Marilynne Robinson: Haus ohne Halt
edition fünf 2012. 256 Seiten
ISBN-13: 978-3942374231. 19,90€
Originaltitel: Housekeeping
Übersetzerin: Sabine Reinhardt-Jost, Nachwort Karen Nölle
Verlagstext
Ein kleiner Ort inmitten grandioser, übermächtiger Natur an einem Gebirgssee in den Rocky Mountains, Mitte der 1950er. Hier wachsen im Haus ihrer Großeltern die Schwestern Ruth und Lucille auf, die beide Eltern verloren haben. Nach dem Tod der Großmutter kehrt ihre exzentrische Tante Sylvie zurück, um die Erziehung der Mädchen zu übernehmen. Trotz aller Bemühungen ihnen ein Heim zu bereiten, ist es ihr nicht gegeben, einen Haushalt zu führen, wie es sich gehört das Haus selbst scheint sich gegen alle Ordnung aufzulehnen, und im Ort werden die drei zunehmend zu Außenseiterinnen. Doch während die träumerische Ruthie sich vom unkonventionellen Vagabundenleben der Tante angezogen fühlt, sehnt sich die jüngere Lucille nach einem geregelteren Leben. Die beiden Schwestern werden einander immer fremder ... Eine gefühlskluge Geschichte über Heimatlosigkeit und Zugehörigkeit, voller Magie und Poesie. Die Pulitzer-Preisträgerin Marilynne Robinson, hierzulande noch nahezu unbekannt, ist eine der wichtigsten Schriftstellerinnen der Gegenwart.
Die Autorin
Marilynne Robinson wurde 1943 in Sandpoint, Idaho, am See aus »Haus ohne Halt« geboren. Sie studierte in Rhode Island Englische Literatur, promovierte in Washington und lehrte als Writer-in-Residence und Gastprofessorin an zahlreichen Universitäten. Heute unterrichtet sie am Writer’s Workshop in Iowa. Die Pulitzer-Preisträgerin, hierzulande noch nahezu unbekannt, ist eine der wichtigsten Schriftstellerinnen der Gegenwart. 1980 erhielt Robinson den Hemingway Foundation/PEN Award für Housekeeping, das Buch wurde auf die Shortlist des Man Booker International Prize 2013 gewählt.
Inhalt
Der Großvater der Icherzählerin Ruth stammte aus dem Mittleren Westen der USA und baute aus Liebe zu den Bergen in traumhafter Lage für seine Familie ein Haus. Nach dem spektakulären Tod des Erbauers leben im Haus am See mehrere Generationen von Frauen. Helen, die Mutter der Erzählerin, wächst als mittlere von drei Töchtern in einem Haushalt auf, in dem die Hausfrau emsig bäckt, einen riesigen Garten bewirtschaftet, Vorräte einkocht und die Wäsche stärkt. Aus der Nähe, zu der die vier Frauen nach dem Tod des Vaters zwangsläufig zusammenrückten, brechen zwei der Töchter so bald wie möglich aus. Molly wird unbemerkt von ihrer Familie religiös und geht als Missionarin nach China, Sylvie brennt mit einem Mann durch. Auch Helen verschwindet auf spektakuläre Weise aus der Gegenwart, nachdem sie ihre Töchter der Großmutter anvertraut hat. Zurück bleibt - noch wie ein Fels in der Brandung - ein Holzhaus, dessen Bausubstanz allmählich vor den Angriffen von Schnee und Hochwasser kapituliert. Darin eine alte Frau, mit der Sorge für zwei kleine Kinder überfordert, die dabei ähnlich wie die Äpfel im Obstgarten immer kleiner und schrumpeliger zu werden scheint. Die Ablösung der Großmutter als Betreuerin von Haus und Enkelinnen durch zwei unverheiratete Tanten setzt den Abstieg des Haushalts fort; die beiden Schwägerinnen sind zwar deutlich jünger, jedoch schrulliger und ängstlicher als man sich vorzustellen vermag. Kurz nach dem Auftauchen ihrer Tante Sylvie im Haushalt erkennen Ruth und Lucille, dass ihr sonderbares Elternhaus von den Nachbarn kritisch beobachtet wird und das Interesse von Behörden weckt, die das Wohlergehen von Kindern kontrollieren sollen. Auch wenn die Bewohner des Hauses am See über mehrere Generationen keinen Kontakt zu ihren Mitmenschen pflegten, gelten im Ort Vorstellungen von Normalität, mit der sich die eigenwillige Weiberwirtschaft nur schwer vereinbaren lässt. An der Schwelle zum Erwachsenwerden wiederholt sich die Familiengeschichte - Lucille braucht einfach Abstand vom Elternhaus.
Ruth und Lucille durchstreifen in ihrer Kindheit eine traumhafte Umgebung. Solange die Mädchen noch klein sind, bietet ihnen das Haus ihres Großvaters noch Halt. Doch selbst wenn Teile des ausgedehnten Grundbesitzes am See für den Lebensunterhalt verkauft würden, ließe sich davon keine den Kindern zugewandte Betreuerin "kaufen". Immer wieder mit dem Altern und Verschwinden ihrer Bezugsperson konfrontiert, experimentieren die Mädchen selbst mit dem Vagabundieren, das ihrer Tante wohl im Blut liegt.
Fazit
Marilynne Robinsons bereits 1980 als "Housekeeping" erschienener Roman hat beste Aussichten, ein Klassiker zu werden. Ausbrüche in die Wildnis, das Zusammentreffen von Außenseitern und rigiden Normen oder einfach die Familiengeschichte mehrerer Generationen von Frauen bieten den Leserinnen vielfältige Anknüpfungspunkte. Auf edles Papier gedruckt, mit Leseband und in knallrotes Leinen gebunden, gewinnt Robinsons Roman noch durch sorgfältige Anmerkungen zu Text, Autorin und Übersetzerin. Ein zeitlos schönes Buch.
10 von 10 Punkten