Schreibwettbewerb März/April 2013 - Thema: "Verrückt"

  • Thema März 2013:


    "Verrückt"


    Vom 01. bis 31. März 2013 - 18:00 Uhr könnt Ihr uns Eure Beiträge für den Schreibwettbewerb März 2013 zu o.g. Thema per Email an schreibwettbewerb@buechereule.de zukommen lassen. Euer Beitrag wird von uns dann anonym am 1. April eingestellt. Den Ablauf und die Regeln könnt Ihr hier noch einmal nachlesen.


    Bitte achtet darauf, nicht mehr als 500 Wörter zu verwenden. Jeder Beitrag mit mehr als 500 Wörtern wird nicht zum Wettbewerb zugelassen!



    Achtung: Achtet bitte auf die Änderungen! Annahmeschluß ist ab sofort immer am Monatsletzten um 18:00 Uhr und die e-mail Adresse hat sich wie folgt geändert - schreibwettbewerb@buechereule.de

  • von Groupie



    Mit schweißnassen Händen sitze ich im Wartezimmer. Ich verfolge die Sekundenzeiger meiner Uhr, als die Tür aufgeht und ein knochiger Teenie aus dem Behandlungszimmer – oder wie das heißt - kommt. Magersucht. Eindeutig. Dann steht eine Frau mittleren Alters im Türrahmen und sieht mich direkt an: „Sind Sie Anna Roters?“ Ich nicke und folge ihr ziemlich nervös in den Raum.


    Als ich das Zimmer betrete, muss ich schmunzeln. Ich hatte einen dunklen Raum mit Couch und Freud-Büste erwartet. Stattdessen ist alles hell. Deckenhohe Fenster und orangene Wände. Überall weiße IKEA-Regale voller Bücher. Statt der erwarteten Couch finde ich lediglich einen sehr bequemen Sessel vor. So viel also zu dem Thema.


    Unter anderen Umständen würde ich mich sicher sehr wohlfühlen, aber so rutsche ich nur von einer Pobacke auf die andere. Schweigen füllt den Raum. „Fühlen Sie sich unwohl?“, fragt die Frau plötzlich. Witzig! Wie könnte ich nicht? Ich antworte also wahrheitsgemäß. Daraufhin stellt sie weitere Fragen und bevor es mir wirklich klar wird, habe ich schon mein Seelenleben vor ihr ausgebreitet. Toll, ich bin ein offenes Buch. Gruselig.


    Ich bin wieder still, während meine Augen die Regale erkunden. Was da alles rumsteht. Über der Tür hängt eine große Uhr. Noch fünf Minuten. Soll ich einfach weiterschweigen? Da kommt ein bisschen unerwartet die Frage: „Warum sind Sie hier?“ Ehm, ich dachte, das wäre bereits deutlich geworden? „Ich bin offensichtlich nicht mehr normal!“ Das trifft es wohl. Und nach meinen Plaudereien müsste ihr das bereits klar sein.


    Seit ca. einem Jahr habe ich das Gefühl, dass bei mir irgendwas in Schieflage geraten ist. Zu meinen Eltern hatte ich immer ein sehr gutes Verhältnis, doch ich versteh sie einfach nicht mehr. Ich kann weder ihre Einstellungen noch ihre Entscheidungen nachvollziehen. Meine Brüder schon. Den Porsche-Kauf auf Pump mit fast 60 und kaputten Knien konnte ich als Einzige nicht gutheißen. Seitdem habe ich einen neuen Spitznamen: Spaßbremse.


    Früher hatte ich einen großen Freundeskreis. Wir hatten immer viel Spaß. Allerdings kann ich den Hype um Facebook, Top-Models und bunte Dschungel-Gestalten nicht teilen. Auch die Angewohnheit Verabredungen dauernd 5 Minuten vorher ohne Erklärung platzen zu lassen, ist für andere offenbar kein Problem. Ich hingegen trinke meinen Kaffee ungern allein. Zudem teile ich die Aufmerksamkeit meines Gegenübers nur widerwillig mit seinem Smartphone. Ich bin wohl einfach anders.


    Zumindest auf meinen Freund konnte ich mich immer verlassen. Das könnte ich wahrscheinlich immer noch, wenn er noch mein Freund wäre. Er nannte es „Interesse an meinem Leben“, ich nannte es „Handy-Stalking“. Außerdem fand er, es wäre Zeitverschwendung, die Abende getrennt zu verbringen. Ich fühlte mich verfolgt. Als er dann noch anfing, meine Kurse in der Uni zu belegen, war Schluss. Außer mir fanden alle sein Verhalten süß und romantisch. Aber was soll ich sagen, ich bin eben nicht normal.


    Nur noch eine Minute. Nach dem Seelenstrip brauche ich die Woche Pause bis zum nächsten Termin ganz dringend. Ich habe mit der Sitzung bereits abgeschlossen, als ich mein Gegenüber fragen höre: „Und wieso glauben Sie, dass SIE nicht normal sind?“

  • von Prombär



    Liebste Emilia!


    Schon viel zu lange zögere ich eine Antwort an dich hinaus, aber nun komme ich endlich dazu, dir zu schreiben.
    Meine Tage sind sehr ausgefüllt und ich liebe meine Arbeit sehr. Keine Sekunde habe ich bisher bereut, die Stelle hier im Sanatorium angenommen zu haben, obwohl ich natürlich das hektische Treiben in Rom vermisse. Obwohl ich euch vermisse! Stell dir vor, alles, was man über italienische Bergdörfer erzählt, ist wahr. Ich wollte es nicht glauben! Oft fühle ich mich, als hätte man mich rund 70 Jahre in die Vergangenheit gesetzt, und oft verstehe ich kein Wort davon, was mir die alten Leute erzählen. Ich höre ihnen trotzdem gerne zu. Ich versuche auch, ihnen mein bestes Lächeln zu schenken, vor allem den Griesgrämigen unter ihnen. Manchmal gelingt es mir, und sie lächeln zurück. So vergehen die Tage und schon bald bin ich ein Jahr hier.


    Du batst mich, dir eine verrückte Geschichte zu erzählen. Nun, das will ich tun. Wenn du sie fertig gelesen hast, wirst du mich fragen, wo diese Geschichte verrückt ist, aber vielleicht findest du selbst die Antwort. Die Geschichte handelt von meiner Heldin: Francesca Ferrero, 84 Jahre alt. Erst vor ein paar Tagen hatte Francesca Namenstag, was hier groß gefeiert wird. Von allen Ecken und Enden des Sanatoriums strömten die alten Leute herbei, so wie es ihre Gesundheit zuließ, um ihr zu gratulieren. Ich beobachtete das Treiben von weitem, aber als Francesca mich sah, ließ sie alle stehen und eilte, so wie es ihr möglich war, auf mich zu, nahm meine Hände in die ihren und bedankte sich mit Tränen in den Augen für mein Geschenk. Du fragst dich sicher, was ihr ihr geschenkt hatte - es war ein Luftballon mit meinen besten Wünschen. Ich hatte ihn ihr auf ihren Platz im Speiseraum gelegt. Francesca weinte vor Freude, weil ihr noch nie jemand einen Luftballon geschenkt hatte!


