Der Berliner Unwille - Brandenburger Geschichten

  • Jedermann kennt die Geschichte Berlins als geteilte Stadt in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Weniger bekannt ist, dass Berlin schon lange vorher über Jahrhunderte gegen den Willen seiner Bewohner geteilt gewesen ist. Im Jahre 1448 spitzten sich Ereignisse zu, die für die Geschichte Berlin-Brandenburgs von entscheidender Bedeutung sein sollten.


    Aber gehen wir zurück in die Gründerjahre der Doppelstadt. An einer Furth über die Spree siedelten seit dem dreizehnten Jahrhundert Händler, die den strategischen Vorteil dieser Lage erkannten, da alle wichtigen Handelswege Richtung Osten über diese Stelle führten. Es war ein morastiges Gebiet, das einst die Slawen urbar gemacht und den Ort am rechten Spreeufer nach dem slawischen Wort für Sumpf „Berlin“ benannt hatten. Auf dem linken Ufer wurde eine zweite Stadt gegründet, deren Namen die rheinischen Einwanderer von zu Hause mitbrachten: Cölln.


    Die beiden Städte wuchsen schnell und schon bald wurde klar, dass man gemeinsam stärker sein würde. So wurde ein Anfang des 14. Jahrhunderts geschlossener Städtebund immer enger und im 15. Jahrhundert einigte man sich auf eine gemeinsame Verwaltung. Überall im deutschen Reich erstarkten zu jener Zeit die Städte. „Stadtluft macht frei“, war der Slogan, der die verarmten Verlierer aller Schichten in die Städte trieb. Mächtige Städtebündnisse bildeten sich heraus. Berlin und Cölln schlossen mit weiteren märkischen Städten wie Brandenburg, Spandau, Köpenick und Nauen zunächst ein lokales Bündnis um sich anschließend der mächtigen Hanse anzuschließen. Alle Voraussetzungen waren geschaffen und aus einer einheitlichen Stadt Berlin-Cölln wäre beinahe eine unabhängige freie Hansestadt wie Hamburg oder Bremen geworden.


    Diese Bestrebungen waren aber so gar nicht nach dem Geschmack des märkischen Souveräns, des Kurfürsten Friedrich II. Eisenzahn (nicht zu verwechseln mit Friedrich dem Großen, dem späteren König von Preußen). Er trachtete danach, die neu erstarkte Macht der Doppelstadt einzuschränken, um seine eigene Position zu festigen. Die Bürger wiedersetzten sich lange diesen Bestrebungen, aber im Jahre 1442 spielten sie dem Kurfürsten in die Karten. Die Einheit der Stadt hatte neben vielen Vorteilen auch den unerwünschten Effekt, dass jede einzelne Gruppierung zu den Gewinnern gehören wollte. Streitigkeiten häuften sich und die Rechtsprechung war bald komplett überfordert. Die Bürgermeister der Teilstädte mussten ihre Ämter niederlegen, denn die Stadt war unregierbar geworden. Friedrich Eisenzahn hatte großmütig seine Hilfe bei der Bewältigung der Krise angeboten. Am 26. Februar 1442 erschienen die Bürgervertreter gemeinsam mit den führenden Köpfen der Innungen vor dem Kurfürsten und übertrugen ihm die Rechtsprechung der Stadt. Als Gegenleistung verlangte Friedrich ein Anwesen in der Stadt, wo er sich niederlassen und seine Verwaltung aufbauen konnte. Widerwillig räumte man ihm dieses Recht ein.


    In den folgenden Jahren ließ Friedrich seine neue Macht nicht ungenutzt. Die erste Maßnahme war, die Teilung der beiden Städte festzuschreiben. Es wurden wieder getrennte Verwaltungen eingeführt. Außerdem verbot er die Beteiligung an der Hanse. Den größten Unmut zog er sich aber mit den Plänen zu, auf seinem Anwesen ein Schloss zu errichten und somit Berlin zu seiner Residenz zu machen. Eine „Zwingburg“, militärisch ausgebaut, um die Stadt jederzeit zu kontrollieren sollte es sein. Weitere Einschränkungen von Rechten der Städter führten dazu, dass 1448 der Unmut der Bürgerschaft eskalierte. Diese Ereignisse gingen als „Berliner Unwille“ in die Geschichte ein.


    Friedrich war in der Mark auf Reisen, als aufgebrachte Bürger seine Abwesenheit ausnutzten, um Friedrichs Verwalter, aus der Stadt zu werfen. Auch der verbliebene Hofstaat Friedrichs wurde aus der Stadt gejagt. Man versuchte, das im Bau befindliche Schloss abzureißen, doch die solide Bauweise trotzte diesen Bemühungen. So entschloss man sich, ein Wehr zu öffnen und die Baustelle des Schlosses mit dem Wasser der Spree zu fluten. Berlin und Cölln erklärten sich erneut als vereint und setzten ihre gemeinsame Verwaltung wieder ein. Die Kanzlei wurde besetzt und Dokumente vernichtet, die Gebietsüberschreibungen zugunsten Friedrichs beinhalteten.


