Von Angesicht zu Angesicht - Sergio Sollima

  • Meiner persönlichen Schätzung nach sind ca. 90% aller Italowestern großer Mist. Finstere Gestalten mit verkniffenen Gesichtern und in schäbigen Klamotten schiessen sich gegenseitig tot, und am Ende kann dann einer das ganze Geld behalten.


    Allerdings gibt es einige Ausnahmen, welche nicht nur für sich gesehen großartige Filme sind - einige bedienen sich des "Westerngewandes" nur - sondern das Genre insgesamt bereichern und prägten.


    Einer dieser Filme ist Sergio Sollimas "Von Angesicht zu Angesicht"!


    Wegen eines Lungenleidens muß der Universitätsprofessor Brad Fletcher seine neuenglische Heimat verlassen und in das trockene Klima von Texas ziehen. Dort trifft er auf den Banditenführer Beauregard Bennett, dem er - aus Versehen und in eigentlich guter Absicht - zur Flucht verhilft und dessen Verletztungen er versorgt, weil er gelernt hat das man Hilfsbedürftigen eben helfen muß. Die Tatsache das der Hilfsbedürftige gerade noch versucht hat ihn zu erschießen ignoriert der Professor, da ihn diese Situation irgendwie überfordert - so etwas ist in seinem Weltbild nicht vorgesehen.
    Und irgendwie fasziniert ihn der Bandit auch, dessen Brutalität und Menschenverachtung der Studierte als Stärke und Freiheit mißversteht.
    Bennett versucht seine alte Bande wieder zusammenzutrommeln, und Fletcher schließt sich ihm an, was vom Banditen geduldet wird, der seinerseits von der intellektuellen Überlegenheit Fletchers eingenommen wurde. Ausserdem hat dieser ihm inzwischen das Leben gerettet, in dem er einen aus dem Hinterhalt schiessenden seinerseits erschossen hat - sein erster "Abschuss".
    Fletcher verfällt immer mehr der Faszination des Outlawlebens, er plant sogar einen Banküberfall, der nur deswegen scheitert weil einer der Beteiligten ein undercover arbeitender Pinkertondetektiv ist.
    Bennett wird geschnappt, und Fletcher übernimmt die Bande, er geht nun vollends in der Rolle des brutalen Banditen auf.
    Schon zuvor, bei dem mißglückten Überfall, hat er einen Jungen erschossen, der den Sherriff warnen wollte - etwas das Bennett nicht fertigbrachte. Mit dem Jungen stirbt nun auch entgültig der Rest des "alten" Fletcher.


    Eine Söldnertruppe radiert das Banditennest aus - nur einige wenige entkommen unter Fletchers Führung in die Wüste, und dort treffen sie auf Bennett - der sich befreien konnte - und auf dem Detektiv von Pinkerton....
    Keiner der Männer ist mehr der, der er zu Anfang war.


    Nach "Der Gehetzte der Sierra Madre" ist dieses nun Sollimas zweiter Western, und derjenige seiner Trilogie (die nur so genannt wird weil Sollima drei Western gedreht hat, doch nur der Erste (Der Gehetzte...) und der letzte (Lauf um dein Leben) sind durch die selbe Hauptfigur verbunden) der am wenigsten zwangsläufig ein Western ist.


    Für den gebildeten, logisch denkenden Fletcher ist das Aufeinandertreffen mit Bennett und dessen Banditenleben wie ein Befreiungsschlag, er entdeckt plötzlich etwas, das er nie kannte: Macht. Doch er kann damit nicht umgehen, am Ende kennt er keine Grenzen mehr. Als jemand seine Pläne anzweifelt bietet er einfach ein Bündel Geld demjenigen der den Störenfried zum Schweigen bringt - das Geld verdient sich sofort jemand. Die "Stimme der Vernunft" - vor kurzer Zeit noch Fletchers Rolle - wir nun durch Geld und Gewalt zum schweigen gebracht.


    Die oben geschätzten 90% Schrott den Italowestern betreffend mögen manchem für zu positiv gehalten werden - doch die beachtenswerten Filme dieses zu Recht sehr negativ gesehenen Genres sind in der Tat große Filme!


    Nicht nur als Italowestern, ja nicht einmal als Western - es sind einfach verdammt gutre Filme!