    Nach dem Mittagessen kam sie auf mich zu und sagte mir, sie habe den Luftballon ihrer Schwester Margherita, 89 Jahre, geschenkt. Margherita hätte sich als kleines Mädchen immer so sehr einen Luftballon gewünscht und ihn immer bei den anderen Kindern gesehen, aber sie selbst habe nie einen bekommen. Als ich zu Margherita sah, sah ich sie wie ein kleines Mädchen kichern. Und auf einmal flog der Luftballon durch den Speiseraum. Ich hatte Sorge, er könnte an einem spitzen Gegenstand zerplatzen, aber ich hatte nicht mit dem Einsatz von Rosina, Elisabetta, Chiara und einigen anderen alten Leuten gerechnet. Es entstand eine richtige Luftballonschlaft, die eine ganze viertel Stunde andauerte. Die alten Frauen kicherten wie kleine Mädchen und wir hatten alle großen Spaß.


    Und meine Heldin ist Francesca, die sich nach so langer Zeit daran erinnerte, ihrer Schwester einen Luftballon zu schenken. Ist das nicht verrückt?
    Liebe Emilia, schreib mir bitte bald. Erzähl mir auch du eine verrückte Geschichte.


    Immer deine
    Alessandra

  • von Zuckelliese



    Uwe steigt die Treppe hoch und bleibt vor der Tür stehen. Eine Klingel ist nicht vorhanden und so benutzt er den mechanischen Klopfer. Als die Tür sich kurz darauf öffnet, steht er einer etwas zerzaust aussehenden Person gegenüber.“Willkommen in der ÖkoWG“, begrüßt ihn sein Gegenüber.“Du kommst sicher wegen der Annonce, oder“?“Ja, lautet Uwes kurze Antwort. Beide betreten den schmalen Flur und gehen weiter in ein helles, freundliches Zimmer. Ich bin übrigens Hans und der Gründer dieser WG; schau dich ruhig um. Im Garten kannst du gerade Roland beim Wäschewaschen sehen. Roland wohnt im 3.Zimmer und ist der gute Geist unserer ökologischen Gemeinschaft. Uwe tritt zum Fenster und sieht einen langen Dürren auf einem Fahrrad, mit dem eine Wäschetrommel angetrieben wird. Wir versuchen , hier ,auf Strom und Wasser zu verzichten und erwarten das von jedem Mitbewohner, schließt Hans seine Erklärungen ab. Wir treffen uns heute Abend zum Aufnahmegespräch und besprechen alle Vertragsbestandteile. Uwe verabschiedet sich mit einem Nicken und verlässt die Wohnung.


    Am Abend sitzen Uwe, Hans und Roland in der Küche und diskutieren die Vertragsbestandteile, die Uwes Wohnrecht begründen.. Alle Mitglieder der ÖkoWG freuen sich auf ihren neuen Mitbewohner und klopfen Uwe nach der Unterschriftsleistung auf die Schulter. Sparsamkeit war das erste Gebot seines Wohnrechts. Wasser gab es nur als Regenwasser und Strom wurde durch Muskelkraft erzeugt.


    Das Zimmer ist bereit und Uwe verpackt seine persönlichen Dinge in die spartanischen Möbel. Das Bett, das in der Mitte des Zimmers steht, sieht bequem aus.“Merke dir, wo alles steht, dann kannst du auch im Dunkeln alles finden“, hatte Hans ihm als guten Rat beim Einzug gegeben. Jeder war für seine Sachen verantwortlich und hatte peinlichst darauf zu achten, dass alles an seinem vorgeschriebenen Platz blieb. Kein Licht bei Dunkelheit war ein Vertragsbestandteil für alle Mitbewohner.“Nur, wenn sich jeder an diese Vorgaben hält, bleiben wir ohne Verletzungen“, hatte Roland hinzugefügt.


    Nach 3 Wochen findet Uwe blind sein Bett. 3 Schritte vor und 2 links, Drehung und rückwärts fallen lassen. Nur gestern stolperte er über Hans´ Schuhe im Flur, was der bisher einzige Verstoß eines Mitbewohners gegen den Mietvertrag der WG war. Letzte Nacht betrat Uwe sein Zimmer .Es war stockfinster und der Strom abgestellt.


    3 Schritte gerade, 2 links, Drehung und er knallte der Länge nach hart auf den Boden. Seine Mitbewohner hatten sich in der gestrigen Versammlung zwar einsichtig gezeigt, aber nun glaubte er nicht mehr an ihren guten Willen. Das breite Grinsen von Roland auf Hans´ Stinkefinger hatte er noch deutlich vor Augen.


    Er war sich sicher, Hans oder Roland hatten sein Bett verrückt und er musste wegen Kreuzverletzung ins Krankenhaus. Im sonnigen Einzelzimmer formulierte er die Kündigung seines WG Zimmers. Als Begründung wählte er:


    Verschiebung von Möbelstücken ist nach $ 33 Mietvertrag nicht erlaubt. und wegen der gestrigen Zuwiderhandlung werde ich die ÖkoWG mit meinem Auszug bestrafen. Hiermit kündige ich den Sparvertrag (Wohnrecht).


    Ich spare jetzt meine Miete und ihr könnt euch weiter zu Tode sparen, was die ÖkoWG auch sicher bald, ohne meine Mietzahlungen sein wird.

  • von Suzann



    Marie lief ein angenehmer Schauder über den Rücken. Julias Hand an ihrer zitterte so stark, dass sie ihren kleinen Finger mit dem der Freundin verhakte, um den Kontakt nicht zu unterbrechen. Diese Geisterbeschwörung war der Bringer. Weiß der Geier, wo Mark diese Gothictusse aufgetrieben hatte, aber als Medium war die echt unheimlich. Obwohl dieser Hokuspokus doch nur ein Partygag war, stellten sich ihr bei den monoton gemurmelten Beschwörungsformeln die Haare auf. Das musste an dem russischen Akzent liegen. Als hätte Nadja gespürt, dass sie mit ihren Gedanken abgeschweift war, schlug sie so unvermittelt die Augen auf, dass Marie zusammenzuckte. „Konzentration!“ Der intensive Blick zwang das, von den schwarzen Lippen lautlos geformte Wort förmlich in Maries Geist. Gehorsam verschloss sie wieder die Augen vor den im Kerzenschein glühenden Gesichtern und fiel in den rituellen Singsang ein: „Wir rufen dich, großer Geist, wir rufen dich großer Geist, wir rufen dich…“ Als Marie schon befürchtete, ihre Hand würde endgültig einschlafen, fingen die Kerzenflammen ohne spürbaren Luftzug an zu flackern. Das Glas in der Mitte des Tisches ruckte, als die Russin die vereinbarten Fragen stellte.