    Als Friedrich von den Ereignissen erfuhr, zitierte er die komplette Vertretung der Bürgerschaften vor das Hofgericht in das benachbarte Spandau. Die Berliner und Cöllner ignorierten diese Vorladung und so lief alles auf eine bewaffnete Auseinandersetzung hinaus. Ein Hilfeersuchen der Städter ging an die verbündeten Hansestädte, um eine Verteidigung gegen die Truppen des Kurfürsten zu ermöglichen. Die erbetene Hilfe blieb jedoch aus. Die Stadt war noch zu unwichtig, als dass die Hanse eine militärische Auseinandersetzung mit einem Kurfürsten riskiert hätte. Nach wenigen Monaten musste die Revolte aufgegeben werden und es wurde ein Vergleich mit dem Fürsten ausgehandelt, der die alten Rechte des Souveräns wiederherstellte.


    Friedrichs Vergeltung war von Milde geprägt. Er beschränkte sich auf die Verbannung der Rädelsführer und entzog den an der Revolte beteiligten führenden Köpfen der Stadt vorübergehend ihre Lehen. Die Teilung der Stadt wurde festgeschrieben, die Kurfürsten errichteten dauerhaft ihre Residenz in Berlin und bestimmten für Jahrhunderte maßgeblich die Geschicke der Stadt. Als Symbol seiner Macht ließ Friedrich ein neues Siegel für Berlin prägen: Ein brandenburgischer Adler thront über einem Berliner Bären und hält diesen fest mit seinen Krallen.


    Erst im Jahre 1709, mehr als 250 Jahre später, wurden Berlin und Cölln vereinigt. Kurfürst Friedrich III. hatte sich gerade als Friedrich I. zum König erklärt. Er brauchte eine repräsentative Residenz und so vereinigte er fünf Kleinstädte der Region zur „Königlichen Residenz Berlin“. Das neue Berlin war nun eine Großstadt. Sie zählte zu jener Zeit etwa 55.000 Einwohner.


    1920 wurden weitere Städte einem neuen „Groß-Berlin“ angegliedert, unter anderem die lange Zeit unabhängigen traditionell eigenständigen Städte Spandau und Köpenick. Nun zählte die Stadt 3,8 Millionen Einwohner. Ein halbes Jahrhundert später wurde Berlin erneut geteilt. Ein abermaliger „Berliner Unwille“, diesmal von Erfolg gekrönt, brachte es im Jahre 1989 wieder zusammen. Aber das ist eine andere Geschichte.


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  • Die zwei Monate sind wieder viel zu schnell vergangen. Diesmal bin ich auch schon ziemlich spät dran mit meiner Geschichte. Wer den Hintergrund noch nicht kennt, kann ihn hier nachlesen.


    Ich bitte euch wieder um Anmerkungen und Kritiken bezüglich Rechtschreibung, Grammatik, Ausdruck und Verständlichkeit des Textes. :wave

  • Jetzt erst entdeckt....


    "Es war ein morastiges Gebiet, das einst die Slawen urbar gemacht und den Ort am rechten Spreeufer nach dem slawischen Wort für Sumpf „Berlin“ benannt hatten."
    M. E. hakt da was, ohne, dass ich den Finger auf die genaue Stelle legen könnte.


    "Die Bürger wiedersetzten sich"
    widersetzten?


    "im Jahre 1442 spielten sie dem Kurfürsten in die Karten."
    Den Ausdruck kenne ich so nicht, in kenne nur "in die Karten schauen" bzw. "in die Hände spielen".


    Eine runde und interessante Geschichte, das mit dem Namen war mir neu.
    Allerdings weiß ich nicht, ob man die 1989er-Bewegung wirklich als "Berliner Unwille" benennen sollte, auch, wenn es so gut passt. Fing das nicht eher mit den Montagskundgebungen in Leipzig und Dresden und so an? :wave

    “Lieblose Kritik ist ein Schwert, das scheinbar den anderen, in Wirklichkeit aber den eigenen Herrn verstümmelt.”Christian Morgenstern (1871 – 1914)

  • An MK, Danke für die Kommentare ;-)


    1. Stimmt der Satz hakt. Er ist auch nach mehrmaligen Umformulieren so geworden, scheint, dass ich es nochmal tun muss.


    2. Wieder und wider, das passiert mir immer wider :lache Obwohl das eigentlich so einfach zu merken ist.


    3. "In die Karten spielen" kenne ich vom Skat, wenn man als Gegenspieler dem Spielmacher genau die Karte anbietet, die er haben will.


    4. Diese Bezeichnung für 1989 hab ich jetzt spontan gewählt. Damit meinte ich eher die Eigendynamik der Ereignisse am Abend des 9. November, als die Leute in Berlin vor den Übergangsstellen auf jetzt sofort bestanden habe und nicht erst warten wollten, bis irgendwelche Visums-Stellen öffneten.


