Friedliche Zeiten - Birgit Vanderbeke

  • Ich habe neulich im Antiquariat Friedliche Zeiten von Birgit Vanderbeke entdeckt, und da ich ausgesprochen gerne ihr neueren Romane gelesen hatte, nahm ich es mit. Es handelt sich um einen ihrer frühen Romane, zum ersten Mal 1996 erschienen (Rotbuch Verlag), Neuauflage 2012 (Piper).


    Birgit Vanderbeke, geboren 1956 im brandenburgischen Dahme, lebt im Süden Frankreichs. Sie mit vielen hochdotierten Preisen ausgezeichnet, u.a. 1990 mitdem Ingeborg-Bachmann-Preis für "Das Muschelessen". 2007 erhielt sie die Brüder-Grimm-Professur an der Kasseler Universität. Zuletzt erschien von ihr der Roman "Das lässt sich ändern".

    Hier geht es um die 60er Jahre - es wird eine sehr eingeengte, traurige Kindheit aus Sicht eines Mädchens erzählt, dessen Eltern aus dem Osten Deutschlands geflohen sind und in einer öden westdeutschen Vorstadtwohnung leben. Die Ich-Erzählerin kann sich an den Osten kaum noch erinnern, doch sie und ihre Geschwister müssen es mit ihrer Mutter aushalten, die verstört ist vom Krieg, der Flucht in den Westen und dem Heimweh, so dass sie immer davon redet, sterben zu wollen und damit die Kinder und den Ehemann sehr unter Druck setzt. Zum Glück hat die Ich-Erzählerin eine Schwester, zu der sie eine innige Beziehung hat.
    Vanderbeke erzählt die Kuriositäten des Familienlebens in Umgangssprache, jedoch mit soviel Sprachwitz, dass die Tragik der Situation erst nach und nach die Wucht entwickelt, die wirklich dahinter steckt. Es entsteht eine ganz eigenwillige Tragikkomödie. Ich konnte diese Erzählung nicht weglegen, obwohl mich die Redundanz ab Mitte der Erzählung manchmal genervt hat. Doch diese Gespräche in der Zeit des Kalten Krieges! Wunderbar zugespitzt, die damalige Zeit wird aufs Feinste karikiert.
    Vanderbeke arbeitet bewusst mit Wiederholungen, kleinen Veränderungen, verkürzten Formen der Wiederholungen, deren Verdrehung usw. Die neueren Romane von Birgit Vanderbeke gefielen mir allerdings wesentlich besser, sie sind witziger und noch mehr auf den Punkt gebracht.
    In Friedliche Zeiten wird dieses Spiel mit Wiederholungen (und Verdrehungen) m.E. überstrapaziert. Andererseits könnte es auch bewusst eingesetztes Stilmittel sein, mit dem die Autorin den Effekt erzielt, dass man sich der Gefühlswelt der Protagonistin annähert, für die das enge Leben, das zu führen sie gezwungen ist, oft auch fast unerträglich ist.
    Wie jüngere Leser/innen diese Erzählung erleben (würden), ist für mich schwer einschätzbar. Möglicherweise ist es auch ohne den historischen Bezug ein interessantes Leseerlebnis.


    Summa summarum:
    Für Zeitgenoss-innen aus Ost- wie aus Westdeutschland, die die Zeit vor der Wende auch schon bewusst erlebt haben, lesenswert, da Wiedererkennungseffekte entstehen können und zur Identifizierung beitragen,denn es gibt Situationen, die so manchem vertraut vorkommen werden. Inwieweit jüngere Leser_innen diesen Roman mögen werden, ist für mich nur schwer einzuschätzen.



    (Aus meinem Lesetagebuch, 21.11.2012)


    Edit: Andere ISBN eingesetzt, damit das Buch auch im Verzeichnis auftaucht. LG JaneDoe