    Danach saßen sie noch lange beieinander und drehten den Gruselfaktor mit Wein, Musik und Smalltalk herunter. Nur das Medium wollte gleich gehen. An der Wohnungstüre drehte sie sich noch einmal zu Marie um und drückte ihr mit eindringlicher Miene ein Räucherstäbchen in die Hand. „Für Wohnung, damit Geist weg geht“, war die Antwort auf Maries ratlosen Blick. Es war weit nach Mitternacht, als sich die anderen auf den Heimweg machten. Die Luft im Wohnzimmer war zum Schneiden. Marie war hundemüde. Evanescene spielte immer noch leise in Dauerschleife. Ein Knopfdruck sorgte für Stille. Sie löschte die wenigen Kerzen, die noch nicht herunter gebrannt waren. Ohne sich die Mühe zu machen sich auszuziehen, fiel Marie ins Bett.


    In den nächsten Wochen häuften sich unangenehme Vorfälle. Als erstes verschwanden ihre Schlüssel. Dann machte der Boiler im Bad kein heißes Wasser mehr. In einer Nacht krachte ein Bild so laut auf den Boden, dass sie senkrecht neben ihrem Bett stand, bevor sie ganz wach war. Außerdem hätte sie schwören können, dass jemand den Flurschrank verschoben hatte. Sie rieb sich die schmerzende Zehe, die daran hängengeblieben war. Als sie das Möbel wieder an seinen Platz rückte, kamen ein Schlüsselbund und ein Räucherstäbchen zum Vorschein. Es ging weiter. Keine ihrer verdammten CDs ließ sich mehr abspielen. Ihre Toilette lief über, ohne dass sie vorher im Bad gewesen wäre.


    Das Räucherstäbchen!


    Sie fand es in einer Küchenschublade, holte ein Feuerzeug, zündete es an und trug es glimmend durch alle Zimmer, selbst in den Abstellraum. Am nächsten Tag war der Spiegel im Flur blind. Marie konnte nicht mehr schlafen. Sie war nicht alleine in ihrer Wohnung. Das spürte sie ganz deutlich. Was war das? Woher kamen diese Klopfgeräusche?


    Hast du schon gehört, Mark? Marie wurde in die Geschlossene gesperrt.
    Das ist nicht dein Ernst, Julia!
    Doch! Sie soll durchgedreht sein. Hat Wahnvorstellungen oder so. Ist mit einem Messer auf Nadja losgegangen.
    Wahnsinn!

  • von Johanna



    I. Anamnese


    Der Klient wurde in der psychiatrischen Einrichtung mit eindeutiger Verhaltensauffälligkeit vorstellig.
    In einem Einstündigen Erstgespräch klagte er über ein seiner Meinung nach abnormales Verhalten in Bezug auf bestimmte Gegenstände.


    Er beschrieb es als eine Art Zwang oder auch Sucht, stundenlang Bücher zu lesen, dauernd erwerben zu wollen. Sie zu horten wie einen wertvollen Schatz und sie beinahe als Familienmitglieder zu erleben.
    Starke Schmerzgefühle und Verlustängste bei Beschädigung, Zerstörung und Nichtauffinden eines Buches.


    Es kristallisierte sich heraus, dass der Klient eine hochgradige Angst vor Vereinsamung durch sein eindimensionales Verhalten entwickelt hatte, die sich durch Stimmungsschwankungen bemerkbar machten.
    Er beschrieb es als geringes Lustempfinden bei Ausübung anderen Tätigkeiten, nahezu depressivem Gefühl bei Verhinderung des Lesens.
    Kontakt und Kommunikationsschwierigkeiten mit anderen Menschen.



    II. Differentialdiagose
    Erstellung ausführlicher differentialdiagnostischer Untersuchung und Befragung um auszuschließen, dass affektive, Bipolare, psychotische Störungen oder eine Abhängigkeitsproblematik vorliegen.



    III. Diagnostik


    1. Methoden
    Exploration und Problemanalyse anhand in Form von Gesprächen


    2. Verhaltensbeobachtung im Hause des Klienten
    Katatonisches Verhalten bei Einschalten des sehr verstaubt wirkenden Fernsehgerätes.
    Hohes Erregungspotential bei vorlegen eines Buches mit ausgeprägter Unruhe beim entfernen dieses Buches.


    Erhöhte Bewegungsfähigkeit verbunden mit starkem Tremor und leichtem Speichelfluss bei testweisem Verbringen des Buches in einen im Raume stehenden Mülleimer.
    Er stieß unartikulierte Worte aus, wies verzerrte Gesichtszüge auf und vollzog einen unmittelbaren Angriff auf den Therapeuten um diesen mit Gewalt daran zu hindern, das Buch tatsächlich in den Mülleimer zu befördern.



    3. Exkursionen in unterschiedliche Einrichtungen, wie Buchläden


    Exkursion 1 - Besuch eines Buchladens


    Unkontrolliertes hineinstürmen, sofortiges ergreifen, nahezu raffen mehrerer Buchexemplare.
    Mitnahme der Bücher in eine Leseecke, mit anschließendem langanhaltenden blättern, sofortiges versinken in den Inhalt


    Verbringen des Buchs an die Nase mit ausführlicher olfaktorischer Prüfung dessen mit anschließendem genussvollem Aufseufzen.
    Erschwertes Hinausbegleiten des Klienten aus dem Geschäft, durch stetiges Umdrehen, Versuche, sich wieder in den Laden zu begeben unter Zuhilfenahme verbaler Kommunikationsinstrumente.
    Glasige Augen und depressives Erscheinungsbild bei größer werdender Entfernung des Geschäftes.



    Exkursion 2 – wiederholter Versuch des Besuches eines Buchgeschäftes mit zusätzlicher Aufgabe, des käuflichen Erwerbs eines Buches


    Verhaltensweisen denen des ersten Besuches ähnlich, unterschieden durch die Inbesitznahme des käuflich erworbenen Objekts.
    Ein daraufhin erfolgender verbaler Wortschwall, mit leicht manischen Zügen, über den zu erwartenden Inhalt des Buches mit auffällig hohem Erregungsgrad.



