende noch mal drauf zurück.

  • Neben einigen anderen ist mir dieses Buch auch in der neuen bücher aufgefallen. Eure Stimmen hören sich ja genauso positiv an, wie die Rezis bei amazon!


    Groupie, hast Dus auch schon durch?

    ...der Sinn des Lebens kann nicht sein, am Ende die Wohnung aufgeräumt zu hinterlassen, oder?


    Elke Heidenreich


    BT

  • Besser - Doris Knecht


    „Die Kaufmanns haben sich getrennt. Ich konnte es gar nicht glauben. Sie haben erst im August geheiratet, mit einem großen Fest. Es war schön, schöner als meine eigene Hochzeit, leichter, lockerer, rührender. Wahrscheinlich, weil ich nur Gast war und Publikum, ganz unangespannt. Ich denke nicht sehr gern an meine Hochzeit, vielleicht, weil ich damals die ganze Zeit das Gefühl hatte, dass Adam hereingelegt wird. Von mir.“ (Umschlagtext)


    Zack! Beim Lesen der ersten Zeilen ahnt man’s, spätestens nach der zweiten Seite weiß man’s: „Besser“ ist nichts für Romantiker. Doris Knecht nennt die Dinge beim Namen – glasklar, schonungslos und unmissverständlich. Und gerade diese Sprache ist es, die es mir so angetan hat; die eine unglaubliche Präsenz der Charaktere und ihrer Verflechtungen miteinander schuf; die mich gebannt die Geschichte bis zum Ende verfolgen ließ. Es ist kein gemütliches Buch: es ist aufwühlend, nachdenklich machend, Fragen aufwerfend; im einen Moment möchte man laut lachen, während einem beim unmittelbar nächsten Satz eben dieses Lachen im Halse stecken bleibt.


    Antonia Pollak lebt das auf Hochglanz polierte Vorzeigeleben eines „BoBo’s“ – glückliche Ehe, fürsorglicher Ehemann, keine Geldsorgen, eigenes Atelier, zwei gut geratene Kinder. Man trifft sich mit guten Freunden zum Essen, Trinken und Diskutieren. Alles geordnet, alles schön, alles passt.


    Aber als Leser weiß man mehr. Von Anfang an schaut man ihr sozusagen als Mitwisser beim Leben über die Schulter. Man erfährt Dinge, die so gar nicht in dieses Arrangement zu passen scheinen, die einem selbst nicht so ganz passen. Man erfährt, dass sie ihren Mann, den sie doch aufrichtig liebt, immer wieder betrügt – nicht nur mit einem Liebhaber, auch mit Lügen über ihre angeblich verstorbene Mutter und ihre gesamte Vergangenheit. Sie macht es mit vollem Kalkül, schließlich ist es der Mann, den sie wollte und den sie immer noch will, koste es, was es wolle. Sie spielt ihre Rolle perfekt. Und sie weiß, dass sie spielt. Aber sie spielt nicht um des Spielens willen, sondern weiß ganz genau, dass sie um ihr Leben spielt. Oder für ihr Leben. Genau das ist es, was sie manchmal einbrechen lässt. Momente, in denen sie sich mit ihrer nackten Angst konfrontiert sieht und ihr einfach nicht ausweichen kann: der Angst, aufzufliegen, wie ihre Mutter zu sein, ihren Kindern nicht die Mutter sein zu können, die sie verdient haben.


    „…Verlust und Versagensängsten, von der Gewissheit, dass nichts sicher ist und dass ich meine Familie, meine Kinder nicht beschützen kann, dass ich sie jeden Tag im Stich lasse, dass ich sie nicht genug liebe und ihnen keine gute Mutter bin. Gar nicht sein kann“.(S. 51)


    Gleichzeitig gibt es Augenblicke, in denen sie aus ihrem eigenen Gefängnis ausbrechen und sich, ihren Mann und ihre Freunde so sehen kann, wie sie sind, ohne diese Voreingenommenheit, die einen relativ objektiven Blick auf andere Menschen nicht zulässt. Diese spontanen Eindrücke haben mich immer sehr berührt, gerade durch die klare, schnörkellose Sprache werden die Empfindungen doppelt greifbar:


    „Wir kommen alle von irgendwo her. Wir sind alle beschädigt. Und die meisten von uns wissen, warum sie jetzt da sind, wo sie sind. Und warum wir leben, wie wir leben, und warum wir sind, wie wir sind. Und warum wir so leben wollen, wie wir leben, warum wir genau so lieben, nicht anders.“ (S. 282)


    Gleichzeitig besticht der Roman durch Seitenhiebe auf gesellschaftliche Phänomene. Wie nebenbei bekommt die Oberflächlichkeit und Arroganz bestimmter Gruppen (oder das, was wir dafür halten) ihr Fett weg, ob es nun um die Art und Notwendigkeit bestimmter Sportarten, die Wichtigkeit der Essenszubereitung oder die richtige politische Ausrichtung geht. Bemerkenswert sind dabei Antonias Gedankengänge, die deutlich machen, dass es sich bei ihr nicht einfach nur um ein alles berechnendes Biest handelt, sondern um eine zutiefst verletzte Seele, die auf ihre eigene Art darum kämpft, es „Besser“ zu machen. Sie zeugen von dem unglaublichen Kraftakt einer Auseinandersetzung, der sich aus dem Versuch, die Vergangenheit zu bewältigen einerseits und einem hohen moralischen Anspruch an sich selbst andererseits ergibt.


    „Es geht nicht um Herkunft. Es geht darum, was die Herkunft, die Umstände und die Stigmata ihrer Herkunft aus ihnen gemacht haben, und dass sie deshalb nicht in der Position sind, daran etwas zu ändern. Oder nur mit unheimlich viel Kraft, so viel Kraft, dass es einen einzelnen Menschen meist überfordert. Ich kenne mich aus mit Herkunft, ich weiß, was sie mit dir macht. … Ich kann diese Kinder nicht ändern, und sie können nichts für das, wozu sie gemacht wurden, aber ich werde Elena vor ihnen beschützen“. (S. 87)


    Um es kurz zu machen: dieses Buch sollte, nein, muss man einfach gelesen haben,


    meint incomperta

    :lesend Die Sonnenposition - Marion Poschmann


    "Unsere Wünsche sind Vorgefühle der Fähigkeiten, die in uns liegen; Vorboten dessen, was wir zu leisten imstande sein werden." (Goethe)

  • Das ist eines der Bücher die ich leicht unbefriedigt weglege, weil es mir eigentlich nicht hätte gefallen dürfen. Zu sehr Ich -Erzählerin, zu sehr angesprochenes, das letztlich im Nebel bleibt, zu sehr dialoglastig. Alles das- und dennoch ein Buch, das mir ausgezeichnet gefällt. Ein leises Buch, das eine Wandlung und eine Selbsterkenntnis beschreibt, die Überwindung von Unsicherheit und Selbstzweifel, die Erkenntnis, dass die Vergangenheit prägt, aber nicht bindet. Lesenswert.