Gebundene Ausgabe: 368 Seiten
Verlag: Diogenes (26. Februar 2013)
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3257068336
ISBN-13: 978-3257068337
Zum Inhalt/Kurzbeschreibung:
Belgrad - Metropole an zwei traumhaften Flussufern, faszinierende Stadt im Brennpunkt europäischer Geschichte, Stadt im Wandel. Und an diesem Roman Ort eines aufsehenerregenden Verbrechens:
In der Nacht vom elften auf den zwölften Juli machen zwei Gardisten der serbischen Eliteeinheit ihren Routinerundgang auf dem Militärgelände von Topçider. Am nächsten Morgen werden sie tot aufgefunden. Sie seien einem unehrenhaften Selbstmordritual zum Opfer gefallen, behauptet das Militärgericht. Und stellt die Untersuchungen ein.
Im Auftrag der Eltern der jungen Männer beginnt der Anwalt Sinisa Stojkovic zu ermitteln. Er bittet seine Freundin Milena Lukin, Spezialistin für internationales Strafrecht, um Unterstützung. Ihre Nachforschungen sind gewissen Kreisen ein Dorn im Auge, Milena Lukin gerät dabei in Lebensgefahr. Und es erhärtet sich ein fürchterlicher Verdacht: Die beiden Gardisten hatten vermutlich etwas gesehen, was sie nicht sehen durften. Hatte es mit dem Jahrestag des größten Massakers der europäischen Geschichte seit dem Zweiten Weltkrieg zu tun?
Der Auftakt zur ersten deutschsprachigen Krimiserie, die in Belgrad spielt, mit der sympathischen Ermittlerin und Rechtsexpertin Milena Lukin.
Über die Autoren:
Christian Schünemann, geboren 1968 in Bremen, studierte Slawistik in Berlin und Sankt Petersburg, arbeitete in Moskau und Bosnien-Herzegowina und absolvierte die Evangelische Journalistenschule in Berlin, wo er auch lebt. Er hat im Diogenes Verlag bereits vier Kriminalromane um den Münchner Starfrisör und Amateurdetektiv Tomas Prinz veröffentlicht.
Jelena Volic, geboren in Belgrad, studierte Allgemeine Literaturwissenschaft, Italianistik, Slawistik und Germanistik in Belgrad, Florenz, Groningen, Münster und Berlin. Zurzeit lehrt sie Neuere deutsche Literatur und Deutsche Kulturgeschichte in Belgrad und Kragujevac. Sie lebt in Belgrad und Berlin.
Meine Meinung:
Um es gleich vorweg zu sagen, mir hat das Buch recht gut gefallen, aus mehreren Gründen, aber „spannender Kriminalfall“ zählt sicher nicht dazu. Nach meinem Empfinden hätte man es eher unter zeitgenössischer Literatur einsortieren können – aber Krimi verkauft sich halt besser ;).
Dr. Milena Lukin ist Dreh- und Angelpunkt dieser Geschichte, eine intelligente und zupackende Frau um die vierzig, sympathisch und mit einer gehörigen Portion Zivilcourage. Sie arbeitet in Belgrad am Institut für Kriminalistik und Kriminologie, teils betreut sie Studenten, teils widmet sie sich ihrer Habilitation. Ihre Stelle am Institut wird finanziell unterstützt durch die Deutsche Akademische Gesellschaft, wohl auch zeitlich befristet, denn immer wieder muss sie wegen Vertragsverlängerung dort vorstellig werden. In Anbetracht ihrer Qualifikation und Leistung empfand ich das als erniedrigend, die deutsche Bürokratie kam da nicht so gut weg. Zu ihrem Leben gehört ihre Mutter Vera und ihr zehnjähriger Sohn Adam, dessen Vater Deutscher ist und in Berlin lebt.
Romane mit Schauplatz Balkan haben mich bisher nicht sonderlich angezogen, so dass Belgrad ein für mich fremder und ungewohnter Handlungsort ist. Besonders heimisch fühle ich mich dort auch nach der Lektüre des Buches nicht, aber interessant fand ich die Informationen zu Stadtbild und Historie von Belgrad auf jeden Fall, wenn auch an manchen Stellen etwas zu ausführlich.
Im Text fällt der Ausdruck „postsozialistischer Schwebezustand“ im Zusammenhang mit einem alten Haus, diese Formulierung scheint mir irgendwie auch zutreffend für die Zustände in Belgrad, Serbien und den Balkan insgesamt. Immer wieder gibt es ausführliche Blicke auf die politische und gesellschaftliche Situation der Gegenwart und der jüngeren Vergangenheit, in erster Linie durch die kritischen Augen Milenas. Nach wie vor herrscht ein schweres Durcheinander von Volksgruppen, die sich nicht grün sind. Die zwangsweise Vereinigung im vormaligen Jugoslawien war problematisch, aber die Auflösung wohl nicht minder. Alte Seilschaften haben nach wie vor Bestand, Militärcliquen üben immer noch Macht aus. Auch das Massaker von Srebrenica kommt zur Sprache. So viel Zündstoff gibt es dort nach wie vor, Risse gehen quer durch die Familien, Leid und Schicksal so vieler Menschen auf dem Balkan bekommt hier ein Gesicht und wird dadurch greifbarer für mich.
Der eigentliche Kriminalfall spielte in diesem Buch m. E. nur eine Nebenrolle. Die Ermittlungen schienen mir eher zufällig und beiläufig eingestreut, keinem roten Faden folgend. Auch habe ich bis zum Ende nicht so richtig nachvollziehen können, warum sich Milena überhaupt so in dieser Sache engagiert, für mich war das nicht glaubwürdig begründet. Irgendwann zeichnet sich ab, dass auch der Täter nur ein Opfer ist, traumatisiert, verwirrt, bedauernswert – und die eigentlich Verantwortlichen…- wie meistens, wenn das Militär im Spiel ist.
Trotz des angenehm flüssigen Schreibstils, liest es sich manchmal etwas sperrig, vielleicht weil nur selten ein bisschen Spannung aufblitzt, dafür aber sehr viel Informationen hinein gepackt sind. Milenas Persönlichkeit und ihre Selbstironie bringen manchmal eine gewisse Leichtigkeit in die insgesamt eher bedrückende Atmosphäre des Buches. Die Geschichte macht wenig Hoffnung auf Besserung der Verhältnisse und mündet in ein glaubwürdiges Ende, das diesen Eindruck noch unterstützt.