    IV. Indikation und Therapieempfehlung


    F. 99.1 - Absentia forensis noctua
    F. 38.1 – mittelgradige depressive Episode
    F. 40.1 – latent sozialphobische Ansätze



    Therapieempfehlung


    Es wird dem Klienten dringend empfohlen ein soziales Kompetenztraining in Anspruch zu nehmen.


    Folgende Maßnahmen gelten als erfolgversprechend:
    - Aufnahme und Einschreibung in ein anerkanntes Forum, das sich mit Büchern beschäftigt
    - Zusätzliche, mindestens halbjährliche Teilnahme an Treffen der Mitglieder zum kommunikativen Austausch und persönlichem interagieren mit anderen Betroffenen.
    - Austausch kommunikativer Differenzen in Bezug auf unterschiedliche Wahrnehmung identischer Textinhalte
    - Zur Stabilität und Differenzierung wird dringend die Festigung der Selbststabilität durch Exposition voltairistischer Degradierung im Rahmen einer Contentio componere angeregt


    Abschließende Prognose
    Bei Einhaltung der empfohlenen Therapiemaßnahmen sollte der Klient eine gute Chance haben, seine Störung zu minimieren und eine positiv orientierte Lebensqualität zu erlangen.

  • von Kirsten Slottke



    Da stand es wieder. Das schwarze Auto. Es war ihm in den vergangenen Tagen oft aufgefallen. Vor seinem Haus, vor seiner Arbeitsstelle und sogar vor dem Einkaufszentrum. Ein schwarzes Auto mit dunkel getönten Scheiben, sodass man nicht erkennen konnte, wer sich darin befand.
    Die glauben wohl, ich hätte sie nicht bemerkt, schoss ihm durch den Kopf, als er vom Fenster im ersten Stock zurücktrat. Aber ich weiß genau, was die von mir wollen: Meine neueste Erfindung.


    „Bist du dir sicher, dass die da draußen den Apparat nicht finden?“
    Was wollte Karla denn jetzt von ihm. DAS hatten sie doch zur Genüge geklärt.
    „Den findet niemand. Basta.“ Den habe ich nämlich gut in meinem geheimen Kellerraum versteckt.
    „Na. Vorhin wurde ein Zettel unter der Haustür durchgeschoben.“
    „So?“
    „Ja. Wir finden alles, stand darauf.“
    Pah. Darauf gab er nichts.
    „Und weiter: Wenn du uns nicht gibst, was wir wollen, wirst du den Tag nicht überleben.“
    Das wurde ja immer schöner.
    „Lass mich damit in Ruhe!“
    „Nein! Ich will doch nicht, dass du stirbst. Schau noch mal aus dem Fenster: Jetzt stehen schon zwei Autos vor unserem Haus.“
    Zögernd trat er näher und folgte ihrer Aufforderung. Tatsächlich. Hinter der schwarzen Limousine stand ein schwarzer Kastenwagen. Der wäre geeignet, die Apparatur abzutransportieren.
    „Du hast wohl vergessen, dass letzte Woche jemand hier eingedrungen ist. Nichts stand mehr am richten Platz.“
    Stimmt. Daran hatte er nicht mehr gedacht. Nervös ging er auf und ab. Sollte er ihnen geben, was sie wollten? Nein! Mit Sicherheit nicht. Nur über seine Leiche. - Bei diesem Gedanken bahnte sich ein Lachen den Weg durch seine Kehle, und hallte seltsam und unpassend in seinen Ohren wider.
    „Hast du das gehört?“, platzte Karla in seine Gedanken.
    „Was?“
    Doch jetzt hörte er es auch. Die Haustür, die seit einiger Zeit am Fußboden schliff, wurde scharrend aufgeschoben. Er schluckte und blickte sich hektisch um.
    „Wir wissen, dass du da oben bist“, ertönte eine tiefe Stimme.
    Jetzt machte er sich vor Angst fast in die Hose.
    „Tu doch was!“, nervte ihn jetzt auch noch Karla.
    Schwere Schritte kamen die Treppe hoch. Was sollte er machen? Schweiß brach aus jeder Pore hervor. Was? Sein Herz raste. Was? Wenn ihm doch nur etwas einfallen würde. Die durften den Apparat nicht in ihre Hände bekommen. Ha! Jawohl! Das war es. Schließlich wusste nur er selbst, wo sich der geheime Raum befand. Nicht einmal Karla hatte eine Ahnung. So schnell er konnte, verließ er das Zimmer, rannte die Holztreppe hoch ins Dachgeschoss, öffnete die Balkontür und sprang mit einem Satz über das Geländer.
    „Geschafft!“, dachte er erleichtert.


    Die hinzugerufene Polizei fand den alleinstehenden Paul Gerwein tot auf der Terrasse seines Hauses liegend. Eine Fremdeinwirkung war nicht festzustellen.
    „Ich hatte ihn gewarnt“, sagte Dr. Specht zu dem Polizisten, der seine Telefonnummer an der Pinnwand des Verunglückten gefunden hatte.
    „Wovor?“
    „Ich habe ihm eindrücklich davon abgeraten, seine Medikamente abzusetzen. Er hatte eine Schizophrenie. Und schon bei der Erstmanifestation traten bei ihm unglaubliche Wahnvorstellungen und Halluzinationen auf.“

  • von churchill



    In vollem Bewusstsein des strikten Gebotes, über all das, was in jenen Tagen in der Sixtina gesprochen wurde und geschehen ist, absolutes Stillschweigen zu wahren, vertraue ich meine Gedanken diesem meinem treuen Tagebuch an. Sollte es zu meinen Lebzeiten von nicht autorisierten Subjekten gefunden und gelesen werden, bete ich darum, dass diese Zeilen nicht zur Veröffentlichung gelangen. Für einen Kardinal der römisch katholischen Kirche ist eine Exkommunikation nämlich ziemlich unerquicklich.


    Findet nach meinem Ableben eine Veröffentlichung durch meine Erben oder andere statt, so soll es mir gleich sein. Irdische Institutionen dürften in jenem Augenblicke nicht mehr in der Lage sein, das Heil oder Unheil meiner Seele, meiner Person oder dessen, was von mir bleibt (falls etwas bleibt) relevant zu beeinflussen.


    Es war in jenen Tagen des Märzes im Jahre des Herrn Zweitausendunddreizehn, nachdem der deutsche Papst Benedikt die Vernunft bis zu seinem Rücktritt strapaziert hatte und die Kardinäle der Kirche nach Rom gerufen worden waren, um den nächsten Nachfolger des Petrus zu erwählen. Gemeinhin herrschte die Vorstellung, der Heilige Geist könne maßgeblich an dieser Entscheidung mitwirken. Die Erfahrung lehrt dagegen, dass höchst irdische Argumente zählen, wenn einhundertfünfzehn Männer einen der Ihren zum primus inter pares, zum Ersten unter fast Gleichen bestimmen. Die Tage vor dem Konklave waren geprägt von Begegnungen und Stellungnahmen, Programmen und Spekulationen. Mit Beginn der Wahlhandlungen war ich überzeugt, dass der Heilige Geist eine langfristige Auslandsreise angetreten hatte und mit seinem Eintreffen im Vatikan in den nächsten Tagen nicht zu rechnen war.