    @ Nick, Danke. Das "th" in Furt ist tatsächlich falsch. Ich hatte wohl irgendeinen Text aus einer alten Urkunde im Hinterkopf.

  • Ein sehr interessanter Text, sehr ansprechend geschrieben. Irgendwelche Kritikpunkte habe ich nicht vorzubringen - und habe auch absolut keine Lust nach irgendwelchen Fehlern zu suchen; das Erbsenzählen überlasse ich gern anderen. :wave

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Zitat

    Original von Voltaire
    Ein sehr interessanter Text, sehr ansprechend geschrieben. Irgendwelche Kritikpunkte habe ich nicht vorzubringen - und habe auch absolut keine Lust nach irgendwelchen Fehlern zu suchen; das Erbsenzählen überlasse ich gern anderen. :wave


    Ach, Voltaire, du armer Pöhsewicht! :grin
    Wer hat dir denn heute in den Kaffee gespuckt, dass du dem arter nicht beim Aufspüren evtl. Fehler helfen möchtest (was natürlich dein gutes Recht ist) und darüber hinaus, die, die im Gegensatz zu dir arters Bitte nachkommen, indirekt des Erbenszählens bezichtigst (was natürlich ebenfalls dein Recht, aber so überhaupt nicht charmant ist und gar nicht zu deinem liebenswerten avatar passen will)?
    :knuddel :lache :wave

    “Lieblose Kritik ist ein Schwert, das scheinbar den anderen, in Wirklichkeit aber den eigenen Herrn verstümmelt.”Christian Morgenstern (1871 – 1914)

  • Zitat

    Original von maikaefer


    Ach, Voltaire, du armer Pöhsewicht! :grin
    Wer hat dir denn heute in den Kaffee gespuckt, dass du dem arter nicht beim Aufspüren evtl. Fehler helfen möchtest (was natürlich dein gutes Recht ist) und darüber hinaus, die, die im Gegensatz zu dir arters Bitte nachkommen, indirekt des Erbenszählens bezichtigst (was natürlich ebenfalls dein Recht, aber so überhaupt nicht charmant ist und gar nicht zu deinem liebenswerten avatar passen will)?
    :knuddel :lache :wave


    Zum einen bin ich ganz gewiss nicht charmant. Ich bin höflich - freundlich bin ich nicht. :-)


    Zudem würde mich das Fehlersuchen zu sehr von diesem Text ablenken, den ich ohne Erbsenzählerei so viel mehr geniessen kann. Denn der Text hat es verdient als seiner selbst gelesen zu werden - für eine Fehlersuchübung taugt er nun wahrlich wirklich nicht.


    Ohne Frage hat der Kollege Arter mit diesem Text ein wirklich gute Arbeit abgeliefert. Erbsenzählerei hat dieser Text NICHT verdient. :bruell

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Na ja, Voltaire diese Einschätzung freut mich natürlich, aber ich habe ja ausdrücklich darum gebeten, dass, falls sich jemand die Mühe machen möchte, auch Unstimmige Details angesprochen werden dürfen, oder besser sollen. Das ist natürlich keine Verpflichtung. Die Grundaussage, dass der Text in Ordnung ist hilft mir auch. Schließlich soll der Text einer, wenn auch überschaubar großen, Öffentlichkeit verfügbar gemacht werden und da soll er schon so gut wie möglich werden. Fazit, ich freue mich über jedes Feedback, in welcher Form auch immer. Selbst wenn jemand sagt, dass er das Sch... findet. :wave

  • sehr interessant, arter


    theoretisch hätte berlin, also auch ein cölln werden können? das wirft die frage auf, warum berlin berlin wurde?



    ich würde übrigens wie maikäfer empiehlt, 'in die hände spielen' schreiben. das finde ich gebräuchlicher.

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    "Es hat alles seine Stunde und ein jedes seine Zeit, denn wir gehören dem Jetzt und nicht der Ewigkeit."

  • Suzann, na ja weil es schon ein großes Köln gab, könnte man sagen ;-) Aber der Grund war wohl, dass der Kurfürst sein Schloss in Berlin gebaut hatte. Ist aber ein interessanter Gedanke. Man stelle sich vor, es wäre anders gelaufen: "Wo kommst du her?", "Aus Cölln", "Aus welchem?", "Na aus der Hauptstadt natürlich"... Die armen Rheinländer, die haben so schon mit ihren Minderwertigkeitskomplexen zu kämpfen. Ich erwähne nur die Sichwörter "Millionenstadt" und "Landeshauptstdt" :lache


    Der Name des Berliner Cöllns lebt heute übrigens noch im Stadtbezirk "Neukölln" weiter.


    Die Geschichte ist jetzt aufgesprochen und in meinem Blog veröffentlicht.