    „Extra omnes!“, befahl der päpstliche Zeremonienmeister, was so viel heißt wie „Alle raus hier!“ Gemeint waren Kameras, Prälaten und andere Störfaktoren. Dann waren wir allein. Zwei Reihen ziemlich alter Männer auf jeder Seite der Kapelle. Natürlich hatte ich mir meine Gedanken gemacht und diese mit anderen ausgetauscht. Wir hatten uns im Vorfeld schon ein wenig darüber amüsiert, was die Presse, das Radio, das Fernsehen und gar das neumodische Internetz von unserer Wahl erwarteten. Jene glaubten, Verzeihung, jene meinten ernsthaft, der neue Papst könne, ja müsse die Kirche reformieren. Und übersahen dabei sträflich, dass der neue Papst einer aus unseren Reihen sein würde. Bitteschön, wer von uns hatte bislang durch Reformeifer auf sich aufmerksam gemacht? Das wäre ein Kardinalfehler! Ein bisschen und vorsichtig wollen wir natürlich der Welt zeigen, dass hier oder da eine Stellschraube anzuziehen oder zu lockern sei. Ein bisschen Staub muss ja für einen neuen Besen zu kehren bleiben.


    Die Ausgangslage war einfach: Italiener oder Nichtitaliener? Kurienkardinal oder Diözesankardinal? Scola war Favorit. Warum auch nicht? Der Brasilianer Scherer hatte bei seiner letzten Messe vor dem Konklave eine Hostie fallen lassen. Der war also aus dem Rennen. Der Philippine ist zu jung. Der überlebt uns ja alle. Da können wir nichts mehr korrigieren. Und die Amerikaner sind zu verschwätzt.


    Scola war mein Favorit: “Eligo in Summum Pontificem – Ich wähle zum höchsten Brückenbauer - Jorge Mario Bergoglio“.


    Weiß der Himmel, wie dieser Name auf meinen Zettel kam. Ich habe nie gewusst, wie man „Bergoglio“ schreibt …

  • von arter



    Im Wartezimmer hängt ein Gemälde. Das Bild hängt schief. Wenn ich so etwas sehe, dreht es mir die Gedärme um. Ich erkenne eine leicht gekräuselte Wasserfläche, darauf eine rotes Segelboot das mit straff gespanntem Segel und einem bauchig geblähten, bunten Spinnacker, der Schwerkraft trotzend, bergauf einem kitschigen Sonnenuntergang entgegensegelt.


    Diese Verletzung des physikalischen Gesetzes der Erdanziehung verursacht in mir körperlichen Schmerz, Stecknadeln in meiner Kopfhaut. Ich versuche mich abzulenken, indem ich meine Fäuste auf die Augen presse und beginne, die Eulersche Zahl zu berechnen. Natürlich kenne ich diese auf Einhundert Stellen nach dem Komma genau, aber ich überprüfe das Ergebnis regelmäßig.


    Die linke Ecke des Bildes weist nach unten. Wasser tropft aus dem Rahmen. Schnappschüsse des Grauens drängen sich zwischen die wohlgeordneten Glieder der Reihensumme. Konzentrier dich! Summe eins durch k Fakultät von k gleich Null bis Unendlich. Vielleicht schaffe ich heute bis k gleich zehn. Eins durch null Fakultät ergibt eins, plus eins durch eins Fakultät ergibt nochmal eins, plus eins durch zwei Fakultät ergibt einhalb. Damit sind wir bei fünf halbe. Drei Fakultät ist sechs. Also ein Sechstel dazu sind acht drittel. Vier Fakultät ist vierundzwanzig. Also ein vierundzwanzigstel plus acht drittel, das ergibt...


    Das Boot wird von der starken Strömung zurückgezogen. Wie durch einen gigantischen Strudel.


    ...das sind fünfundsechzig vierundzwanzigstel. Ich rechne lieber mit echten Brüchen als mit Dezimalzahlen. Echte Brüche sind meine Freunde, sie sind nie verfälscht, sie sagen einem immer die Wahrheit. Und ich kann sie sehen. Fünfundsechzig vierundzwanzigstel ist zum Beispiel eine blaue, dickbauchige Teekanne, die auf einem schwarzen Motorrad fährt.


    Das Boot stürzt in den Abgrund. Ich reiße die Augen auf. Ich schreie. Ich starre das Bild an. Die Schwester kommt herbeigestürzt, sieht, wie ich das Bild anschreie. Sie schiebt die linke Seite am Rahmen etwa eineinhalb Zentimeter hoch. Sie kennt mich. Sie weiß, dass ich ein verschobenes Bild nicht ausstehen kann. Psst. Es ist alles gut. Einen kleinen Moment noch, dann hat die Frau Doktor Zeit für dich, beruhigt sie mich.


    Einhundertdreiundsechzig sechzigstel. Ein grünes Kamel trägt eine gelbe Nachttischlampe. Alles ist gut. Das Boot gleitet gemächlich auf einer spiegelglatten Wasserfläche.


    Frau Doktor empfängt mich mit warmer Stimme. Ich schaue an ihr vorbei. In dem Regal hinter ihr stehen Aktenordner in Reih und Glied. Einer steht schief, ragt etwas heraus. Jemand hat ihn verrückt. Wie geht es ihnen heute, fragt sie. Stecknadeln in meinem Kopf. Ich schreie.

  • von Holle



    Die schwere Wand senkte sich. Als sie seinen Kopf erreicht hatte, schloss er die Augen. Druck presste gegen seinen Schädel. Instinktiv hob er die Hände und kämpfte mit letzter Kraft um Erleichterung. „Nicht mehr lange“, dachte er und stöhnte, während Todesangst und Überlebenswillen in seiner Vorstellung die letzten Vermeidungsstrategien per Schnelldurchlaufmodus vorführten. Aber alle Szenarien führten zum Ende seiner Existenz; es gab kein Entrinnen.


    Dann ging ihm die Luft aus. Eine Panikattacke erfasste ihn. Schrillen gellte in seinen Ohren.


    Unvermittelt sah er Nina, seine kleine Cousine. Sie lief ihm am Strand voraus, gekleidet in ein kurzes, weißes Sommerkleidchen, wandte sich um und winkte. Ihre blonden Locken tanzten im Wind.


    Er hatte die Urlaubstage mit der Familie seines jüngsten Onkels immer geliebt. Aber diese Zeit war lange vorbei, Nina war erwachsen, und der Altersunterschied von vierzehn Jahren ließ keine innige Vertrautheit mehr aufkommen. Ob sie erkannt hatte, was ihn zu ihr hinzog? Die Sehnsucht nach dem Vergangenen, die er im hintersten Winkel seines Bewusstseins begraben hatte, kam durch die Todesangst wieder hervor. „Nie wieder“, sagte seine innere Stimme bedauernd.
    Der Moment der Selbstaufgabe war gekommen. Aber sein Atem verging nicht sondern kehrte kraftvoll wieder. Nur das Schrillen in seinen Ohren dauerte an.


    Um sich zu orientieren öffnete er die Augen. Er erkannte die vertrauten Umrisse und Möbel seines Schlafzimmers. Ein Albtraum hatte ihn erschreckt und klang weiter in der Stimmung seines Wachbewusstseins nach.


    Als wissenschaftlich gebildeter Mensch machte er den Druck seiner Aufgaben verantwortlich. Er stellte das Handy aus, dessen programmierte Funktion ihn aus dem Traum gerissen hatte. Den schrillen Weckton würde er durch einen sanfteren ersetzen.


    Aber nun musste er aufstehen, denn heute durfte er sich nicht verspäten. Er hatte, ohne zu überlegen, die schriftliche Prüfung der Fünftsemester in Vertretung eines erkrankten Kollegen übernommen. Schon der Gedanke an die vielen Studenten, die im Audi Max auf ihn warten würden, belastete ihn. „Entspann dich “, so ermutigte er sich. „Das kennst du doch schon.“ Alles war bis ins Detail vorbereitet, zwei Assistenten würden ihn bei der Aufsicht unterstützen und durch den Vormittag begleiten.


    Er duschte und zog sich an. In der Küche setzte er das Mahlwerk der eleganten Kaffeemaschine in Gang und der pure Bohnenduft ließ ihn an Luxus denken.


    Nach dem Frühstück verließ er die Wohnung und ging zu seinem Auto. Der Druck im Kopf nahm wieder zu, daher summte er beruhigend vor sich hin auf seinem Weg durch die große Stadt. Er fuhr am Schild, das den Weg zur Universität wies, vorbei, durch das Industriegebiet hindurch und gelangte in eine Gegend mit weiten Ackerflächen. Vor ihm, nicht weit entfernt, auf einem schmalen Pattweg, sah er eine kleine Gestalt im weißen Kleid, die unbekümmert ihren Weg durch die Felder suchte. Er parkte das Auto und stieg aus. Hoffentlich wartete sie auf ihn. Ja, dort hinten stand sie und winkte ihm lachend zu. Er folgte ihr ohne zu zögern. Stundenlang, summend, zunehmend desorientiert.


    Als ihn später die freundlichen Männer des Krankenwagens fanden, grüßte er lächelnd und folgte ihnen ohne Widerstand.

  • von Voltaire



    Erst als er schwieg wurde das Ziel gesprächsbereit und verstummte dann. Und als er sang, da reklamierten die Töne die Stummheit für sich.


    Es war zu spät - als er das „Früher“ beschrieb. Das Schreibgerät beugte sich ihm nicht, kannte nur den eigenen Willen, widersetzte sich der textlichen Einflussnahme durch ihn.


    Die Tiefe des Sinnbildes, die Aggressivität des Trivialen, die Blässe des Ausdrucks, die Gespreiztheit der Gedanken, konnten ihn überzeugen, konnten ihn eins werden lassen mit der Abnormität des Seins.


    Da wo seine Hände sein sollten, da wo seine Beine Dienst tun mussten, da regierte nur noch die körperliche Sprachlosigkeit, das Bündnis der Hinfälligkeit, die geschwätzige Sprachlosigkeit, die Hinwendung zum gegenständlichen Nichts. Nur wo war das Ziel? Vom Start zum Ziel! Die Logik als betrunkene Metapher. Parolen geschmettert ins Dunkel, vom Licht verschmäht. Vom Wasser verschlungen, ins Bodenlose gerettet.


    Wie weit wird es gehen? Wie weit kann der Weg ihn tragen? Die Brücke kann nur dann betreten werden wenn sie bricht, wenn das Chaos zum Geländer wird. Sinnhaftigkeit als Zweck des Zwecklosen. Gedankenflüsse verschmelzen sich, trocknen aus, Ideenregen versickert. Falsett der Zwistigkeit.


    Vom Wahnsinn zum Tanz gebeten, der Irrsinn versucht die Polka zu persiflieren, getaucht in die Musik der Misstöne, die Noten zensieren die Instrumente. Wo liegt das Land ohne Grenzen, wo fließt der Fluss ohne Quelle und Mündung, wo erscheint das helle Licht nur dunkel und verschlagen? Die Antwort wird gegeben, auf dem Iphon der Abnormität.


    Katastrophenspiel. Sinnleere. Endzeit. Der Sieg der Bonomalität.


    Sonnenlicht verdunkelt die Galaxien. Vorwärtsstrebende Strahlen schneiden sich durch die Hirnschale, der Geist gibt sich auf.


    Apokalypse -Írása verseny.

  • von wirbelwind



    Sie war auf dem Weg zur Arbeit. Nur noch kurz einmal nach dem Herd geschaut. Aus. Das Kabel vom Bügeleisen baumelte locker vom Bügelbrett herab. Sicher, schließlich hatte sie es heute noch nicht in Gebrauch gehabt. Die Lichtschalter waren alle aus, jedes Zimmer abgescannt. Akribisch. Nun den Schlüssel in die Hand nehmen. Die Handtasche kontrollieren: Geldbörse, Mobiltelefon, Taschentücher, Wagenpapiere. Alles in Ordnung. Nun aber los zur Arbeit. Schließlich war ja auch alles aus. War es? Ihr Blick huschte unsicher durch den Wohnungsflur, wollte um die Ecke ins Schlafzimmer schauen, beruhigende Gewissheit verschaffen. Noch einmal von vorn. Der Herd. Schweigend starrte sie ihn an. Alle Zeiger standen auf -0-. Und doch konnte sie ihren Blick nicht abwenden. Ihren Augen nicht trauen. Sich selbst nicht trauen. Wenn sie etwas übersähe, würde der Herd warmlaufen, Funken entstehen, dann würde die Wohnung abbrennen und alles in einer Katastrophe enden. Weil sie nicht aufgepasst hätte und sie die Kontrolle verloren hätte. Kontrollieren ist ja auch normal, redete sie sich ein. Das machte schließlich jeder, bevor er aus dem Haus ging. Jetzt war es aber genug. Sie hatte alles nachgeschaut, mehrfach. Ungezählte Male. Ungezählte Gänge durch ihre kleine Wohnung. Wie viele es wohl heute waren? Wer weiß das schon. "Alles aus", murmelte sie. Fummelte am Schlüssel in ihren Händen. Ging in Richtung Tür. Alles war in Ordnung, dennoch waren ihre Gedanken unruhig, ihre Bewegungen leicht zittrig. Ein schneller Blick auf die Uhr. Der Zeiger tickte, unerbittlich zeigte er die verstreichenden Sekunden, Minuten an. Dabei war doch vorhin noch so viel Zeit gewesen. Sie war immer pünktlich, überpünktlich, es könnte sich wer weiß was auf dem Weg abspielen. Stau, ein Unfall, ein Defekt am Wagen. Und doch konnte sie sich der hypnotisierenden Macht ihrer Gedanken nicht entziehen. Ihr Atem ging schneller, sie merkte, wie ihr merklich wärmer wurde, der Puls anstieg. Wie immer, wenn die Zeit so verstrich, sie wusste, dass es nun Zeit war WIRKLICH zu gehen, nicht noch einmal und noch einmal mehr alles genauestens zu überprüfen. Sie atmete tief ein und aus. Versuchte wieder klar zu denken. Das war doch alles verrückt, oder? Mehr als einmal hatte sich dieser Gedanke schon aufgedrängt. Atmen. Ein und aus. Sie hatte nun genug geschaut, es kam ihr schon selber albern vor. Die Zeit verstrich und sie musste nun langsam dringend zur Arbeit. Also los. Noch ein Blick zu Ihren Fixpunkten, Steckdosen aus denen die Stecker gezogen waren, Geräte die ausgestellt waren, Lampen die nicht leuchteten. Sie riss sich von dem Anblick los, trat aus der Tür, schloss ab. Kontrollierte die verschlossene Tür. Auf der Treppe traf sie auf ihre Nachbarin samt Hund. "Na, geht es wieder los zur Arbeit?" Sie schaute erst den Hund an, dann die nette Frau: "Ja, eigentlich bin ich schon unterwegs." Mit diesen Worten eilte sie aus dem Haus, die aufdrängenden Gedankenfetzen ignorierend. Sie hatte alles kontrolliert. Es wäre lächerlich, nochmal nach oben zu gehen. Alles war in Ordnung. Und eigentlich war sie ja auch schon unterwegs...

  • von n8eulchen



    Schon wieder lag ihre Haarbürste auf dem Boden und ein Hauch ihres Parfums lag in der Luft. So langsam glaubte Lisa, sie sei verrückt oder von Geistern heimgesucht. Naja, eher verrückt. Jetzt spinne ich tatsächlich, dachte sie verkrampft heiter und wollte damit keine Angst zulassen.
    Schon seit Tagen, wenn nicht sogar Wochen, fand Lisa Dinge nicht, die sie wohl verlegt hatte. Immer wieder lag ein Kugelschreiber an einer anderen Stelle, war der Teppich leicht verrutscht oder ein Vorhang hing etwas anders als zuvor. Ihre Haustiere kamen als Übeltäter kaum infrage: Niedliche, kleine Garnelen im Aquarium, die emsig hin und her schwammen und die Scheiben putzten, aber doch nicht ihre Einrichtung verändern würden.
    Noch konnte sie das Ganze irgendwie auf die leichte Schulter nehmen. Ihr Beruf war recht stressig, sie schlief schlecht und sie hatte sich mit ihrer besten Freundin zerstritten. Dass sie da ein wenig schusselig und unaufmerksam war, wäre ja nichts Ungewöhnliches.
    Aber die Leichtigkeit war verflogen, als eines Abends ein Stuhl am Esszimmertisch leicht schräg stand, den sie selbst nie benutzte, sogar nicht leiden konnte, seit bei einer Party einmal auf die Sitzfläche gebrochen worden war. Ja, okay, Lisa hatte sich selbst darauf übergeben. Nach dessen gründlicher Reinigung wurde er getreulich ignoriert. Selbst beim Putzen berührte sie den „Kotzstuhl“ kaum und seit ihrem letzten großen Wohnungsputz waren schon einige Tage vergangen. Da war er noch richtig gestanden. Bin ich wirklich komplett bescheuert?, grübelte sie angestrengt.
    Bald wurde Lisa paranoid, fühlte sich verfolgt, beobachtet und bedroht. Manchmal sogar von sich selbst. So kam es, dass sie in ihrer Wohnung kleine Fallen stellte, die zeigen sollten, ob jemand in ihr vermeintlich sicheres Nest eindrang. War das nicht wahrscheinlicher, als dass sie einfach so aus heiterem Himmel den Verstand verlor? Obwohl ihr Himmel ja nicht so ganz heiter war… Aber Lisa wollte einfach nicht wahnsinnig geworden sein.
    Sie klebte Tesastreifen an Fenster, spannte Haare an Türen, legte Kaffeebohnen unter die Fußmatte und streute sogar eine hauchdünne Mehlschicht auf ihre weißen Badezimmerfließen. Aus ihr wäre bestimmt eine gute Detektivin geworden, hätten ihre Eltern sie nicht dazu überredet zu studieren. Welche Verschwendung! Aber in ihrem Job war sie ja auch ganz gut.
    Die morgendliche Routine, bevor sie die Wohnung verließ, musste sie nur wenige Male wiederholen. Schon am dritten Tag waren Spuren im Mehl, je ein Haar an der Wohnzimmer- und an der Schlafzimmertüre war gerissen und einige Kaffeebohnen zerbröckelt. Auch der Stuhl stand schief.
    Der Stuhl wurde verrückt, nicht ich!, dachte Lisa erst glücklich, dann fühlte sie aber rasch Panik in sich aufsteigen. Jemand kam in ihre Wohnung! Wer? Ob es ihr da nicht doch lieber gewesen wäre, langsam den Verstand zu verlieren?
    Hinter sich hörte Lisa wie der Schlüssel das Schloss ihrer Haustür verriegelte. „Du hast es also bemerkt“, sagte eine tiefe Stimme.

  • von Sinela



    Lautlos fielen die Schneeflocken zur Erde. Einige wirbelten im immer wieder aufkommenden böigen Wind hin und her, um dann doch dem Gesetz der Schwerkraft zu folgen und auf die bereits auf dem Boden vorhandene weiße Pracht zu fallen. Manuela stand am Fenster ihres Hauses und schaute ihnen zu. Frustriert trank sie ihren Kaffee, aber so richtig warm wollte ihr trotzdem nicht werden. So hatte sie sich das Osterfest wirklich nicht vorgestellt. Eine Fahrradtour an der Elbe entlang hatte ihr vorgeschwebt, mit einem Picknick auf den Elbwiesen, in der Sonne liegen, Wärme tanken, aber so wie es im Moment aussah, konnte man höchstens Schneemänner bauen. Sie seufzte. Die Türklingel riss sie aus ihren düsteren Gedanken. Wer war das denn? Am Ostersonntag? Manuela entschloss sich nicht zu öffnen, sie wollte einfach nur ihre Ruhe haben, aber die Türklingel ertönte immer wieder. Wer auch immer da draußen stand, würde wohl nicht so schnell aufgeben.
    „Was?!?“
    „Ich wünsche dir auch schöne Ostern.“
    „Ach, du bist es.“
    „Ja, nur ich, wen hast du denn erwartet?“
    „Niemand, ich will nur einfach nur in Frieden gelassen werden.“
    „Dachte ich mir doch, dass du dich bei dem Wetter in der Hütte verkriechst. Auf los, zieh dich an, wir gehen spazieren.“
    „Spazieren? Hast du sie noch alle?“
    „Es ist doch so schön draußen. Der Schnee glitzert, es ist wunderbar ruhig, du kannst deinen Atem sehen, einfach ein Winter-Wonderland.“
    „Komm erst mal rein, ich friere mir noch hier den Hintern ab.“



    „Nun komm schon, lass uns gehen, ich habe keinen Bock mich aus meinen dicken Mantel zu schälen und mit dem Teil ist es mir zu warm hier drin.“
    „Ne, du, wirklich nicht. Ich bekomme schon Frostbeulen, wenn ich da nur rausschaue. Petrus ist doch echt verrückt, an Weihnachten hatten wir Sonne und 16 C° und jetzt an Ostern ist es arschkalt und es schneit. Und das nicht erst seit gestern, wir haben immerhin schon seit drei Wochen eine geschlossene Schneedecke, Temperaturen nachts unter -10 C°, das ist doch nicht normal!“
    Gabriele resignierte, zog ihren Mantel und die Moonboots aus und setzte sich auf die Couch.
    „Du hast ja recht, aber du kannst nun mal nichts daran ändern. Laut dem Wetterbericht für die kommende Woche wird der April so weitergehen wie der März jetzt aufhört, nämlich stark unterkühlt.“
    Manuela fragte entsetzt:
    „Das ist jetzt nicht dein Ernst, oder?“
    „Doch, so leid es mir tut, da müssen wir wohl durch.“
    „Nein, ich nicht, mir reicht es jetzt, ich mache die Biege.“
    Sie ging entschlossenen Schrittes an den PC, klickte ein paar Mal hier und ein paar Mal dort, und kam wieder zurück.
    „Erledigt, ab übermorgen kann mich der Winter mal, ich fliege für 2 Wochen nach Tunesien.“
    „Ja, aber …..“
    „Kein Aber, ich bin dann einfach mal weg.“
    Manuela ging wieder zum Fenster, um den Schneeflocken beim fallen zuzusehen und ließ eine sprachlose Gabriele auf der Couch zurück.

  • von Dori



    Einen Monat war es nun her, dass meine geliebte Frau Emily durch die Geburt unseres gemeinsamen Kindes hinweggerafft worden war. Wir waren so jung, so verliebt; mit einem Mal war alles weg. Der Tod von Königin Victoria nur eine Woche später hatte auch das ganze Land in eine tiefe Krise gestürzt.
    Immernoch durchwachte ich die Nächte, Schlaf blieb mir verwehrt. Schaffte ich es doch, wurde ich von schrecklichen Alpträumen geschüttelt und erwachte schweißgebadet und erschöpft.
    Nun saß ich in Emilys Nähzimmer im fünften Stock unseres Londoner Hauses und betrachtete durch das Fenster den Vollmond. Tagsüber war der Raum lichtdurchflutet und gab den Blick auf die weitläufige Oxford Street frei, hier war Emilys Lieblingsplatz gewesen. Nachts jedoch bedrückte die Szenerie durch verzerrte Schatten und dunkle Umrisse. Ein Baum in der Nähe des Fensters reckte seine knochigen Arme, sein Schatten drohte, mich zu verschlingen.
    Auch das Zimmer wirkte in der Dunkelheit überaus bedrohlich. Die Umrisse der neuartigen Nähmaschine projizierten eine gefährliche Gestalt an die Wand.
    Aus dem Augenwinkel nahm ich eine Bewegung wahr. Angsterfüllt drehte ich meinen Kopf und sah zu meiner Erleichterung, dass es nur der Schatten des vom Wind geschüttelten Baumes war.


    Der Grund, warum es mich so erschreckt hatte, war, dass dies in der letzten Zeit nicht die erste unheimliche Erscheinung gewesen war.
    Es begann damit, dass bei aufgeschlagenen Büchern plötzlich die Seiten umgeblättert worden waren. Später „verlor“ ich ständig kleinere Gegenstände und fand sie an ganz anderen Orten wieder und seit Neuestem fand ich immer wieder unsere Schlafzimmertür nachts offen vor, obwohl ich sie beim Zubettgehen fest verschlossen hatte.
    Meine Freunde sagten mir, es wäre normal, sich Dinge einzubilden, nachdem man einen geliebten Menschen verloren habe. Aber ich bildete mir das nicht ein!
    Eine weitere Bewegung riss mich aus meinen Gedanken. Der Schaukelstuhl in der Ecke, auf dem Emily so gern gesessen hatte, bewegte sich! Langsam, kaum merklich wippte er vor und zurück. Die Angst schnürte mir die Kehle zu. Zögerlich ging ich auf ihn zu und hielt ihn fest, damit er stillstand. Dann ging ich zurück zu dem Fensterbrett, auf dem ich gesessen hatte. Kaum saß ich wieder, begann der Stuhl erneut, sich zu bewegen.
    Dieses Mal begann er so langsam wie zuvor, wurde dann aber immer schneller, immer weiter schlug die Rückenlehne aus. Krachend begegnete sie der Wand, krachend kamen die Kufen auf dem Boden auf, krachend polterte mein Herz in meinen Ohren. Ich schloss die Augen, schrie, schrie so laut, bis meine Stimme die Geräusche des Stuhls übertönten und ich langsam heiser wurde. Als ich meine Augen öffnete, stand der Stuhl wieder still. Dafür begannen jetzt die Türen eines hohen Kleiderschranks sich zu öffnen und knallend zu schließen, wie Pistolenschüsse. Der Stuhl setzte auch wieder ein. Tränen der Angst verschleierten mir die Sicht. Als ich sie weggewischt hatte, stand Emily vor mir. Sie war seltsam blass und durchscheinend, sah mich einfach nur an und lächelte. Ein ruhiger Pol inmitten all des Chaos.
    Ich drehte mich um, öffnete das Fenster und sprang.